Die Jägerei im Volkslied

Der Mensch war in allen frühgeschichtlichen Kulturen und ist bei allen Naturvölkern zuallererst Jäger und Sammler. War er auch Musiker? Ja, denn Musik war vorerst eine, den Tierruf nachahmende Notwendigkeit, ebenso Verständigung unter den Jägern und bald auch – als eigene musikalische Gestalt – Teil des jagdlichen Rituals mit einer besonderen Entwicklungsstufe im 17. und 18. Jahrhundert – dem „Goldenen Zeitalter der Jagd.“ (1)

Das Jagdthema ist stets auch von Mythos umgeben und das hat vielfältige Gründe: Jagen war einst eine durchaus gefährliche und damit wagemutige Tätigkeit, die – wegen des Austragungsortes „in freier Wildbahn“ – schon zu frühen Verordnungen und Reglements führen musste. Es ist auch die Geschichte von Obrigkeit und Untertan, von Freiheit und Unfreiheit in deren Mittelpunkt die unter Gottes Himmel lebende Kreatur für ein Spannungsfeld sorgt. Schließlich aber stehen sich zwei Parteien gegenüber, der Mensch und das Tier, wobei dem Tier Instinkt und Überlebenswille zu eigen ist, dem Menschen aber eine Richterrolle über Leben und Tod zukommt, die ihn durch religiöse und ethische Wertehaltungen nach Wissen und Gewissen handeln lässt.

Als einer, der nicht dem Jägerstand angehört, reime ich mir das Rollenspiel so zusammen und leite daraus auch jenen Stellenwert ab, den das Jagdthema in allen Kulturäußerungen einnimmt, in der Literatur ebenso wie in der bildenden Kunst und der Hochkunst der Musik.

Kontinuität verbindet

Und die „Jagerei“ in Volksmusik und Volkspoesie? Gerade hier blüht ein Garten von Melodien und Texten, gerade im Volksmund ist der Jäger und das Lebensumfeld des Jägers ein gewichtiges Thema. Davon legt der Inhalt des Steirischen Volksliedarchivs (2) Zeugnis ab, für diesen thematischen Schwerpunkt lässt sich aber auch folgende Begründung finden:  Während viele andere Berufsstände umwälzende Veränderungen erfahren haben, während so manches Handwerk innerhalb eines Jahrhunderts überhaupt ganz verschwunden ist, unterliegt der Berufsstand des Jägers – so meine ich – einer besonderen Kontinuität. Und die Volkskunst steht hier beinahe partnerschaftlich per Fuß, denn es sind Künste, die ihr eigentliches Wirkungsfeld im Generationenverband haben. Volkslieder sind das Transportmittel des Wissens von früher, sie sind, – neben den musikalischen Tageshits und allen modernen Musikströmungen – für die Nachhaltigkeit verantwortlich, sie verlängern nicht nur das Leben von Geschichten sondern ermöglichen es uns, in diesen Geschichten weiterzuleben. Ebenso ist der Bereich des Forsts und des Jagdwesens – trotz enormer technischer Veränderungen (etwa im Bereich der Holzbringung) – eine Tätigkeit, die den Blick und Entscheidungen über die eigene Lebenserwartung hinaus verlangt. Während dieses Tragen von Verantwortung und Tradition im Jagdwesen zum Berufsethos gehört, ist das Tragen von Liedtraditionen ein Gegenspieler der Vergänglichkeit. Es ist ein Vorgang, der außerhalb der rationalen Handlung liegt.

Die Musik der Hauptdarsteller überzeugt

Es sind die zahlreichen Archivbelege zum Jagdthema im Volkslied, aus denen wir diese Schlüsse ziehen können. Es ist aber die Lebendigkeit des Jägerlebens in der heutigen Singtradition, die uns zuallererst auffallen muss. Ihren zähen Lebensfaden haben die Jägerlieder deshalb, weil sie aus dem Munde der Hauptdarsteller kommen, bzw. weil die Interpreten in den Liedern zu Hauptdarstellern werden. Damit meine ich nun nicht, dass es ausschließlich die Jäger sind, die diese Lieder singen. Nein, es ist geradezu überraschend, wie sehr die Menschen am Lande – ohne dem Jägerstand anzugehören – die Lieder ihr eigen nennen, wie sehr sie es genießen in dessen Rolle zu schlüpfen. Erst recht, wenn es sich um die Wildschützenlieder (3) handelt, wo man in kurzen Textpassagen dem Unrecht huldigen darf und selbst einen Schuss abkriegt. Abenteuer erleben, „Schneid haben“ und den Unbilden der Natur zu trotzen: Das alles in einer Zeit, in der durch Krankenkasse, Finanz und Versicherung alles geregelt ist. Wer möchte da nicht – zumindest in den Liedern – für ein paar Augenblicke ein Mordsbursch sein? Das hat wohl auch mit Verklärung und Romantik zu tun, mehr jedoch mit der Sehnsucht nach jenem Lebensumfeld, zu dem es viele Menschen hinzieht, zum sogenannten Naherholungsraum, zur Almregion. Ich meine nun nicht den importierten Touristenstrom, sondern die einheimischen, sonntäglichen Almgeher, jene Inbesitznahme in Nachbarschaft, die zum Schmelztiegel einer besonderen Erlebniswelt wird. Dieser bietet vielen Menschen (ohne jagdliche Ambitionen) einen beträchtlichen Teil der Lebensqualität (5) bis hin zu den unmittelbaren Berührungspunkten auf der Almhütte, im Berggasthof. Gefördert wird dies auch durch die Rituale der Begegnung und Geselligkeit. Die Jägerschaft weiß sie zu zelebrieren und damit ist auch ein Übungsfeld für das Erzählen aber auch für das Singen geboten.

Mehr Worte als Musik

In allen Jägerliedern zeigt sich ein schöner Zusammenschnitt der wichtigsten Lebensthemen. Es sind dies die Jagd selbst, die Verehrung der Geschöpfe des Waldes und der Natur, das Leben auf der Alm, Frömmigkeit sowie die Liebe. Letztere sehr oft in Andeutungen, in erotischen Umspielungen. Hinter diesen Anspielungen steckt die ganze Sehnsucht nach einer glückhaften Zweisamkeit, in der auch der Funken des Fortbestandes – im Sinne der oben erwähnten, über die eigene Lebenserwartung hinaus gedachte Haltung – nistet.

Sammlungen über Sammlungen

Die Österreichischen Volksliedarchive und so auch das Steirische Volksliedarchiv5 beinhalten zahlreiche Aufzeichnungen von Jagdliedern und diese wiederum in vielerlei Varianten. So kann das weithin bekannte Lied „Blaue Fenster, greane Gatter„ in allen Teilen der Steiermark nachgewiesen werden. Allein die Sammlung von Prof. Johann Gollob aus der Knittelfelder Gegend, enthält acht Varianten unter den Titeln „ Fensterllied„, „Blaui Fenster, greani Gatter„, Greane Fensterbalken, blaue Gatter„, „Jägerlied„, „Saubers Derndl„, „Ålmalied„. Aber nicht nur die Titel variieren, auch die Liedstrophen zeigen Unterschiede. (StVLA Mappe 397)

Ein weiteres Lied aus dieser Sammlung „Dås Jågn is a wåhre Freud„,hat Gollob von neun Gewährspersonen in den Jahren 1910-1914 im Raum Knittelfeld aufgezeichnet. (StVLA Mappe 397), Franz Kahr wiederum, zeichnete dieses Lied im Jahre 1907 in Schladming auf. (Mappe 11/Nr. 20)

„Das Jågn, das ist mein größte Freud, dås muaß a jeder sågn.
Jå, weils sogar den Fürsten gfreut, den Gråfen und Baron.
Der Geistlichkeit, den Bürgerstand, ja auch den Bauersmann,
das Jågn, dås tuat a jeder gern, der nur a bisserl kånn.
Denn dås Jågn, jågn, jågn, das muaß a jeder sågn,
den dås nit gfreit , der håt koa Schneid, der kånn jå nix vertrågn.„

Dieses Lied zeichnet ein gutes Bild vom Jäger und der Jägerei. Neben den Freuden der Jägerei kommt auch die lustige Unterhaltung nicht zu kurz. Die dritte Strophe weist speziell darauf hin:

„ Im Wirtshaus geht die Gaudi ån, der Jux zu guater letzt,
der ane fångt zum Aufschneidn ån, der åndere wird ghetzt.
Und eh ma völli streitat wern, hebt ana z’singan ån,
wir greifen um die Gläser und stoßen wieder ån.„

Es handelt sich hier um eine Aufzeichnung in der Handschriftensammlung, das Lied ist aber auch in den älteren Liederbüchern, so z.B. bei Viktor Zack, „Heiderich und Peterstamm“, Bd 1, Graz 1885, oder im „Steyrischen Raspelwerk“ von Konrad Mautner, ebenso in Anton Werles „Almrausch. Almliada aus Steiermark“ zu finden.

Natürlich kann man in fast jedem allgemein gehaltenen Liederbuch auch Jägerlieder finden. Fast jedes Schulliederbuch enthält die Lieder „Ein Jäger aus Kurpfalz„, „Im Wald und auf der Heide„ oder „Es wollt ein Jägerlein jagen„. Diese sind daher allgemein bekannt und weitverbreitet. Es gibt aber auch Liederbücher, die ausschließlich dem Jagdthema gewidmet sind: Aus dem Jahr 1937 stammen zwei Bücher von Carl Clewing. „ Hundert alte und neue Jägerlieder„ und „Musik und Jägerei„, beide bei J. Neumann, Neudamm und Bärenreiter, Kassel verlegt. Hier findet man hauptsächlich deutsches Liedgut und Schöpfungen verschiedener Komponisten, ebenso aber auch Aufzeichnungen des Steirers Viktor Zack und des bayrischen Sammlers Kiem Pauli.

Ja, und Kärntens Volksliedschatzes, von Anton Anderluh, beinhaltet in der fünften Abteilung gar 160 Jäger- und Wildschützenlieder mit ihren Varianten. Eine Auswahl aus dieser Sammlung stellt das Buch „Wånn i geh auf die Pirsch. 88 Jagd und Jägerlieder„ dar. Anton Anderluh sagte einmal: „ Jäger- und Jagdlieder und auch einzelne Strophen wandern weit. Sie sind häufig über ihr Entstehungsgebiet hinaus allgemeingültig; oder sie gehören überhaupt dem ganzen deutschen Sprachgebiet als Gemeingut an.„

Ein weiteres Jägerliederbuch stammt von Franz Stättner und Johann Hayden und wurde im Österreichischen Jagd- und Fischereiverlag herausgegeben. Dieses Buch richtet sich direkt an die Jäger mit dem Wunsch „Möge dieses Liederbuch dazu beitragen, dass wieder viele Jäger stolz auf ihren Stand sind und dies auch mutig in der Öffentlichkeit zeigen. Wir Jäger haben nichts zu verbergen.„

Das jüngst im Steirischen Volksliedwerk erschienene und inzwischen beliebte Buch „Jäger- und Almlieder in der Steiermark„ zeigt uns die große Bekanntheit dieser Liedgattung. Der Bogen spannt sich von „An einem Sonntagmorgen„ über „Das schönste Bleamerl auf da Ålm„, „Der Wurzlgråba„, bis „Znachst hån is a Roas gmåcht„.

Die Sprache hat die Oberhand…

Im Bereich der geselligen Musikausübung gewinnt die Sprache vor der Musik Oberhand. Das ist eine bemerkenswerte Verlagerung.  Je mehr aber Lieder der Präsentation zugeführt werden, desto mehr gewinnt wieder die Musik Oberhand, ordnet sich der Text dem musikalischen Element unter. Die in Geselligkeit gesungenen Jäger- und Almlieder (6) sind also zuallererst Mitteilungen für sich selber, für die gerade zusammengewürfelte Runde. Da gewinnt die Sprache, werden die köstlichen Textstellen eindringlich und bedeutungsvoll, während die Melodie zum Transportmittel wird. Das bedeutet keinesfalls einen qualitativen Verlust der musikalischen Gestalt. Wer die Gesänge kennt, weiß um die besondere Wirkungskraft der Zweistimmigkeit. Die Sprache aber ist es, die musikalische Kommunikation ausmacht und diesen Stunden noch eine Funktion eingibt: Das sind die Augenblicke der Überlieferung von Liedern, sie sind mehr als jeder Musikunterricht dazu angetan, den Fortbestand von Volksmusik anzubahnen.

Eine Thematik ohne Ablaufdatum

Der Inhalt der Jäger- und Almlieder –  damit ist das ganze Spektrum an schönster Thematik vom freien Leben, den Naturgewalten, von Kameradschaft und Neidgenossenschaft von Widerpart und Freundschaft, von Prahlerei, von Liebe und Erotik gemeint. Wenn das alles nur Historie wäre, mein Gott, ich ließe kein  gutes Haar an dieser Welt. So aber sind es die Nähe zu den Geschöpfen des Waldes, zu den Unbilden im Gebirge, zu den hehren Gedanken des Hegens und Pflegens, die eine beglückende Partnerschaft mit der Musikalität der Menschen eingeht.


  1. Josef Pöschl. Das Österreichische Jagdhornbläserbuch, Weishaupt , Gnas  1990
  2. Doris Grassmugg. Jägerlieder im Steirischen Volksliedarchiv, Der Vierzeiler 20.Jahrg. Nr. 3/ 2000 Hrsg: Steirisches Volksliedwerk VerlagsgesmbH Graz
  3. Roland Girtler. Wilderer, Rebellen in den Bergen, Böhlau Verlag, Wien 1998
  4. Hermann Härtel. Musikalische Gebrauchskultur auf der Alm – Warum singt es sich so leicht? Referat anlässlich der Österr. Almwirtschaftstagung, Murau, 1991; In: Sätze & Gegensätze, Band 10, Hrsg. Steirisches Volksliedwerk, Weishaupt Verlag, Gnas, 1999
  5. Die folgende Abhandlung über Jagdlieder im Steirischen Volksliedarchiv sind entnommen: aus: Doris Grassmugg. Jägerlieder im Steirischen Volksliedarchiv, Der Vierzeiler 20.Jahrg. Nr. 3/ 2000 Hrsg: Steirisches Volksliedwerk VerlagsgesmbH, Graz Jäger- und Almlieder, Eine Sammlung der schönsten Lieder zum Thema Jagd und Alm, Hrsg: Steirisches Volksliedwerk, Weishaupt Verlag, Gnas, 1999; Referat anlässlich der Österr. Almwirtschaftstagung, Murau, 1991; In: Sätze & Gegensätze, Band 10, Hrsg. Steirisches Volksliedwerk, Weishaupt Verlag, Gnas, 1999
  6. Die folgende Abhandlung über Jagdlieder im Steirischen Volksliedarchiv sind entnommen: aus: Doris Grassmugg. Jägerlieder im Steirischen Volksliedarchiv, Der Vierzeiler 20.Jahrg. Nr. 3/ 2000 Hrsg: Steirisches Volksliedwerk VerlagsgesmbH, Graz
  7. 5. Jäger- und Almlieder, Eine Sammlung der schönsten Lieder zum Thema Jagd und Alm, Hrsg: Steirisches Volksliedwerk, Weishaupt Verlag, Gnas, 1999

Beitrag für die Zeitschrift „Da schau her“, Trautenfels, 2003; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.