Sätze und Gegensätze

Das Leben zum Klingen bringen

Schon ganz am Anfang des Entstehens der Schriftenreihe „Sätze und Gegensätze“ stand fest, dass wir einen solchen Band der Gesamtdarstellung aller jener Aktivitäten des Steirischen Volksliedwerkes widmen werden, die unsere Institution weitum bekannt gemacht haben.

Die Vorarbeiten für diese Ausgabe haben aber ungewöhnlich viel Zeit in Anspruch genommen. Warum wohl? Vorher für uns selbstverständliche Aktivitäten, waren nämlich überraschend schwer in eine verständliche Sprache und gleichzeitig in eine, für diese Publikationsform notwendige Linie zu bringen. Gerade die unserer Arbeit zugrundeliegenden simplen Ideen – so sieht es auf den ersten Blick aus – haben tiefen Sinn und es galt, die Absichten und Einsichten für den Leser zu formulieren. Letztlich sollte dieser Band unsere erfolgreichen Ideen präsentieren, sie für andere zugänglich machen.

Die herbei geredete Innovation zieht nicht

Volksmusikpflege hat – auch noch jetzt am Ende dieses Jahrhunderts – den Anstrich des Beharrenden, des krampfhaften Festhaltens an verstaubten Traditionen. Allzu gerne üben wir uns deshalb im Überbordwerfen alles Bisherigen, vernachlässigen dabei aber die Pflege der Generationen- übergreifenden Substanz. Die neuerdings zwanghaft angesagte Innovation lässt aber auf sich warten. Seltsam, wie oft die Politiker und Medienleute in den vergangenen Jahren der Volksmusik – Runderneuerung das Wort geredet haben. Dies in Ermangelung eines besseren Zuganges zu dieser Musik und ohne Respekt jenen Menschen gegenüber, die in ihrer Musikanwendung keinen innovativen Nachholbedarf sehen. Wer etwas aufmerksam den jeweiligen Trend verfolgt, lernt eben am laufenden Band die Vergänglichkeit kennen. Welche Kraft erkennen wir aber nach wie vor in der musikalischen Überlieferung, in der Welt der Notwendigkeiten, in der Musik einem Lebensmittel gleichkommt!

Dem Museum näher als dem Leben?

In Fragen des brauchtümlichen Lebens und ebenso der Pflege von musikalischer Überlieferung scheint es so, als ob es nur zwei gegensätzliche Möglichkeiten der Entwicklung gäbe: Das kompromisslose Festhalten und damit das Leben mit immer wieder aufgewärmten Sitten – dem Museum näher als dem Leben. Oder aber das Überbordwerfen des Bewährten, das Vernachlässigen der Rituale. In beiden Fällen opfern wir die in Generationen entwickelte Qualität des Zusammenspiels von Bewährtem, Neigungen und schöpferischem Tun dem jeweils dominanten Zeitgeist. Es fehlt dann der Spielraum für die eigenen Fertigkeiten und Gefühle. Es fehlt aber auch an Wertschätzung gegenüber erworbenen Lebenshaltungen die es neuerlich zu überprüfen und weiterzugeben gilt. Erst diese Gegenüberstellung macht deutlich, welch großen Aufgaben sich das Steirische Volksliedwerk gestellt hat. Die Kenntnis aller Facetten einer schon im vorigen Jahrhundert einsetzenden Volksmusikpflege wirft ernste Zweifel auf, ob amtliche Eingriffe in das Feld musikalisch – brauchtümlicher Handlungen immer nur positiv waren.

Raus aus dem Volksmusik-Ghetto

Entscheidend für eine neu zu formulierende Volksmusikpflege war die Erkenntnis, dass sich die Volksmusik – vor allem in der pflegerischen Ausformung – in einem Ghetto befindet. Volkskultur ist zum Kult geworden und die Suche nach den Wurzeln zur Leerformel. Notenausgaben wurden zur Volksmusikbibel erklärt, Instrumentalbesetzungen als die „Originale“ bezeichnet. Es war offensichtlich, dass aus diesem Dilemma weder der musikpädagogische, noch der volkskundliche Ansatz heraushelfen konnte. Längst müsste es für die Volksmusikanten heißen: Raus aus dem Ghetto, aber Vorsicht vor aufgepfropfter Innovation und Bereitschaft zur Einsicht: Musik ist niemals alt oder von gestern – wir selbst viel eher. Dies hieße, dem Gefrierprozess entgegen zu wirken, mehr Neugierde und daher Begegnung zu ermöglichen. Nicht nur untereinander im erlesenen Kreis der Kenner und Liebhaber, sondern über die eigene Musikgattung hinausschauend. Zudem ist mehr Sinnlichkeit gefordert und Musik auch als beglückendes Nebenprodukt des Lebens anzuerkennen. In einer Zeit, in der uns Musik immer als fertiges Produkt begegnet, gewinnt das Erlebnis der Annäherung besondere Bedeutung. Das Unfertige vermittelt uns das Gefühl, dass wir selbst dabei sind und wachsen – als Trittbrettfahrer.

Mit dieser Ausgabe legen wir Ihnen nur einen Teil unserer Erkenntnisse und Ideen in die Hände. Vorerst in einem Band geplant, mussten wir bald erkennen, dass es eines weiteren bedürfen wird, um jedem Bereich unserer Arbeit den entsprechenden Platz zu geben. Um den Überblick zu ermöglichen, seien die hier fehlenden Bereiche aufgezählt:

Lieder haben lernen – so nennen wir unsere Seminarreihe, die alljährlich alte, neue und ungewöhnliche Methoden der Liedvermittlung vorstellt.

Meine Lieder – Deine Lieder – so nennen wir unsere neue Liederblatt-Reihe, in der einerseits Archivbestände zur Veröffentlichung gelangen und andererseits aktuelle Forschungsaufnahmen vorgestellt werden.

Musik auf Grazer Bauernmärkten Diese Veranstaltungsreihe dient der Begegnung zwischen den Marktfahrern, den Marktbesuchern und den Volksmusikanten.

Folk- und Volksmusik Dieses Forschungsprojekt untersucht die Entwicklung der Folkmusik in der Steiermark und ihre Nähe zur Volksmusik. Eine umfangreiche Sammlung wurde ins Volksliedarchiv eingebracht.

Volkstümliche Unterhaltungsmusik Unser Interesse an der Geschichte, an der Entwicklung und an der Volksmusik – Nähe dieser Musikgattung, ließ ein beachtliches Archivmaterial entstehen. Wir stehen mit den meisten steirischen Musikgruppen in Verbindung und laden sie regelmäßig zu Fortbildungsveranstaltungen ein.

Musik beim Wirt – und die damit verbundene Auszeichnung zur „Musikantenfreundlichen Gaststätte“ ist unsere wohl erfolgreichste Unternehmung. Wir widmen diesem wichtigen Thema demnächst einen eigenen Band in dieser Schriftenreihe.

Unser Leitbild – unsere Pressearbeit und damit unsere Firmenphilosophie soll ebenfalls Inhalt eines Beitrages werden.

Wenn Sie zu jenen Interessenten gehören, die sich keinen Band der Reihe „Sätze und Gegensätze“ entgehen lassen, so werden Sie in einiger Zeit auf die eben genannten Themen stoßen.

Ein schöner Erfolg und doch mancher Wermutstropfen

Das Steirische Volksliedwerk ist heute der Ansprechpartner für alle Fragen zur musikalischen Volkskultur. Hier verliert man sich nicht in Diskussionen was sein soll oder darf und was nicht sein darf – weder was die Volkstümlichkeit, noch was die veränderten Lebensumstände der Volksmusik betrifft. Hier herrscht Offenheit, Neugierde und Unternehmergeist, denn wir sind ein Dienstleistungsbetrieb, der seine ganze Kraft der Förderung der musikalischen Eigeninitiative und dem Aufbau des Steirischen Volksliedarchivs widmet.  Und dies seit Jahren mit zunehmendem Erfolg. Dass unsere Tätigkeit von der, dem Volksmusik – Pflegegedanken eher abweisend gegenüber stehenden Volkskunde und von den fachlich zuständigen Universitäten in der Nachbarschaft mit Interesse verfolgt und anerkannt wird, ehrt uns. Unser größter Wunsch aber wäre es, innerhalb des steirischen Kulturbetriebes mitwirken zu können, mitgedacht zu werden. Hier sind wir nach wie vor Bittsteller geblieben.

Allen Autorinnen und Autoren, meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie dem Verlag Weishaupt sei für das Zustandekommen dieser Präsentation unserer Arbeit gedankt. Besonderer Dank gebührt Herrn Univ. Prof. Viktor Herbert Pöttler, der uns seinen Beitrag als wichtige Ergänzung zu unseren Projektbeschreibungen zur Verfügung gestellt hat. Zuletzt und umso herzlicher gilt mein Dank unserem ehemaligen Vorsitzenden und nach wie vor mit uns verbundenen Hofrat Dr. D.I. Hubert Lendl, der sich mit seinem Wissen als lebenslanger Volksbildner zu Wort gemeldet hat.


Vorwort zum Band 6 der Reihe „Sätze und Gegensätze“, Graz, 1998; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.