Von Haus zu Haus: Neujahrwünschen in der Steiermark

Brauchtum zum Jahreswechsel

An der Stelle wo das alte auf das neue Jahr trifft, herrscht eine unheimliche Ruhe, kein Andock – Geräusch stört den Datumsprung, die Sterne erhellen das nächtliche Dunkel und so vollzieht sich ganz unspektakulär der Jahreswechsel.

Damit sind die Menschen offenbar nicht einverstanden und setzten in diesem Augenblick Zeichen – mit viel Getöse und Lichtspielen. Auch bei uns wurde das Sylvester – Feuerwerk schnell heimisch. Daneben hat sich der Steirer den musikalischen Neujahrsgruß bis heute erhalten, er feiert fröhliche Urständ…

Seit dem 16. Jahrhundert

Das hier geschilderte Neujahrsingen zählt, wie auch das Lichtmeß- und Sternsingen, zu den „Ansingebräuchen“. Deren Geschichte läßt sich bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen; hier dürften sie ihren Ausgang genommen haben. [2] Welche Veränderungen bis zur Jetztzeit auch immer vermerkt wurden, bis hin zur Tatsache, daß die Ansingebräuche auch immer wieder eine Möglichkeit boten, sich in Notzeiten ein Zubrot zu verdienen, so hat die Form des Von-Haus-zu-Haus-Gehens und des Ansingens der Nachbarn, nichts an Faszination eingebüßt. Heute vermerken wir eine zunehmende Aktivität der Neujahr- und Lichtmeßgeiger – wobei sich dieser Name nicht auf die Instrumentierung beziehen muß. Auch Bläser gehen „Neujahrgeigen.

Der Reiz des unwiederbringlichen Augenblicks

Die heutigen medialen Möglichkeiten sind auch dafür verantwortlich: Es ist der Anreiz verloren gegangen,  „live dabei zu sein“, weil es – wie die obige Erzählung mitteilt – auch ein anderes „live dabei sein“ gibt. Wir bemerken ein großes Bedürfnis nach Unmittelbarkeit, wobei die Unwiederbringlichkeit solcher Augenblicke dem Erlebnis einen besonderen Wert einhaucht. Volksmusik ist heute durch den Bildungsweg erlernbar, sie ist salonfähig geworden, hat die Bühne und die Medien erobert. Musik ist vielfach zum Selbstzweck geworden. Von der Lebendigkeit einer Musikgattung ist – so kann man durchaus kritisch anmerken – nur mehr Musik übriggeblieben. Die Ansingebräuche, vor allem das Neujahrgeigen sind ein letzter Hort der Ursprünglichkeit. Volksmusik hat hier eine Funktion zu erfüllen, die weit über die virtuose Interpretation eines musikalischen Werkes hinausgeht. Die Neujahrsgrüße persönlich von Haus zu Haus zu tragen ist ein alter steirischer Brauch, der jung geblieben ist.

Anmerkungen:
[1] Ugs. für Geld

[2] Vgl. Leopold Kretzenbacher, Lichtmeß-Singen in Steiermark. In: Das deutsche Volkslied 50, 1949, Seite 9 ff.


Airportjournal Graz, 4/ 1998; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.