Der Schnee von Gestern

Freilich ist es „Schnee von gestern“ wenn ich mich in dieser Kolumne dem letzten Winter zuwende. Den einen – zumal in der südlichen Steiermark – war er zu wenig schneereich.

Die anderen wiederum versetzte die weiße Pracht in Panik. Was zu viel ist, ist eben zu viel, auch bei angenehmen Nebenwirkungen: Der Wintertourismus schrieb mit dem vielen Weiß schwarze Zahlen.

Jammern auf gut österreichisch

Wie sehr der Frost und die Schneedecke aber ein Teil der Natur sind und zur Ruhephase gehören – wie es uns Ökologen nahelegen – geht beinahe unter, weil wir uns über glatte Fahrbahnen und verwehte Hauszugänge ärgern. Ich beobachte allzu gerne die Hilflosigkeit mancher Zeitgenossinnen und – genossen, ob solch schlimmer Naturgewalt, die uns klamme Finger und Kreuzschmerzen bescheren, weil wir in guter und frischer Luft zur Schneeschaufel greifen mussten.

Lassen wir aber die allzu menschlichen Nebengeräusche beiseite, dann bleibt uns die Faszination: Der erste Schnee verwandelt unseren gewohnten Blickwinkel in eine andere Welt. Das dominierende Weiß hält neue Bilder bereit, vertreibt alles Bunte und malt in Schwarzweiß eine nahezu heile und beruhigende Welt.

Die angenehmen Nebenwirkungen zählen

Die Schneedecke verändert auch die Akustik, denn alles erreicht uns nun gedämpft, manches Mal auch angereichert durch die unverkennbaren Schiebegeräusche eines Schneepfluges. Besonders schön ist es aber, dass die Schneedecke Flächen verbindet, die auf den Plänen im Vermessungsamt als getrennt ausgewiesen werden.

Damit nicht genug! Ich liebe geradezu die alles milder erscheinende Verkleidung durch den schneeweißen Zuckerguss: Das Kramasuri in den Hinterhöfen versinkt und lässt nur wenige Teile des Gerümpels ans Licht: Der Lenker eines Fahrrades, das Bögerl eines Ofenrohres und da und dort Teile der alten Kücheneinrichtung. Der Garten zeigt nur mehr ein paar Erhebungen, die vergessenen Krauthappl und die kreuz und quer in den Himmel zeigenden Bohnenstangen.

Der milde Schnee und die kalte Architektur

Noch gnadenreicher geht der schneereiche Winter mit den Bausünden um. Die flauschigen Umschläge können sogar den grauslichsten Wohnsilos noch etwas Liebliches und Rundes abgewinnen – leider nur für eine kurze Zeit.

Ja, jeder Zaunstipfl erhält seine zierliche Portion und am Kirchberg verleiht der Winter den Todesqualen des Gekreuzigten eine Portion Fröhlichkeit – mit einer schelmisch-spitzen Schneehaube.

Seien wir also dankbar für so viele neue Bilder in und um uns. Für eine so prachtvolle Veränderung und die damit verbundenen Vorteile, die nur der schneereiche Winter bietet: Er breitet seinen Mantel über all unsere groben und geschmacklosen Eingriffe. Die stehen uns gar nicht zu, weil wir nur Gäste auf Erden sind.


Pfarrblatt „Martinsbote/Laurentius“ des Pfarrverbandes Deutschfeistritz/ Peggau/ Übelbach, 2018; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.