Die überlieferten Ordnungen und die Macht des Zufalls
Manch herzerfrischende Sternstunde in froher Runde ist dem puren Zufall zu verdanken. Nein, präziser müsste es heißen: Die aller schönsten und köstlichsten Augenblicke liegen stets in der Verantwortung des Königs Zufall. Diese Erfahrung haben wir alle schon gemacht und wer nur ein einziges Mal den unwiderstehlichen Reiz des Unvorhergesehenen genossen hat, der wird forthin gegen jede Aufgesetztheit rebellieren.
Der Reiz der kleinen, zufälligen Begegnungen
Das Vorhaben aber, diesen einmal erlebten Überraschungseffekt ein anderes Mal wieder hervor zu zaubern, ist zum Scheitern verurteilt. Zu sehr spielt eine übersteigerte Erwartungshaltung im Unterbewusstsein den Bremsklotz. Die Sehnsucht nach der Wiederholung ist aber so legitim wie sie auch eine Sackgasse ist. Gerade deshalb sollten wir solchen Augenblicken huldigen und uns an das alte Sprichwort halten: Man soll Feste feiern, wie sie fallen.
Und die vielen überlieferten Anlässe…
Wie sehr wir auch die überraschenden kleinen Begegnungen ausleben und genießen, wir sind zugleich Kinder der fest verankerten Rituale, der immer wiederkehrenden Anlässe des Lebens- und Jahresfestkreises. Ob es sich um familiäre Feiern oder die zahlreichen Festtage des Kirchenjahres handelt: Sie werden zwar mit unterschiedlicher Anteilnahme, aber stets gerne wieder begangen. Ja, wir nähren uns von immer wiederkehrenden Ereignissen, sie sind nämlich die Haltegriffe im Zeitenfluss und Zeichen des kollektiven Befindens.
Noch mehr: Die stete Verfügbarkeit aller materiellen Dinge und allzu rasche Veränderungen unseres Lebensumfeldes, lassen uns die geordneten Überlieferungen wie Balsam erleben. Dabei steht die Faszination des Gleichbleibenden ebenso hoch im Kurs wie die Freude an deren variablen Gestaltung. Tischschmuck, Musikprogramm, Festreden, Kulinarik und festliche Kleidung sind Ausdruck einer immer wieder erneuerbaren Freude am Zelebrieren von Brauch, Gastlichkeit und Religion. Es ist ein periodisches Wiederentdecken grundlegender Werte. Dazu gehören Familiensinn und Glaube ebenso wie das bewusste Erleben der sich immer wieder erneuernden Natur.
Zeiten kollektiver Zuneigung…
Sie wollen den geballten vorweihnachtlichen Festausbruch als Klischee abtun und ihm entfliehen? Vergessen Sie vorerst die Zeichen des Konsumwahns und der glitzernden Accessoires. Das sind ja jene Reize, die zu den Äußerlichkeiten zählen. Wenn Ihnen Ihr Weihnachten am Herzen liegt, müssen Sie sich nicht verweigern und in Eventabstinenz verharren. Bei guter Planung Ihrer Erledigungen lässt sich selbst der Besuch im Einkaufszentrum genießen und macht trotz aller kommerzieller Überspanntheit der Situation auch empfänglich für die Botschaft: Ein Fest steht vor der Tür, es ist eines für das persönliche Lebensumfeld! Halbieren Sie Ihr vorweihnachtliches Pensum an Vorhaben und fokussieren Sie Ihre Absichten auf den wichtigeren Teil dieser Zeit: Auf Begegnungen und die Nähe zu Familie und Freunden. Zuhören können und zugleich von sich etwas hergeben, das ist das Geheimnis von vorweihnachtlicher Beschaulichkeit. Wir brauchen dazu mehr zeitliche Flexibilität. Dann stellt sich das begehrte Loslassen ein und auch ein tieferes Empfinden.
Feste auch anders feiern lernen
Das geht ganz einfach: Die Gelegenheiten beim Schopf packen, den Christbaum beim Waldbauern am Lande abholen und mit ihm am Küchentisch ein Stunde plaudernd verbringen. Den Weg zum Krippenspiel der Kinder zu Fuß zurücklegen und längst bekannte Winteransichten der Heimat neu entdecken. Jemanden Zeit schenken und unverhofft – mit dem Gugelhupf im Korb – aufsuchen. „Macht hoch die Tür, die Tor` macht weit…“ – so klingt`s beim Weihnachtskonzert. Gemeint sind nicht nur die Huldigung der Ankunft des Herrn oder die freudige Erwartung von Festgästen. Gemeint ist vor allem die Empfänglichkeit für das Schöne. Sie möge auch Ihre ganze Familie tagaus und tagein begleiten.
Kommt doch noch auf einen Sprung zu uns…
Um welchen Anlass es sich auch handelt, der Schritt über die Schwelle einer anderen Wohnung ist der Besuch hinter dem Bühnenbild. Die alltäglichen Begegnungen sind ja reduzierte Bilder. Sie sind frei von den Unzulänglichkeiten des häuslichen Alltags. Sie versperren uns die Sicht auf das Frühstücksgeschirr in der Abwasch, die Wäscheleine durch das Wohnzimmer, den umgekippten Mülleimer und die Spielsachen auf dem Küchenboden. Auch die handelnden Personen begegnen uns bisweilen mit Küchenschürze, im Pyjama oder gar mit bloßen Füßen. Es ist ein Einblick in die intimere Ecke des Lebens und deshalb ist eine solche spontane Einladung ein Zeichen der Vertrautheit. Wer hier willkommen heißt, lässt den Vorhang fallen und legt dem Gast sein Allerheiligstes zu Füßen: Seine vier Wände, die ihm Geborgenheit bieten. „Fühlt Euch wie zu Hause“ ist dazu die verbale Verstärkung der Offenlegung von einem ganz persönlichen Lebensstil, der nur auserwählten Menschen zugänglich gemacht wird.
Muss der hohe Gast ein König sein?
Der spontane Überfall lässt die Formel „Der Gast ist König“ verblassen, und die Bemerkung „…macht keine Umstände wegen uns“ ist nichts als eine traditionelle Formel, bevor sich die Rollen von Gastgeber und Gastnehmer vermischen. Ja, es ist sogar ein besonderes Zeichen, wenn der Hausherr den Gast in den Keller schickt, um Nachschub zu besorgen. „Gleich neben dem Lichtschalter findest Du die Stellage mit dem Apfelsaft“. Wer so vom König zum Diener wird, kann sich zu Recht als willkommener Gast im Hause fühlen.
Gwandhaus-Journal, Salzburg, Nr.13, 2011; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.