Wie modern ist Volkskultur?

Diese Frage macht vorerst neugierig und das ist gut so, denn der Vortragstitel beinhaltet zwei Begriffe – Mode und Volkskultur – die für sich schon einer Klärung bedürften. Ich möchte mich aber nicht in Grundsatzdebatten verlieren und gebe der Frage noch hilfreiche Untertitel, etwa: wie aktuell ist Volkskultur?, wie sinnvoll ist Volkskultur? und: wie wichtig ist Volkskultur?

Damit meine ich, dass Sie und ich der annähernd gleichen Frage nachspüren, ob nämlich Ihre Kulturarbeit zeitgemäß ist, oder aber unserer Zeit nachhinkt. Darauf eine Antwort zu finden, ist ein interessanter Auftrag, weil der Volkskultur ja immer auch ein bisschen Modergeruch anhaftet – zu unrecht, nach meinen Erfahrungen.

Die Angst vor dem Ablaufdatum

Warum also die Frage nach dem Modernsein? Modern sein muss ja nicht unbedingt  ein Vorteil sein, im „Modern sein„ ist nämlich das „Vorübergehend„ – besser gesagt: das Ablaufdatum bereits verpackt. Mode impliziert Kurzlebigkeit und die Jagd nach immer wieder einer neuen Mode. Volkskultur, wie wir sie kennen – eine Hinterfragung des Begriffs folgt sogleich – ist aber zuallererst eine Sache, die mit Tradition, mit dem Alten, mit Gewohnheiten und Bewährtem zu tun hat. Nebeneffekt: sie ist immer auch vom Untergangsgedanken begleitet. „Es is nix mehr wie friahra, dös wird’s a bold neama gebn„ – so sagen die Leute. Ist es da ein Wunder, dass wir das solchermaßen Bedrohte allzu gerne wieder modern gemacht hätten, konkurrenzfähig gegenüber dem Derzeit-Trend? Moderne Volkskultur ist aber trotzdem ein Trugschluss – wenn Sie und ich das Gleiche darunter meinen. Vielleicht sollten wir dies vorerst einmal feststellen?

Warum eigentlich Volks-Kultur?

Mit diesem Teil-Kulturbegriff dürften wir ja alle nicht zufrieden sein, denn im allgemeinen Sprachgebrauch ist damit der plakative, klingende Teil des traditionellen Kulturverhaltens gemeint. Chor- und Blasmusik – Ensembles können bereits nicht eindeutig gemeint sein, denn Blasmusiker und Chormitglieder spielen und singen längst auch modisches, klassisches Repertoire. Dass sie nach wie vor ein optisch traditionelles Bild abgeben, kirchliche und weltliche Rituale mitgestalten, macht das Fragezeichen hinter dem Wort Volkskultur noch lange nicht überflüssig. Und ist dann die Kultur eine ohne Volk? Wer macht dann die Kultur ohne Volks, wenn die Volkskultur eine vom Volk gemachte ist? Lassen wir daher geblasene Töne, trachtige Gruppen und Ziachorgelspieler weg und fragen ganz einfach: Was ist Kultur? Und hier gibt es nur eine Antwort, die für Modemenschen, Schickimicki-Menschen, Trachtenträger, Vereinshansln gleichermaßen gilt: Kultur ist das Lebensklima, welches wir uns selbst bereiten. Kultur hängt davon ab, welche Sitten wir uns auferlegen, welche Umgangsformen wir pflegen, wie wir zu einer Meinungsbildung kommen, wie demokratisch wir uns verhalten, wie wir es aushalten, dass wir etwas überhaupt nicht mögen, wie wir damit leben, dass uns vielleicht nur eine Richtung zusagt, wie wir mit dem neuen Leben umgehen, wie wir zu den Hilflosen, den Alten stehen, wie wir unsere Toten begleiten, verabschieden, wie wir streiten, Partnerschaften pflegen. Denken wir an die Esskultur, Begegnungskultur, Gesprächskultur, dann wissen wir mehr über den Kulturbegriff. Kultur ist darüber hinaus auch eine Frage des Lebenkönnens, nämlich der Arbeitswelt und der Bildungswege. Kultur ist aber auch: wie wir Neuem begegnen, die Moderne bewältigen, mit Klamauk auskommen.

Einen Teil für sich entdecken ……

Und: Kultur ist folglich auch, wie wir in Generationen gewachsenes Kulturgut behandeln, welchen Teil wir uns daraus abschauen, welchen Teil wir ins Museum stellen. Kultur ist es letztlich, sich aus einem Sammelsurium menschlicher Erfahrungen, Rituale, Erkenntnisse, Melodien, Tänze, Bräuche, jenen Teil für sich und die Gemeinschaft zu entdecken, der unserem Lebenssinn dient. Kultur ist, sich auch einmal von etwas zu verabschieden, Ballast abzuwerfen. Kultur ist es, diesen sogenannten Volkskulturteil wegen seiner Schönheit, wegen seinem Wert für Familie und Nachbarschaft mit dem modernen Leben, mit der sich verändernden Arbeitswelt, mit dem Medien- und Freizeitverhalten in Einklang zu bringen. Kultur ist es eben nicht, wenn wir Volkskultur als Ersatz, als Medikament gegen Wurzelsehnsucht anbieten.

Diesen kulturellen Standard könnte aber jeder für sich und die Seinen verwirklichen, zumindest aber einen gangbaren Weg von Irgendwoher nach Irgendwohin suchen. Unsere musikalisch und brauchtümlich tätigen Verbände sind da letztlich nur Orientierungshilfe, ein Angebot von vielen, Tradition in Gemeinschaft mit anderen zu leben und erleben. In Anbetracht dieses Begreifens von Volkskultur ist es einfach nicht relevant, ob eine Tanzgruppe dreizehnmal oder hundertdreißigmal jährlich auftritt, ob die Blasmusikkapelle dreißig oder achtzig Mitglieder zählt.

Kultur leben oder programmieren?

Kulturprogramme hingegen, mit einem in der Gemeindestube erstrittenen Budget zu erstellen, ist eine leichte Aufgabe. Hier wird organisiert und finanziert, damit uns andere, vielfältige Kultur näher gebracht wird, damit wir einmal im Kabarett lachen dürfen, damit wir große Künstler aus der Nähe sehen, dem Medienstar einmal die Hand schütteln, einfach die breite Palette musischer Künste kennenlernen dürfen. Es ist durchaus eine verantwortungsvolle Aufgabe und auch eine Frage des geschickten Managements. Das richtige Maß zu finden aber, zwischen diesen Kulturankäufen und dem Umgang mit örtlichen Kulturträgern – da bedarf es eines breit angelegten Kulturverständnisses. Unsere Inhalte sollten dabei sein, wenn in der Gemeindestube von Kultur und Kulturprogramm gesprochen wird. Die Bedeutung von Volkskulturarbeit ist daher nicht am Modernsein zu messen und nicht daran, welchen Rang, Sendezeit oder Popularität sie sich im Kulturgetriebe zu erobern vermag, sondern wie sehr sie Kultur im weitesten Sinne hat, dem Zusammenleben dient, die Generationen verbindet, wie sehr sie ihre so plakativen und klingenden Inhalte einem besseren Leben dienlich macht, sie als Lebensmittel einsetzt. Hier geht es nicht um Zeitgeist sondern um Werthaltungen die dem Zeitgeist nicht zu unterwerfen sind. Also: das Bild vom besseren Leben ist gemeint, wenn es uns laut Vereinsstatuten um die Erhaltung unserer Tradition geht.

Die geänderte Lebenswelt erfordert Korrekturen unserer Prinzipien

Es muss uns auch bewusst sein, dass sich die Lebenswelt seit der Aufzeichnung von Liedern, Tänzen und Brauchtum geändert hat. Die Erinnerungen an Tradition – vom Volkstanz bis zum Volksgesang – reichen in eine kargen Zeit zurück. Musik, Tanz und Gesang waren den wenigen Gelegenheiten im Jahreslauf untergeordnet. Feiern war nicht Selbstzweck, niemand hat sein bestes Gewand nur zwecks Liebhaberei angezogen, niemand aus einem nichtigen Grund gejodelt, aus Pflegeabsicht gesungen, für die CD-Aufnahme gespielt, als Volksmusikliebender Flügelhorn geblasen. Es war kein Neigungsgruppen-Verhalten, alles hatte seine Ordnung im Jahres- und Lebenslauf, es war eine Welt der Notwendigkeiten und Abhängigkeiten. Bitte: keine Hymne auf die gute alte Zeit, dafür aber könnten wir uns vornehmen, die heute spürbaren musealen Verhärtungen gegen eine Prise Brauchbar- und Nützlichkeit auszutauschen. Dazu sollten wir unsere Absichten neu definieren und zu bewerten. Vielleicht entdecken wir jene Seiten unseres Tuns, die mit dem uns eingeprägten Volkskulturbild nichts mehr zu tun haben. Es sind wahrscheinlich die wesentlicheren.


Impulsreferat anlässlich der Brauchtumswoche in Lofer, 10/2000;  Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.