Von wo kommt Musik her?

Mir sei die Musikalität bereits angeboren, so höre ich es des Öfteren und da kann ich nicht einmal widersprechen. Allerdings bin ich da keine Ausnahme, denn wir alle kommen als Sängerinnen oder Sänger zur Welt. Es wäre durchaus unsere Aufgabe, diese Anlagen nicht verkümmern zu lassen.

Daher ist es nicht unwesentlich, wo man hineingeboren wird, in welche Familie. Insofern hatte mein Vater recht, der gerne schalkhaft anmerkte: „Man kann bei der Auswahl seiner Eltern nicht vorsichtig genug sein“.

Klangwolke als Musikerziehung

Ich hatte also unglaubliches Glück und erinnere mich gerne an jene Klangwolke, die ich als Kleinkind schon miterlebte. Sonntag für Sonntag waren wir einer Gehörerziehung ausgesetzt, die ich erst heute richtig zu schätzen weiß. Die kleine Wohnung war erfüllt von jenen Werken, die sonst nur den Konzertsälen vorbehalten waren. Bruckner, Haydn, Mozart, Bach, Schubert, Dvorak, Mendelsohn und Beethoven wurden nur von der damals beliebten Sendereihe „Wer ist der Täter?“ verdrängt. Wir – meine Geschwister und ich – waren Ohrenzeugen und Augenzeugen der großen Musikwelt und der damaligen technischen Möglichkeit – der Schellack-Ära. Der Vater im Lehnsessel und wir am Musikschrank, wo sich die schwarze Scheibe stundenlang drehte….

Der Musikunterricht hatte bei uns Zuhause den gleichen Stellenwert wie das Erlernen des Schreibens, Lesens und des Rechnens, Musik zählte zu den Lebenswerkzeugen. Erst viel später habe ich verstanden, in wie viele andere Lebensbereiche die Musik „hineinspielt“, wie sehr dieses klingende Gestalten den anderen Fertigkeiten des Lebens dient.

Neben Bildung auch Herzensbildung

Meine Eltern hatten niemals geplant, uns in die Musikerlaufbahn einzuführen. Gerade erst war unser Geschäftshaus im Ennstal entstanden und es sollte die Existenzgrundlage für die große Familie sein. Musik war also einerseits eine Erziehung zu Ausdauer, Durchhalten und Disziplin. Meine Eltern wollten uns damit eine schönere Welt eröffnen, Herzensbildung mitgeben – nach all den Kriegswirren zuvor und inmitten einer kräfteraubenden Aufbauzeit. Musik lernen und in der Familie praktizieren war – so erinnere ich mich – immer vortrefflich zwischen Lust und Leistung angesiedelt. Und sie war Ausgleich für schlechte Schulleistungen, zugleich auch Aufputz in einer an Lebensmittel und Unterhaltungen kargen Zeit, die ich als Kind dennoch nur glücklich in Erinnerung habe.

Ein Netzwerk: Musik verbindet

Die Eltern kamen aus dem städtischen Bereich (Klosterneuburg und Graz) und fanden zur ländlichen Lebensart ihren eigenen Zugang. Die Hinwendung zur Musik und dann zur Volksmusik war vor allem ein Mittel zur Gemeinschaftsbildung. „Jugendbewegt“ wie sie waren, haben sie die positiven Seiten ihrer Vorkriegs-Jugenderlebnisse ihren Kindern und Freunden weitergegeben. So entstand nach der Bildung der eigenen Familienmusik ein weit verzweigtes Netz an freundschaftlichen Beziehungen im In- und Ausland und zu ebenso denkenden Familien und Persönlichkeiten wie etwa zu Fritz Frank, dem steirischen „Volkstanzmotor“. Eine solche Beziehung – zur Familie Pietsch – führte später zur Bildung der „Steirischen Tanzgeiger“ und damit auch zu meiner anhaltenden Freundschaft und beruflichen Zusammenarbeit mit Rudi Pietsch.

Das bäuerliche Umfeld als Lernprozess

Meiner Frau und meiner neuen Heimat (die nördlichste Weststeiermark) verdanke ich aber den Bezug zum bäuerlich-musikalischen Denken, zu Lebens- und Jahreslauf. Diese Lebensweise zu verklären („bodenständig, traditionell, echt und original“) liegt mir nicht im Sinn. Dazu ist sie viel zu normal, eben von Notwendigkeiten geprägt. Es ist ein lebhaftes und erlebbares Feld, an dessen Gestaltung man auch seinen Anteil hat – und sei es im musikalischen Bereich.

Das alles hat mich auch beruflich interessiert, habe in Befragungen der Musik der Vorfahren nachgespürt und gelernt, darüber zu berichten, die Ergebnisse dem Volksliedarchiv einzubringen, dessen Leiter ich inzwischen wurde. Und was die vielgepriesene Überlieferung betrifft, so ist es in meiner eigenen Familie gelungen, den Kindern die Lieder in den Mund zu legen und ihnen – ebenso wie dazumal in meiner Kindheit – Gelegenheit zu geben, die vorhandene musikalische Ader zu entwickeln.

Das Handwerkliche und das Künstlerische

Die „Citoller Tanzgeiger“ sind aus der Familie Pabi und Härtel im kleinen Ort Zitoll entstanden. Sie fühlen sich einer Musikantenzunft zugehörig, deren Spuren in der näheren Umgebung noch erlebt und verfolgt werden können. Dieser Zeit als suchender Tanzmusiker verdanke ich vielerlei Erkenntnisse. Zum einen, dass Musikantentum mehr mit dem Handwerklichen als mit dem Künstlerischen zu tun hat. Zum anderen, dass es eine große Sehnsucht nach den alten Liedern gibt. Ist Volksmusik also gleich Rückständigkeit? Mitnichten – die Sehnsucht nach bereits Verflossenem ist ja nur ein Gegenspieler unseres gestörten Umgangs mit der Vergänglichkeit. Unsere Lieder sind durch den Rückgriff auf Großvaters Lieblingsmelodien und unsere Weitergabe an die Enkelkinder schlicht und einfach lebensverlängernd. Es ist eine lustvolle Gratwanderung…

Dem Augenblick verpflichtet

Aus all dem Gesagten, entspringt aber auch meine Skepsis gegenüber jedweder überregionalen Bedeutung und medialen Erfolgen der Citoller. Der Platz den wir im Gefüge unserer Umgebung und unserer Mitmenschen einnehmen, macht verständlich, warum wir uns allzu gerne und mit voller Kraft dem Augenblick verpflichtet fühlen und ihm unsere ganze Zuneigung gilt.


Text zum Begleitheft des „Pongauer Hahn“, 2000; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.