Der Bittsteller

Satirische Betrachtungen eines Leidgeprüften

Die Türschnalle lag so etwa zwei Handbreit über meiner Augenhöhe, die große Tür in weißem Schleiflack ließ sich trotzdem leicht öffnen, der gebohnerte Holzboden krachte, als ich den ersten Schritt tat.

Vielleicht wäre es doch besser gewesen, mein Ansuchen schriftlich einzureichen, war doch mit der Fixierung eines Vorsprachetermins ein gehöriger Aufwand verbunden. Etwa zweieinhalb Monate ist es her, seit der erste Versuch unternommen wurde, mit dem Herrn ins Gespräch zu kommen. Mehrmals wurde der Termin verschoben und jetzt war es soweit. Da ist ja noch eine Tür, ebenfalls hoch, ebenfalls weiß, die Türschnalle ebenso gerade noch erreichbar. Ich nenne meinen Namen und meine Absicht und werde aufgefordert, Platz zu nehmen, denn der Herr wird gleich…

Das überaus dehnbare Momenterl

Die Vorzimmererscheinung entschlüpft durch eine weitere – wie oben – beschriebene Türe ins Nebenzimmer. Ich lege meine Begrüßungshand bereits in Positur, bereite mich innerlich auf die Begegnung mit dem hohen Herrn vor, habe augenblicklich später das selbe Fräulein vor mir, das mich bittet, ein „Momenterl“ Platz zu nehmen. Freilich kann sie nicht wissen, was für eine langjährige Erfahrung ich mit diesem Wort auf dem Buckel habe. Mein Blick erfasst die Tapeten, Gemälde und Parkettboden, die schlechte Haltung der Sekretärin, den Papierkorb. Was mag in dieser runden Öffnung alles schon verschwunden sein? Es war doch besser, persönlich herzukommen.

Auf „Bitte warten“-Modus eingestellt

Während ich mein Ansuchen in mich einlese, wird durch die Stille im Raum der Abstand zwischen mir und Herrn immer größer, es sinkt mein Selbstwertgefühl. Ich greife zum Kragen und überlege, ob nicht doch eine Krawatte mein Auftreten abgerundet hätte. Ein Blick auf meine Schuhspitzen ist Anlass für Selbstkritik. Im lautlosen Selbstgespräch nenne ich mich „Ich Bittsteller, ich“. Inzwischen hat sich die Sekretärin in ein Telefongespräch vertieft und ich beseitige mit meinem Taschentuch verstohlen die Flecken am Schuh. Nebenbei bin ich Zeuge des Telefongesprächs: „Dann bedeckst du die Erdäpfel mit Wasser und stellst sie auf die kleine Platte. Ja, nein… kann nichts passieren… hast du Michael eingeladen? Etwa halb sechs. Nein – die kommt ja so nicht, aber eingeladen – ja sonst hör ich das wieder wochenlang…“

Was man nicht alles dazu lernt. Das „so tun als ob“ hat also Saison! Ich nehme die Anregung gerne auf und formuliere meine Bitte um – in eine Forderung. Die Summe runde ich einfach auf – man kann nie hoch genug anfahren.

Die lange Reihe der Bittgänge

Wie lange mach ich das nun schon? Alljährlich zwei Dutzend Subventionsansuchen zusätzlich etliche Schnorrbriefe an den Herrn Baron, den Industriellen, an Politiker aller Farbschattierungen. Kanäle hab ich gegraben wie eine Baufirma, doch leider ist’s nur ein Rinnsal geworden. Unterbrechung durch die Vorzimmerdame: „Der Herr lässt bitten…“ Nun hätte ich fast den Augenblick versäumt. Da hör ich schon feste Schritte, verspüre einen kräftigen Händedruck, Entschlossenheit, einen Schlag auf die Schulter und so als Anzahlung verspüre ich eine Spur von Freundschaft. Dann hör ich die Worte: „Wie geht’s mein Freund?“ Formulierungen hin und her, gleichzeitig ein Sich-hinein-bewegen ins „Allerheiligste“. Neue Tapeten, noch schönere Luster, größere Bilder und der nächste Telefonanruf.

Der Herr telefoniert seit geraumer Zeit und überlässt mich meinen Gedanken. Woher kennen wir uns eigentlich? Es muss ein gesellschaftliches Ereignis gewesen sein, das uns zusammengeführt hat. Dann ging alles schnell: Ein Prost / Sag doch auch Du zu mir / Ich heiße Es lag nahe, eine private Bekanntschaft für dienstliche Zwecke zu gebrauchen. So ist auch dieser Termin zustande gekommen, doch habe ich mir nicht zuviel erwartet?

Ein Schock: Auch er ist Bittsteller

Er telefoniert noch immer. Es muss sich um einen Kollegen (von mir) handeln, das geht ganz eindeutig aus den Gesprächsfetzen hervor: „Ja – ich mag nicht kleinlich sein / wir befinden uns in einer schwierigen Situation / gib mir was Schriftliches in die Hand / Du weißt – ich allein kann das nicht entscheiden / wenn es nach mir ginge…“

Also so ist das! Ich habe mir eigentlich eingebildet, dass die Zuständigkeit höchstpersönlich mein Gesprächspartner sein wird. Nach einigen Minuten der Enttäuschung macht meine Stimmung einen Purzelbaum. Wie bedaure ich nun Herrn, der ja rein gar nichts entscheiden kann, dessen Hände gebunden sind, der wiederum nur Bittsteller in seinem Gremium ist. Und ausgerechnet er wird von Bittstellern umlagert. Ich sollte es bei der Freundschaft belassen. In welcher miesen Rolle befinde ich mich? Immer auf hoffnungsfroher Tour im erbitterten Kampf um Zuwendung, eine neue Art von Rhetorik sich aneignend. Ich habe viel gelernt, wundere mich oftmals selbst, wie unterschiedlich man ein und dasselbe Anliegen für verschiedenen Gesprächspartner formulieren kann.

Viel erreicht: Schulterklopfen

Dann ist es soweit, der hohe Herr hat endlich Zeit: Aufmunternde Worte – wo waren wir letztes Mal beieinander – ach ja – Exkurs über schwierige Zeit / große finanzielle Probleme auf seiner Seite – trotzdem Interesse an meinen kleinen Sorgen, Weitergabe meiner Bitte an den zuständigen Herrn / Unterbrechung durch Sekretärin: „Der nächste Besucher ist da“ / Dank für meinen Besuch / noch ein bisschen persönliches Geplänkel / Schulterklopfen.

Als ich die – wie oben beschriebene Tür – von außen schließe, ist der Messinggriff – der ja nur mit gestrecktem Körper erreichbar ist – überflüssig geworden. Ich benütze den rechten Absatz um meiner Vorsprache – nicht ganz geräuschlos – ein Ende zu setzen. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass sich die Zuständigen nicht zuständig fühlen und dass sie nicht zuhören, wenn sie etwas zu hören bekommen. Jenes freundschaftliche Schulterklopfen, der Doppelhändedruck – nämlich das Anfassen einer Hand mit zwei Händen – und das private Geplänkel kann Anteilnahme, Interesse und Zuwendung am Thema nicht ersetzen.

Am Ende des langen Ganges, auf dessen glatten Steinplatten durch den Abrieb meiner Gummisohlen der Abgesang erklingt, blicke ich zurück zur hohen Doppeltür in dessen weißen Flächen sich der dunkle Gang spiegelt. Es ist nichts dahinter – auch nicht am Dahinter!


Der Vierzeiler, 11/1992; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.