Das Grazer Glockenspiel

Mechanische Musik fasziniert seit jeher die Menschen. Musik als eine solch elementare menschliche „Ausscheidung“ entzieht sich, sobald sie programmiert ist, der unmittelbaren Kritik. Das musikalische Werk steht im Schatten, es glänzt das Werkl und dessen Betreiber.

So sind mechanische Musikmaschinen eher dem Maschinenpark zuzurechnen als der Musik schlechthin. Die Faszination am technisch Möglichen steht an erster Stelle, das musikalische Werk wird nur transportiert. Das Grazer Glockenspiel ist hier keine Ausnahme. Mehrmals täglich setzt es sich in Bewegung, macht das Klangbild zum Wahrzeichen dieser Stadt, wie das Werk selbst eines ist.

Zur Geschichte des Grazer Glockenspiels

Gottfried Simon Maurer erwarb 1884 das aus dem 16. Jahrhundert stammende Haus auf dem Fliegerplatz, heute Glockenspielplatz. In seiner Eigenschaft als Geschäftsmann kam er weit herum. Auf seinen Reisen nach Deutschland, Belgien und den Niederlanden sah er viele Glockenspiele, die offenbar großen Eindruck auf ihn machten. So war es nicht verwunderlich, dass er sich entschloss, auf seinem Haus ebenfalls eine derartige „Attraktion“ errichten zu lassen. 1903 genehmigte der Magistrat Maurers Vorhaben. Schon zwei Jahre darauf, zu Weihnachten 1905, erklang das Glockenspiel zum ersten Mal. Die Eisenkonstruktion des turmartigen Dachreiters, der das Herz des Glockenspiels beherbergt, entstammte den Plänen des k.k. Professors und Architekten Friedrich Sigmundt. Der mechanische Teil des Glockenspiels, das Spiel- und Uhrwerk, wurde von der Fa. Ed. Korfhage & Söhne aus Buer (Hannover) geliefert. Das Uhrwerk befindet sich im untersten Teil des Turmes. Es ist eineinhalb Meter breit und zwei Meter hoch. Hier werden die Viertelstunden- und Stundenschläge ausgelöst, auch das Spielwerk bekommt von hier den Impuls. Da sich im Uhrwerk ein kleines Ziffernblatt befindet, können auch die Zeiger der Außenuhr ohne weiteres reguliert werden. Die Gewichte dieser Uhr werden durch einen Motor jede Stunde gehoben, so dass das Werk stets aufgezogen ist.

Die Musik, die von 800 Stahlstiften dirigiert wird

Zweimal am Tag um 11 und 18 Uhr setzt ein kleiner Hebel über zwei Gewichte von je 200 kg die Spieltrommel, die sich über dem Uhrwerk im mittleren Teil des Turms befindet, in Bewegung. Die 220 cm lange und etwa 100 cm im Querschnitt messende Trommel oder Walze wiegt 800 kg und ist mit 22.500 Löchern versehen. Maximal 800 Stahlstifte stehen zur Verfügung, um meist drei, möglichst gleich lang dauernde Melodien zu setzen. Diese Stifte lösen bei Drehung der Walze die durch Drähte verbundenen Hämmer der Glocken aus. Die 24 Glocken stammten ursprünglich aus der Hofglockengießerei Peter Hilzer zu Wiener Neustadt. Sie überdauerten wohl den ersten Weltkrieg. Ihr Schicksal ereilte sie aber dann doch im April 1943, als sie zur Einschmelzung für Kriegszwecke abgenommen und weggeschafft wurden. Bis zum 22. September 1956 schwieg das Grazer Glockenspiel. An diesem Tag erklangen wieder die von der Stadt bei der Fa. J. Grassmayr in Innsbruck in Auftrag gegebenen 24 neu gegossenen Glocken – zur großen Freude der Grazer. Das „Tanzende Steirerpaar“, ein Werk des k.k. Professors und Bildhauers Georg Winkler, erscheint zu den Spielzeiten hinter sich mechanisch öffnenden Butzenscheibenfenster im Giebel des Hauses. Auch sie sind mit dem Uhrwerk gekoppelt und werden über Sternräder gesteuert.

Jeweils acht Minuten und dann folgt der Hahnenschrei

Am Ende jeder Vorstellung – sie dauert maximal 8 Minuten  – bevor sich die Fenster wieder schließen, beginnt ein, ebenfalls von Georg Winkler, über der Uhr am obersten Rand des Hausgiebels angebrachter Hahn mit den Flügeln zu schlagen und mehr oder weniger gelungene Krächzlaute auszustoßen. Die Bewegungen werden durch ein eigenes, mit dem Hauptwerk gekoppeltes Werk ausgelöst, während ein Blasbalg, der in dieses Werk integriert ist, die Laute hervorbringt.

Das Grazer Glockenspiel befindet sich nach wie vor in Privatbesitz. Die Stadt Graz hat lediglich für die Umsetzung der Melodienfolge Sorge zu tragen, die durchschnittlich 4 Mal pro Jahr vorgenommen wird.

Neue Melodien werden gesucht!

Nun sucht das Kulturamt der Stadt Graz neue Melodien für das Grazer Glockenspiel und das ist nicht so einfach. Nicht jede Melodie eignet sich, um vom Glockenspiel gut vorgetragen zu werden. Da die Glocken ausklingen müssen, sind vor allem hintereinander gereihte gleiche Achtelnoten zu vermeiden. Die Lieder sollen 16 Takte haben, können in jeder beliebigen Tonart, im 3/4 oder 4/4 Takt stehen. Es eigenen sich ein – bis zweistimmig gesetzte Lieder.

Glockenspiel – Lieder – Wettbewerb

Gesucht werden neue Lieder (Eigenkompositionen oder deren Bearbeitung für Glockenspiel) die vom Grazer Glockenspiel wiedergegeben werden können. Jedes Lied, das in das Glockenspielrepertoire übernommen wird, prämiert die Stadt Graz mit einem Betrag von öS 2.000,– (Damit sind alle Rechte an die Stadt Graz abgetreten.)

Einreichung

Die Kompositionen müssen in Notenschrift vorgelegt werden.

Bewertung

Die geeigneten Melodien werden von einer Jury ausgesucht und die Liedkomponisten bis zum 1. April 1993 verständigt. Einsendungen sind bis spätestens 1. Februar 1993 an das Steirische Volksliedwerk, Graz zu richten.

Mechanisch-technische Finesse und menschliche Verspieltheit

Die letzte öffentliche Führung ins Glockenspiel gab es während der Kriegszeit. So ist mein Besuch anlässlich der Recherchen für diesen Beitrag eine Ausnahme. Mitten im Glockenspiel zu stehen und die mechanischen Abläufe zu beobachten ist ein Erlebnis besonderer Güte. Da öffnen sich die Glasfenster, drehen sich die menschengroßen Tanzfiguren anmutig und graziös und am Schluss des klingenden Spiels gibt der Hahn auch noch einen Schrei von sich. Es ist ein Zusammenschluss zwischen mechanisch-technischer Finesse und menschlicher Verspieltheit. Ganz oben gestattet man mir einen Blick auf die Glocken, deren Reihenfolge des Anschlags zwei Stockwerke tiefer bestimmt und präzise übertragen wird. Rundum Giebel, Schornsteine, Dachflächen – gleichbleibende Formen, Steine, Mauern als Kontrast zur Beweglichkeit und Erneuerbarkeit einer Klangmaschine.

Später im Cafe Glockenspielplatz erwarten wir den nächsten Spielablauf und beobachten die Zuhörer, deren Blick zum Dachgiebel gerichtet ist. Jene mit dem Stadtführer in der Hand, auf das musikalische Spektakel wartend und jene, die mit der Einkaufstasche bewaffnet, dem eiligen Schritt Einhalt gebieten um sich bei klingendem Spiel eine kleine Pause zu vergönnen.

Der Herr des Glockenspiels ist dem Werkl treu geblieben

Meinem Gegenüber huscht ein Lächeln über das Gesicht. „Die Leute haben Ihre Freude an dem Spiel“, meint Franz Batkovic, der langjährige Betreue und Melodiensetzer des Glockenspiels. Der pensionierte Elektriker wohnt am Südhang der Grazer Platte und kommt einmal wöchentlich zur Spiel-Kontrolle nach Graz. Etwa 1 Stunde wendet er für sein „Service“ auf. Die Umstellung auf Sommerzeit und Normalzeit sind jährliche Pflichttermine. Störungen gibt es vor allem wegen der Temperaturänderungen. Dank seiner sorgsamen Betreuung ist das Glockenspiel täglich in Betrieb. Vielleicht schon bald mit einigen neuen Melodien?

Das bisherige Repertoire

Znachst hån i a Roas gmåcht/ Glockenspielländler/ Hoch vom Dachstein an/ Stille Nacht, heilige Nacht/ O du fröhliche, o du selige/ Fein sein, beinånder bleiben/ Hobellied („Der Verschwender“)/ Alle Vöglein sind schon da/ Judenburger G’läut/ Wånn der Auerhåhn bålzt/ Steirischer Jodler/ Steirisches Schützenlied/ Die Zauberflöte/ Zwoa schneeweiße Täuberln/ Überm Bacherl steht å Hütt’n/ Verlåssen, verlåssen bin i/ Dirndle sei nur gscheit/ Bua willst auf die Ålma gehen/ Gibt’s denn går kann Weg,…/ Die Gamsaln/ Glöcklein kling/ Erzherzog Johann Lied/ Von der Kapler  Ålm/ Lied des Alfred („Die Fledermaus“)/ Schnadahüpfln/ Ihr Kinderlein kommet/ Steirischer Vierzeiler/ Üb immer Treu und Redlichkeit/ Blaue Fenster, greane Gatter/ Das Steirerland/ Mein Herz und mein Sinn/ Der Steirerbua/ Es wird scho glei dumpa/ Still still…


Der Vierzeiler/ 3-4/1992; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.