Steirische Tänze in ­Moskau

Mir san von dera Geg’nd, wo die lustig’n Leit leb’n!“ – Dieser Volksliedtext kam von ganzem Herzen und aus voller Kehle. Sind doch diese Worte, verbunden mit der alpenländischen Volksliedmelodie, eine Art Visitenkarte unserer freieren westlichen Welt. Und wo hätte dieser Ausdruck an Freiheit mehr Geltung und Kontrast gefunden als im östlichen Teil unseres Kontinentes, der UdSSR?

Warum es uns nach Russland zog?

Anlässlich des 15jährigen Bestandsjubiläums der österreichisch-­sowjetischen Gesellschaft erging eine Einladung an den Sing- und Tanzkreis der Grazer Alpenvereinsjugend mit der Bitte, die Festlichkeiten in Moskau mit volkstümlichen Darbietungen zu umrahmen. Dreißig junge Menschen hatten dadurch die Gelegenheit, zwei sowjetische Städte, nämlich Moskau und Baku (am Kaspischen Meer) kennenzulernen und sich gleichzeitig mit Tanz, Lied und Musik in diesem Land vorzustellen. Unter der bewehrten Leitung von Fritz Frank (Landesjugendreferat) begaben wir uns also auf diese interessante Reise.

Annäherung an Moskau

In Wien-Schwechat stand bereits eine Maschine der russischen Fluggesellschaft „Airoflot“ bereit, um unsere Mädchen und Burschen, Geigen und Bassgeigen den ersten Abschnitt einer 9000 Kilometer langen Flug­reise zu befördern. Abgesehen davon, dass einige Mitreisende ihren ersten Flug erlebten, waren es doch alle, die nach zweieinhalbstündiger Reise das erste Mal Moskau bei Nacht aus der Vogelperspektive sehen konnten. Von einem „Überblick“ konnte nicht die Rede sein, denn Moskau (9 Mill. Einwohner, mit Vororten 14 Mill.) schien auch am Horizont kein Ende nehmen zu wollen. Zu dieser ungewöhnlichen Größenordnung gehört es auch zu wissen, dass dieser Stadt fünf Flughäfen zur Verfügung stehen und eine, rund um die Stadt angelegte Autobahn eine Länge von 109 Kilometern aufweist. Mos­kau meldete übrigens am Vortag des Fluges den ersten Schneefall des kommenden Winters. Deshalb wurde bereits vor der Landung jeder Mantelkragen auf „Winter“ umgestellt.

Die vielen, prachtvollen Zwiebeltürme als Wahrzeichen

Dank der offiziellen Einladung wurden für die österreichische Delegation die üblichen Zollvorschriften sichtlich erleichtert, und kurze Zeit später waren wir im Hotel „Tourist“ (mit Blick auf die Leistungsschau der Sowjetrepubliken) einquartiert. Die folgenden Tage in der sowjetischen Hauptstadt waren anstrengend, interessant und erlebnisreich. Neben Stadtrundfahrten, die zu zahlreichen historischen Sehenswürdigkeiten führten, besichtigten wir auch die Kreml-Schatzkammer, eine Bildergalerie, erlebten die Wach­ablöse beim Lenin-Mausoleum, den roten Platz und Führungen in zahlreichen Kathedralen, deren prunkvolle Zwiebeltürme weit über die Dächer Moskaus zu sehen sind. Wir besuchten auch eine Aufführung des Don Carlos im Kreml-­Theater und taten damit einen kleinen Blick in das künstlerische Geschehen der Hauptstadt der UdSSR. Der Besuch des Lenin-Mausoleums stand für den dritten Tag des Moskau-Aufenthaltes am Programm. Diese Pilgerstätte aller Sowjetbürger und der Bürger der Ostblockländer wird täglich von 10–15.000 Menschen besucht. Nach mehreren Stunden Wartezeit, die selbst den Leder ­bekleideten Steirern die Kälte in die Zehen trieb, sahen wir – nach mehreren Sicherheitskontrollen durch die Staatspolizei – die sterbliche Hülle von Wladimir ­Iljitsch Lenin.

Steirische Gastspiele

Zwei volkstümliche Gastspiele waren für Moskau vorgesehen: Im Norden Moskaus kam es zu einer Vorstellung im Saal der Eisenbahner Gewerk­schaft. Danach sangen, spielten und tanzten wir im Haus der Völkerfreundschaft, anlässlich des Festaktes zu den Feiern „15 Jahre Österreich-sowjetische Gesellschaft“. Dieser Auftritt, im Beisein des östereichischen Botschafters, der sowjetischen Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie des Ehrenmitgliedes dieser Vereinigung – Kosmonaut P. Popowitsch – war ein großer Erfolg für die steirische Delegation. Ein gut vorbereitetes Programm mit Fahnenschwingern, Alp­hornbläsern, Schwegelpfeifern, einem Jodlerterzett und einigen Instrumentalsoli auf alten steirischen Volksmusikinstrumenten konnte das erlesene Publikum vollauf begeistern. Der kräftige Applaus galt vor allem auch den schwungvollen Volkstänzen, dem originellen Volksmusiksextett und dem Volksliederchor, der einige ausgewählte Lieder zu Gehör brachte. Chorleiter Karl Heinz Donauer verstand es, auch die Zuseher in das Geschehen auf der Bühne mit einzubeziehen.

Die Botschafter in der Botschaft

Ein Besuch in der österreichischen Botschaft beschloss den Aufenthalt in Moskau. Die für uns ungewohnte Konsumgüterknappheit in den Geschäften bewirkt, dass sich große Menschenmengen stundenlang vor den Geschäftslokalen anstellen müssen. Über diese Tatsache und viele andere Dinge war jedoch von unserer russischen Reiseleiterin „Natascha“ keine Erklärung zu erwarten. Botschafter Heimerle und seine Gattin waren hingegen äußerst interessante Gesprächs­partner, die den Wissensdurst der Grazer Mädchen und Burschen vollauf befriedigen konnten. Kurze Zeit später bestiegen wir wieder einen Düsenjet und landeten nach dreistündiger Flugzeit in Baku am Kaspischen Meer.

Aserbaidschan, am kaspischen Meer

Von Baku (1,2 Mill. Einwohner), der Hauptstadt der Aserbaidschanischen Republik, waren wir schon wegen des milden Klimas begeistert. Vom Hotel aus unternahmen die reiselustigen Grazer viele Ausflüge und lernten diese, an der Grenze Persiens liegende Stadt kennen. Ein Moschee-Besuch, die Besichtigung eines Teppich-Museums und vieler historischer Gebäude und Denkmäler ermöglichten einen Einblick in die aserbaidschanische Kunst, Kultur und Geschichte. Besonderen Eindruck erweckten die weiten Wüstengebiete mit unzähligen Bohrtürmen und Ölleitungen. Der durch die südliche Lage der Stadt prägende, orientalische Lebensstil und die malerische Meeresbucht an der diese Stadt liegt, waren die richtige Kulisse für nächtliche Spaziergänge und Festlichkeiten bei fremdartigen Speisen und hochprozentigem Wodka.

Im Chemieinstitut Bakus fand unser einstündiger Auftritt bei den Studenten eigentlich sehr wenig Anklang. Ein wesentlich aufmerksameres Publikum trafen wir im Saal der größten Erdölraffinerie Aserbaidschans an. In Zusammenhang mit diesen Auftritten sind die Besichtigung eines Walzwerkes und einer Erdöl-Raffinerieanlage erwähnenswert. Leider war jedoch der persönliche Kontakt zu den Menschen in den Fabriken und den Besuchern der Vorstellungen nicht erwünscht.

Der Wunsch nach Begegnung

Dieser, aus unseren Reihen an die Gastgeber herangetragener Wunsch zeigte aber doch bald Erfolg: Durch den Besuch eines Balalaika-Konzertes und eines Konzertes des „Aserbaidschanischen Ensembles für Nationaltänze“ fanden wir Steirer liebe Freunde, die auf Initiative der sowjetisch-österreichischen Gesellschaft noch in diesem Jahr einige Tage in Graz verbringen werden. Das ausgezeichnete Programm dieser Gruppe wird in Graz sicher großen Beifall finden.

Der Rückflug über Wolgagrad (ehemaliges Stalingrad), Moskau, Kiew, Iwano-Fran­kowsk, Budapest nach Wien bildete den Abschluss einer Reise, die die große Frage „Wie lebt man in der UdSSR“ für die Teilnehmer zum Teil beantworten konnte. Der befreiende Schritt auf heimatlichen Boden war verbunden mit der Freude, wieder ein Stück dieser Erde kennengelernt zu haben.

Der Sing- und Tanzkreis der Grazer Alpenvereinsjugend hat bereits fast alle europäischen und auch viele außereuropäische Länder kennengelernt. Immer stand im Vordergrund dieser Unternehmen der Wunsch, eine Brücke zur anderen Welt und deren Menschen zu schlagen. Diesen Vorsätzen konnte bei dieser Russlandreise nur zu einem sehr kleinen Teil Rechnung getragen werden. Der Grund: Das politische System dieses Landes lässt sich mit unseren Begegnungswünschen nicht ohne weiteres vereinbaren.


Russlandreise des Sing- und Tanzkreises der Grazer Alpenvereinsjugend vom 9-10/ 1973 ;  Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999;  Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.