Die Weihnachtsspur gefunden…

Etwa dreimal schwenkte ich den Zuckerspender über meinen Cappuccino und dabei wurde mir bewusst, dass mein Weihnachten längst verschüttet war. Gänzlich, bis zum Überdruss.

Dieser Augenblick der Erkenntnis hat eine emotionale Landebahn, man ist endlich angekommen und nimmt alles andere nur schemenhaft wahr: Das Pfauchen der Espressomaschine, das Gemurmel der Stammtischrunde und die Bewegung der Kellnerin, die behänd durch das Lokal schießt, im Hintergrund begleitet vom vorweihnachtlichen Geräuschdekor, dem Dingldangl, welches der Frohbotschaft schon wochenlang vorauseilt.

Mein Weihnachten war also verschüttet

Und dann gelang es mir Kaffeelöffel kreisend, die Retrospektive vorbeiziehen zu lassen. Jene von der Kindheit, als Weihnachten zugleich mit dem Putzwahn auftrat und ich vor dem Biegen der Vanillekipferl meine Hände waschen musste. Mutter stand in Schweißperlen, Vater in Pantoffeln in der Küche, der Kalender zeigte seine wahre Brutalität, man schrieb den 21. Dezember, also drei Tage vor der Ankunft der Apokalypse.

Ist schon richtig: Heute sehe ich die Kindheit altersverklärt und in Anbetracht der Vermehrung des Fürchterlichen eher harmlos. Geblieben ist aber die markante Erkenntnis, dass es sich bei Weihnachten um eine Krisenzeit handelt. Diese Art von familiärer Beschaulichkeit habe ich alsdann Schritt für Schritt zum Feindbild ausgebaut. Später lernte ich dann die Steigerung kennen, am alljährlichen Stille Nacht – Rummelplatz, dort wo der Wunsch nach Punsch so einfühlsam abgefüllt wird. Die Herzlichkeit war alljährlich pünktlich ausgebrochen und die frommen Wünsche wurden per Billett hin und hergeschickt, mit dem Konterfei unschuldiger Engel in Lametta. Alle guten Wünsche also waren notwendig, um den Heilig Abend – da sind die Leute eilig habend – mit den farblich zum Topflappen abgestimmten Servietten, der leider zu Tode gestopften Weihnachtsgans und den tropfenden Wachskerzen nur einigermaßen zu überstehen.

Die Flucht aus den Fängen der Rituale

Des Zuckergusses überdrüssig trat ich also die Flucht nach vorne an und beschloss, das Fest aller Feste zu meiden. Brechts „Stell Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin“ könnte da hilfreich gewesen sein und ich begann mit dem Ausstieg aus dem Karussell der Rituale und nahm mir die absolute Auszeit. Dann, beim beschwerlichen Aufstieg zur auserwählten Almhütte begleitete mich im Innersten noch mein altes Weihnachten mit seinen vielen Schrammen. Oben aber begegnete mir reine Labsal und Stille. Da waren nur das Knistern im Ofen, die Reduzierung auf den Sterz und den Schlafsack, auf das Taschenmesser und einen Kerzenstummel.

Nie aber werde ich vergessen, wie ich auf den Bretteln meine Spuren in den Heiligen Abend gezogen habe, vorbei an den stummen Wäldern in die Arme der Dunkelheit gleitend. Ich hatte meinen Rhythmus gefunden, einen selbst reinigenden, begleitet vom Geräusch der brechenden Schneedecke und des eigenen Atems. Über mir das Himmelzelt mit den ungezählten Sternen. Einer davon – so bildete ich es mir ein – leuchtete etwas brillanter. Vielleicht für mich? Nach und nach eroberte ich die so lange verschüttete Ergriffenheit ob der Größe des Himmelszeltes und fühlte das eigene Nichts, eingekapselt in Fäustlingen und Kapuze.

Weihnachten hat mit dem Heimkommen zu tun

Den Rückweg nehmend, lag bald in der Ferne die beruhigende Silhouette des Hüttengiebels. Einen Augenblick lang streifte mich eine gedankliche Spur zur biblischen Herbergssuche und etwas von der Freude des Heimkommens wuchs in mir. Das Verstauen der Schiausrüstung, das Gepolter der Schischuhe und das Stöhnen der Hüttentür nahm Musikgestalt an. Als ich gebückt im niedrigen Raum an den Tisch trat und den Kerzenstummel entzündete, war ich drauf und dran mein Weihnachten neu zu entdecken.


Weihnachts-Kundenbrief, Gwandhaus Gössl in Salzburg, 2013; Härtels kleines Credo, Martinsbote des Pfarrverbandes Deutschfeistritz-Peggau, Übelbach, November 2017; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.