Echt guat – vom Wert der Ehrenamtlichkeit

Der gewählte Titel hat viele Möglichkeiten offen gelassen, um zum Tagungsthema beizutragen. Zum einen ist es längst an der Zeit, mit dem sogenannten „Echten“ aufzuräumen.

Oftmals habe ich das Gefühl, dass es benützt wird, um Unsicherheit zu kaschieren und so letztlich unser Tun besser herauszustreichen, ihm einen bedeutsamen Anstrich zu geben. Und jetzt räumen wir damit auf, denn „Echt“ ist out und nicht in? Für Fachleute, die sich mit der Pflege von Volkskultur beschäftigen, hat „Echt“ ausgereizt. Längst haben wir uns in andere Begrifflichkeiten geflüchtet: Authentisch, volksnah, erdig, überliefert etc. Wir meinen dasselbe und sagen es anders, weil uns sonst der Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit droht.

Das vermeintlich Echte gibt uns Sicherheit

Nun gibt es aber nicht nur Fachleute sondern – und die sind in der Mehrheit – jene Menschen, die Volkskultur leben, mit ihrem Tun verkörpern. Zugleich also mit der Forderung an die Volkskulturengagierten, ihre Spezialdisziplin den Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung anzupassen, erhebe ich die Forderung, den Menschen in ihre Artikulation, in ihre Gefühle nicht d’rein zu pfuschen. Die sprachliche Überhöhung des Guten durch die Verdoppelung „echt guat“ ist letztlich das Produkt einer Unsicherheit die auf erlebte Werteverluste zurückzuführen ist. „Echt“ ist die Sehnsucht nach Anhaltspunkten, Haltegriffen und den konstanten Dingen, die uns im wenig beschaulichen Getriebe offensichtlich das notwendige Maß an Sicherheit geben. Zunehmend wird dabei das Prädikat „Echt“ nicht Produkt-bezogen, sondern Personen-bezogen vergeben. Der echte Bauernschnaps ist eben nicht nur ein Destillat besonderer Sorte, sondern jenes Produkt, das mit eigenen Mitteln hergestellt ist, dessen Qualität in persönlichem „Handanlegen“ liegt – eben Beziehungen herstellt, also letztendlich vom Huberbauern stammt. Echt wird oftmals auch mit „Original“ umschrieben. Es liegt darin auch der starke Hinweis, Vorlagen und Verhaltensmuster entweder unverändert oder scheinbar unverändert übernommen zu haben, wissentlich dabei bleiben zu wollen.

Das Vermächtnis verpflichtet zu weiterem Handeln

Bei genauerer Betrachtung und Einsichtnahme in die Umstände, wie Brauchtum im Original übernommen wird, stoßen wir immer wieder auf starke Persönlichkeiten, die für Sitte und Brauch stehen, deren Vermächtnis zu weiterem Handeln verpflichtet. Keine schriftliche Anleitung und schon gar keine Verordnung des Landes beeindruckt und veranlasst Menschen brauchtümlich zu handeln. Diese Erkenntnis muss aber auch die Bereitschaft nach sich ziehen, volkskulturelle Erscheinungen als ein Produkt der Menschen zu werten und den Facettenreichtum der Neigungen zu akzeptieren. Es sind echte Anliegen, wenn sich Chöre bilden, wenn jemand Begegnungen organisiert, wenn Trachtennähkurse und Volkstanzkurse abgehalten werden. Es sind echte Anliegen – hier ist das Wort „Echt“ mehr als gerechtfertigt.

Kommen wir noch einmal zurück zu den Ursachen der Sehnsucht nach dem Echten. Nämlich zum Werteverlust, zur oftmaligen Enttäuschung, weil das vermeintlich Gute sich als Flop erwiesen hat. Unsere konsumorientierte Gesellschaft ist abhängig geworden von den Schlagworten, die allerdings mehr versprechen als sie halten können. Genau hier aber setzt Volksbildung an. Es ist eine schöne Aufgabe, Überzeugungsarbeit zu leisten, den scheinbar nur bunten und klangvollen Dingen einen Sinn zu geben, Bezüge herzustellen, Lebensenttäuschungen zu reparieren und Eindrücke erlebbar zu machen. Echt ist, wenn wir von etwas berührt werden. Wenn Volkskultur-Arbeit, heimatkundliche Bemühungen überhaupt einen Sinn haben sollen, dann eben nicht mit dem Hintergedanken den Status Quo zu erhalten, sondern diesen immer wieder zum Inhalt neuer Prozesse werden zu lassen. Unsere Arbeit ist eigentlich nicht Volkslied- Volkstanz-, Trachtenarbeit, sondern zutiefst Menschenpflege. Soviel zum Echten.

Die Last der Ehrenamtlichkeit

Ehrenamtlichkeit hat unmittelbar mit dem bisher Gesagten zu tun. Unlängst treffe ich in einem Pendlerzug die 76jährige Frau Susanne Leder, mir von einigen Veranstaltungen her bekannt. „Na, was machen Sie denn hier im Zug, genießen Sie Ihre Pension?“ Frau Leder:

„Ich muss zur Regionalsitzung des Obstbauvereines – bei denen bin ich seit 23 Jahren Obfrau. Von Pension keine Spur. Morgen die Regionalsitzung Südsteiermark, übermorgen Oststeiermark. Seit vier Jahren möchte ich mich aus diesem Geschäft zurückziehen – niemand übernimmt aber meinen Posten. Auch heute hoffe ich auf eine Entlastung“.

Dieser Erlebnisbericht lässt sich durchaus auf alle kulturellen Ehrenämter übertragen. Scheinbar konzentriert sich Ehrenamtlichkeit auf ein paar Unentwegte – auf immer weniger solche Menschen. Denn so sieht es aus: Eine nebenberufliche Tätigkeit muss sich rechnen. Hobbys arten leicht in Belastung aus, von der man nichts hat. Oftmals ist es aber der Egoismus, der eine Arbeitsteilung in einem Verein verhindert und es wird im Zuge dieser Rechnung ganz vergessen, wie sehr der Einsatz für eine gute Sache auch zum persönlichen Wohlbefinden beiträgt. Das Märchen vom „nicht zurücktreten wollen“ hat zwar seinen Wirklichkeitsgehalt. Überwiegen tut aber doch jenes Abschieben der kontinuierlichen Arbeitsleistung auf Personen die sich bewährt haben und deren unermüdlicher Einsatz hinter vorgehaltener Hand mit den Worten: „Der (oder Die) kann ja ohne diese Arbeit gar nicht leben“ kommentiert wird. Eines ist aber sicher: Würde die beachtliche Leistung der Ehrenamtlichen wegfallen, die öffentliche Hand könnte diese vielfältige, Basis orientierte Arbeit nicht finanzieren.

Die Laien unter Schutz stellen

Ehrenamtlichkeit ist aber noch anders zu hinterfragen: Was sind die Beweggründe? Sind es nur hehre Absichten, liebevolle Zuwendung, Sorge um überlieferte Werte? Kennen wir nicht genauso Geltungssucht, Wichtigtuerei, Gschaftlhuberei, vielleicht als Ausgleich zur Bedeutungslosigkeit im eigenen Berufsumfeld? Wie oft wird mit Ehrenamtlichkeit persönliche Schwäche wettgemacht? Zum Beigeschmack des Wichtigtuens um der eigenen Profilierungssucht Willen kommt noch dazu, dass Ehrenamtlichkeit gerne mit Laienhaftigkeit gleichgesetzt wird. Eine Sinnumkehrung ist hier vonnöten: Laien sind gerade im volkskulturellen Bereich die eigentlichen Spezialisten. Professionelles Volkskultur-Management verhandelt ja nicht mit Dirigenten und Komponisten, sondern mit Überlieferungsträgern. Der sogenannte Laie ist hier der Maßstab aller Dinge. Das ist auch der Grund, warum volkskulturelle Verbände eigentlich nicht die Erzeuger, die „Macher“ von Volkskultur sind, sondern sich selbst als Dokumentationsstelle – höchstens als Servicestelle sehen sollten. Dies aus einer respektvollen Haltung gegenüber den Überlieferungsträgern. Also: Keine Angst, ohne Laien, die ihr Tun als unmittelbare Folge ihrer Erlebniswelt sehen, gibt es keine Volkskulturarbeit. Laie zu sein ist in diesem Bereich geradezu eine Auszeichnung. Laien haben nebenbei auch den Vorteil, beim Denken weniger Umwege zu machen. Sie sehen Volkskultur immer von der Lebensseite und nicht aus dem Blickwinkel der Bildungsschiene.

Ein Volkssänger bringt es auf den Punkt

Ein begnadeter Volkssänger, dessen Repertoire und Lebensgeschichte in einer Diplomarbeit festgehalten wurde, sagte nach dem Studium des Buches zu mir: „Es is ålles wåhr wås drinnan steht. Wånns åber net då standat, wars a net ånders.“

Mit einem Satz ist hier der Stellenwert wissenschaftlicher Arbeit und volkskultureller Verbände zurechtgerückt. Dem Leben sind wir zuallererst verpflichtet. Konservierung, Dokumentation, und Vermarktung haben eine nachgereihte Rolle einzunehmen.  Das ehrenamtliche Engagement in vielen Vereinigungen, auch in der Heimat- und Brauchtumspflege ist einerseits als Eingriff in Lebensabläufe zu sehen und andererseits auch Garant für die Entfaltung von Vielfalt. Es werden dabei dem Überlieferungsprozess neue Ansatzmöglichkeiten geboten. Es werden Begegnungen initiiert, die Fertigkeiten, Kenntnisse und Wertvorstellungen vermitteln und transportieren. Informationen alleine sind kein Ersatz für Erleben. Hier Hilfestellung zu leisten, ist eine schöne und verantwortungsvolle Arbeit, die nicht immer erkannt und belohnt wird. Sie steht zwar in Konkurrenz mit der Hochkunst und der Unterhaltungsbranche. Die schnellen Erfolge und Schlagzeilen, das – wenn man dahinter blickt – Geplänkel auf den Kulturseiten – all dies stellt Volkskultur – Arbeit in den Schatten oder sie bleibt überhaupt unerwähnt. Dies und die strikte Auseinanderhaltung von Kultur und Volkskultur – vor allem aber die Ignoranz – schmerzt viele.

Der Nahkampf um die schöpferisch-kreativen Seiten des Menschen

Aber warum eigentlich? Wir sollten erkennen, dass der Hochkultur-Betrieb sich mit unserem Volkskultur – Engagement gar nicht vergleichen lässt. Was nützen denn die abgehobenen Reden? Was kümmert uns dieser Kampf um Einschaltziffern und Schlagzeilen? Volkskultur in allen ihren Erscheinungsformen ist allüberall gegenwärtig und betrifft eine breite Bevölkerungsschichte. Wir sind nicht angehalten, Neues zu erfinden, um im Kulturgetriebe aufzufallen. Dann und wann hat man das Gefühl, dass sich der volkskulturelle Bereich mit dem Kulturbetrieb messen möchte und durch Anwendung der gleichen Mechanismen endlich erfolgreich sein will. Tradition, Bewährtes und Vertrautes kann aber nicht den Werbestrategen überlassen werden. Es ist ein zu sensibler Werkstoff, der immer die engagierte Zuwendung vieler benötigen wird. Es ist ein Nahkampf um die schöpferisch-kreativen Seiten des Menschen und niemals Fertigkost im griffbereit positionierten Regal.

Was ist denn großartig?

Das Großartige an den kleinen, dörflichen Theatergruppen ist ja nicht die grandiose Leistung, die vermittelte Thematik. Großartig ist, dass es unsere Leute sind, Nachbarn und Freunde, die uns etwas zu sagen haben. Noch schöner ist, dass es möglich ist, selber in eine der Rollen zu schlüpfen. Wie es auch möglich ist, selber einmal mitzusingen und zu spielen – im Wechselbad zwischen dem Können und dem Versuchen. Volkskulturarbeit ist immer eine Breitenarbeit. Wo wären die Spitzensportler ohne Breitensport, wo wären die großen Denker und Wissenschaftler ohne breit angelegte Bildung? Der Erfolg der Volkskultur- Arbeit ist nicht messbar – er ist ein Generationen übergreifender Beitrag zur Lebensqualität. Sehen Sie sich bitte als Kulturträger mit besonderen Befugnissen. Wenn sie so wollen als „echte“ Kulturträger.


Referat anlässlich: Nach altem Brauch … (Echt oder Unecht … ist das noch die Frage?) Wien, 1/ 1996; Veröffentlicht in: Niederösterreichischer Brauchtumskalender / 1997; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.