Können Lieder die Kindheit zurückbringen? Ja, sie können, denn alle Lieder sind mit den Bildern vom Früher verbunden, mit Erinnerungen an Menschen, an längst Vergangenes, an Freud und Leid gleichermaßen.
Manche Lieder haben für uns nur wegen zeitgleicher Ereignisse eine besondere Bedeutung, oder sind unten durch, weil wir mit ihnen schlechte Zeiten verbinden. Beim Singen gibt es also vielerlei Bilder die in uns wachgerufen werden. Es gibt aber wenige Lieder, die – wie dieses hier– sosehr dem Zurückerinnern an Kindheitszeiten gewidmet sind.
Vor meinem Hütterl, då steht a Bankerl beschreibt den kleinen Blickwinkel über den man zu früheren Zeiten nicht hinausgrasen konnte, dem man das besondere Augenmerk schenkte. Darinnen steckt aber auch – ohne dass sie angesprochen wäre – die Genügsamkeit.
Lieder lassen Bilder entstehen..
Geht es Ihnen auch so? Mit dem Hütterl und dem Bankerl entsteht in Ihnen ein fertiges Bild vom besungenen Ort des Geschehens. …håb åls kloana Bua oft drauf gspielt…. weist nun aber auf die Qualität der Beständigkeit hin und ebenso auf eine späte Wertschätzung. … A Hånd voll Stoana, dås wår mei Spielzeug, håb mi glücklich dabei gfühlt…. Ja, mit Wenigem auskommen, danach sehnen wir uns heute mehr und mehr, wo uns doch der Überfluss mit Sorge erfüllt. Zugleich sind aber genau diese Worte für einen Volksliedtext eher untypisch, denn der Volksmund redet meist in Bildern an den Gefühlen vorbei, nennt sie selten beim Namen. In dieser Hinsicht gibt es bei genauer Betrachtung alter Texte doch immer wieder Überraschungen.
In der zweiten Strophe wird uns Einblick in den Wandel gegeben, wenn der kloane Bua zum jungen Manne wird. Da der Abschied mit Wehmut, dort die neue Hinwendung ohne besondere Anmerkung. Für die Vergangenheit hat der junge Mann Worte, bei der verliebten Zukunft enthält er sich der Stimme.
Spielzeug und Spielzeug
Die dritte Strophe kündet von erreichter Harmonie, sie gibt dem zuerst erwähnten Spielzeug eine gut verdeckte, neue Bedeutung und verliert sich in inflationären Rückzahlungsmodalitäten. Dabei wird zum zweiten Mal ein Wort verwendet, welches in Volksliedtexten wohl kaum noch einmal vorkommen wird: Prozente. Überraschung zum Zweiten!
So ganz ohne Humor geht es nicht, wenn man mich auffordert, einem Liedertext nachzufühlen. Bei einer solchen Wortklauberei treffen sich Ernsthaftigkeit mit Doppelbödigkeit. Mit leichtfertigen Texthinterfragungen bin ich aber besonders vorsichtig. Nicht hinter jedem Reim versteckt sich Böses, jede Eindeutigkeit könnte von uns milde und anders gehört werden. Und: Beim Volkslied sind Melodie und Text stets eine verwobene Einheit. Es handelt sich um eine Poesie die dem emotionalen Augenblickverzehrer zugeschrieben ist – nicht sosehr dem stummen Analytiker.
Der Vierzeiler, Liedergeschichte / 2003; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.