Dazu sagen sie Dirndl?

Na ja, Ihr Haftlmacher ist natürlich ein unverbesserlicher I-Tipfler, denn schon von meinem Blickwinkel aus – nämlich da, wo Haken und Öse sich sicherheitshalber vereinen – bin ich einer, der die Details im Auge behält und mit dem Finger dorthin tippt, wo es mich aufstoßen lässt.

Das mag manchen Zeitgenossen nicht gefallen. Sie denken gleich an Rückständigkeit und Verstaubtsein. Sie wissen aber nicht, dass altes Wissen und wertvolle Erkenntnisse daraus ein ewiger Wegebereiter des Fortschritts sind. Und damit bin ich allzu gerne Ihr gutes Gewissen und dabei darf ein solches die freie Entfaltung und den Blick über den Horizont hinaus nicht missen.

Jüngst aber hatte ich Schnackerlstoßen – so nennt man die weit verbreiteten  Eruptionsgeräusche – sie sind ein sicheres Zeichen des Unwohlseins. Ein solches stellte sich ein, weil heute zu Stoffbahnen, die zum Anziehen verarbeitet werden, einfach mir nichts Dir nichts als „Dirndl“ bezeichnet werden. Wer alles erlaubt sich zu entscheiden, was da Dirndl sein darf im Kleiderkasten unseres Erdenballs?

Ich bin ein alter Bewunderer von Nuancen der Farbgebung, von Finessen des kleidsamen Umfassens des weiblichen Leibes, ein Freund von Aufputz durch Maschen und Taschen, von Knöpfen und Bindeln, von gerafften Bändern und filigranen Borten – und natürlich von Hafteln.

Das große Traditionshaus GÖSSL ist innovativ und inspiriert, das Unternehmen steht auf Qualität und auf den Dialog mit der Kundin. Gössl ist anziehend und erfrischend, außerdem gerne gewagt im Umgang mit dem Dirndl. Eine neue Kollektion entsteht durch Esprit, durch Hineinversetzen in die Kundin, durch die ewige Suche nach Passform, nach dem letzten Kick durch Farbe und Farbkombination. Trachtenmacher sind die Begründer des Staunens und sie sind permanente Verführer.

Und das alles zehrt vom Rückblick und Weitblick, von Kenntnis des Materials und dem perfekten Spiel mit den Farben.

Ich bin noch immer erboßt, ob der leichtfertigen Verwendung des Dirndl – Ehrentitels für schnöde Massenware. Vielleicht ist die Billigware leicht gefertigt und die auflösbaren Nähte schon ein Hinweis auf den nahenden Weg zum Recycling? Ja, mangelnde Qualität ist ein Teil des Haftelmachers innerer Aufruhr. Vielmehr aber stört es mich, dass die sogenannten Dirndln keine Ähnlichkeit haben mit dem, was wir immer schon unter Dirndl verstehen durften. Es geht wild zu in den Läden: Die Willkür der Farbkombinationen vereint sich mit dem Daneben der Passform. Von Tradition kann da keine Rede sein, es gibt keinen Anknüpfungspunkt an die großartige Geschichte österreichischer Kleidermacher, an die Würde eines verantwortungsvollen Berufsstandes. Ob Sie dieses Rätsel lösen können: Was ist von einem solchen Danebenprodukt das Wertvollste?

Lösung: Der Kleiderbügel


Kolumne im Gwandhaus Journal 30/ 2020, S 78, Salzburg; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.

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