Von der Beharrlichkeit eines Kostüms

Eine Frau von Welt
braucht häufig viel Geld
für die schönen Kleider,
aber deshalb hat sie Neider.

Die beiden Lebensspannen, die vom steirischen Prinzen Johann und seiner Gattin Anna  zusammen, umfassen etwas mehr als hundert Jahre (1782 – 1885) Die damals so ungebührliche Verbindung zwischen dem Prinzen und der Postmeisterstochter mag uns heute als köstliches und noch dazu wahres Märchen amüsieren, die Rahmenbedingungen waren für die beiden alles andere als romantisch. Nein – das betrifft wohl nicht deren Begegnung beim Tanz und deren behutsame Eheanbahnung. Die poetische Sanftheit der überlieferten Briefe und das Bild tiefer Aufrichtigkeit dürfen uns nach wie vor beeindrucken. In welche Zeit aber wurden die beiden hineingeboren? Was waren das für 100 Jahre?

In eine große Zeit hineingeboren…

Beginnend mit der Zeit des aufgeklärten Absolutismus über die französische Revolution, die napoleonischen Kriege über Biedermeier und Vormärz hinein in die Gründerzeit. Die Literatur entwickelt sich vom Sturm und Drang bis zum Poetischen Realismus, die Musik von der Klassik bis zur Spätromantik, die Kunst verwandelt sich vom spätbarocken Fürstenportrait zur Fotographie. Die Erfindung der Eisenbahn, der Dampfmaschine und des Elektrischen Lichts sind die Einbegleiter des Wohlstandes und zugleich die Verursacher neuer Klassenunterschiede. Das Handwerk und der Bauernstand geraten in Bedrängnis, denn die Mechanisierung lockt tausende Landleute zu entsetzlichen Bedingungen in den Arbeiterstand. Die notwendigen Reformen von Oben bleiben aber aus und bald wird von Unten eine radikale Neuordnung gefordert.

Der Erzherzog und das Bürgertum…

Erzherzog Johann hat die Zeichen der Zeit erkannt und setzt – ganz im Gegensatz zum Kaiserhaus – auf das Bürgertum. Der Aufbau der ländlichen Regionen und die Stärkung ihres Selbstverständnisses sind seine Ziele, um den beginnenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen gerecht zu werden. Die nicht standesgemäße Liebe zu einer Bürgerlichen ist zwar ein Skandal am Hof, zugleich aber ein handfestes Zeichen des Aufbruchs, der Aufhebung von Standesdünkel und Abgehobenheit.

Das Getue und den Prunk in Wien zurücklassen und seinen Landleuten auf Augenhöhe zu begegnen, ist fortan Johanns Ansinnen und damit gewinnt er ihr Vertrauen. Den Grauen Rock trägt er nicht in Anbiederung, sondern weil er sich als einer von ihnen fühlt, als Jäger, Wanderer und Bergsteiger auf den Höhen, als Sänger und Tänzer in den Gaststuben. Es ist sein Bestreben, mit dem Grauen Rock Vorbild für einfache Lebensart zu sein. Seine Anna geht mit ihm denselben Weg.

Das Anna Blochl Kostüm

Neben dem Anna Blochl – Diandl ist das Anna Blochl Kostüm bis in die heutigen Tage beliebt geblieben. Die nunmehrige Anna Gräfin von Meran lässt es sich in Vordernberg fertigen. Angelehnt an die Brucker Bürgertracht – diese ist in kostbaren Materialen wie Seide und Damast ausgeführt – ist ihr Kostüm in grauem Loden mit grünen Aufschlägen gehalten. Die Noblesse der Schlichtheit ist geboren und besticht bis in unsere heutigen Tage. (Das Wort Kostüm leitet sich übrigens vom lateinischen „consuetudo“ ab und hat die Bedeutung von Gewohnheit, Herkommen, Sitte.)

Kleider machen Leute…

Das uns allen vertraute Sprichwort kann so oder auch so gedeutet werden. Es bleibt uns ja nicht erspart, hinter die Kulisse zu blicken, um da und dort die Maske zu lüften. Ja, Kleidung und Verkleidung liegen sich zuweilen in den Armen. Wie aber bleibt Kompetenz und hohe Position zu Unrecht verborgen, wenn das nötige Feingefühl für die Hülle fehlt? Nein – den Außenputz sollten wir nicht unterschätzen. Dass sich Lebenslust, Charakter, Bildung und Humor in Farbschattierungen und diversen Accessoires ausdrücken lässt ist Faktum. Schon die Schrägstellung eines Hutes lässt Nuancen von Gerissenheit oder gar Draufgängertum vermuten. Die Auswahl des Hutes erst recht:

Als jüngst wieder einmal ein Stück Autobahntunnel eröffnet wurde, trug der herbeigeeilte Politiker trotz ruhender Baustelle den gelben Schutzhelm. Schnipp und schnapp, war das Band durchschnitten und dazu applaudiert. Das Helm-Signal leuchtet ein: Ich bin einer von Euch, Kumpel, auch wenn ich mir die Hände nicht schmutzig mache! Bis zum Smalltalk mit Sektflöte bleib ich in Eurem Team, dann Helm ab, Hut auf und Servus!

Die Kleidung als Täuschung

Das Sprichwort „Kleider machen Leute“ ist übrigens in die Literatur eingegangen.  Gottfried Kellers gleichnamige Novelle, 1874 erstmals in der Novellensammlung „Die Leute von Sedwyla“ erschienen, diente als Vorlage für Filme und Opern und gilt als Musterbeispiel für die Stilrichtung des poetische Realismus. Die Geschichte handelt von Wenzel Strapinski. Der Schneidergeselle kleidet sich trotz Armut entsprechend gut. Er kommt in eine fremde Stadt und wird wegen seines Äußeren für einen polnischen Grafen gehalten. Aus Schüchternheit versäumt er, die Verwechslung aufzuklären und versucht zu fliehen. Nun aber betritt eine junge Dame, Tochter eines angesehenen Bürgers, den Schauplatz. Die beiden verlieben sich ineinander, worauf der Schneider die ihm aufgedrängte Grafenrolle weiterspielt. Ein verschmähter Nebenbuhler sorgt dafür, dass der vermeintliche Hochstapler aufgedeckt wird. Auf der Verlobungsfeier kommt es zum Skandal. Wenzel flieht, seine Braut aber findet ihn, rettet ihn vor dem Erfrieren und stellt ihn zur Rede. Als sie sich davon überzeugt hat, dass seine Liebe echt ist, bekennt sie sich zu ihm und setzt die Heirat durch. Der Schneider gründet mit ihrem Vermögen ein Atelier und bringt es zu Wohlstand und Ansehen, womit das Sprichwort „Kleider machen Leute“ sich abermals bewährt hat.

Frauen in Toppositionen

Seit dem Tode des steirischen Prinzen im Jahre 1885 hat sich der Sturm der Veränderungen keinesfalls gelegt, er ist umso heftiger geworden. Vieles war zwar als Grundstein gelegt und musste erst erstritten und gefestigt werden. Eines weiteren Jahrhunderts bedurfte es, um Standesdünkel abzubauen und in Fragen der Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann schrittweise voran zu kommen. Das Plansoll ist ja noch lange nicht erfüllt.

Die prozentuelle Zunahme von Frauen in Toppositionen ist augenscheinlich. Die Damen im hohen Gericht, in politischen, wirtschaftlichen, universitären und künstlerischen Positionen folgen also auf Annas Spuren, deren Position an der Seite ihres Mannes Geschichte geschrieben hat. Eine starke und gescheite Gräfin Anna von Meran, die auch die Kleidung einer Frau in Topposition ins Spiel bringt und damit bis heute im Gespräch bleibt.


Gwandhaus-Journal, Salzburg, 12/ 2011; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.