Vom Lehrsaal auf die Alm

Volksmusikensemble und Vokalpraxis an der Kunstuniversität Graz, Institut 5 Musikpädagogik

Dieses Konzept entspringt der maßlosen Enttäuschung die mich befällt, wenn im Akustikraum „volksgesungen“ wird und die exakt aufeinander treffenden Tonfolgen nicht einmal annähernd dem Original gerecht werden.

Was ist aber das Original und warum kann dessen Reproduktion nicht das alleinige Ziel eines Studiums der Musikgattung Volksmusik sein?

Die Antwort: Die Lebensgesetze von Volksmusik haben mit den Stimmungslagen und mit den Emotionen der Menschen zu tun. Einer solchen Musik genügen die musikalische Grundausstattung und die Notwendigkeit das Leben dann und wann zum Klingen zu bringen. Wir könnten daher von der freien Wildbahn der Musik reden, die auch den Humus für jeden weiteren musikalischen Weg bieten kann.

Wissensvermittlung und die freie Wildbahn

In anderen Fächern mag die Wissensvermittlung im Lehrsaal Vorrang haben. Dann und wann wird die Ausgewogenheit zwischen Verkopfung und Verlebendigung in praktischen Übungen erreicht werden. Ich bevorzuge die totale Annäherung in Exkursionen, um der Musikgattung Volksmusik Rechnung zu tragen und um den Studierenden die Lebensgesetze von Volksmusik nahe zu bringen. Dabei bedarf es der Loslösung vom Alltäglichen und diese erreichen wir umso leichter in der örtlichen Abgehobenheit: Zwischen dem Diesseits und dem Jenseits liegen gut eingebettet  unsere Almen, sie sind nach wie vor der musikalische Nährboden der Volksmelodien, sei es bei Alm- und Hüttenfesten oder den vielen Begegnungen zwischen den Almhaltern, den Bauern, Jägern und Almgehern. Das klingt zwar phantastisch und ein bisschen nach Nostalgie. Der Lokalaugenschein aber ist Bestätigung genug und nebenbei: Es klingt auch phantastisch…

Die Diskrepanz zwischen Lehrsaaldasein und Lebensnähe von Musik betrifft nicht nur die Volksmusik. Eine Gattung aber, deren Grundlage nicht die Niederschrift sondern das Gedächtnis ist, lebt vom Spannungsfeld zwischen Erinnerung, Vergessen und eigener Erfindung, mehr noch von den Bildern die mit Melodien verwoben werden. Unterwegs auf den Almen, bei jenen Menschen, die ihre Lieder für das Leben gespeichert haben, macht es Sinn, die Volksmusik und deren Gewährsleute im Kontext ihres Umfeldes zu erforschen, die Melodien selbst zu erproben und – Volksmusik zu studieren.

Die Volksmusikexkursionen an der KUG

Die Volksmusikexkursionen der KUG haben inzwischen mehrjährige Tradition. Sie sind eine Mischung aus Annäherung an Land und Leute und musikalischer Übung, wobei der Transkription der unterwegs von Gewährsleuten gehörten Melodien eine besondere Bedeutung zukommt. Im Sommersemester 2009 fand die Exkursion in der Gegend um Übelbach statt. Der Weg führte die 13-köpfige Gruppe vom Bahnhof Übelbach über den Sängersteig zum Plotscherbauer, weiter zur Gmoa Alm und schließlich zum Ebenwirt. Unterwegs sammelten die Teilnehmer unter Anleitung unseres Tourenführers Leo Berger (Bahnbediensteter bei den Landesbahnen) die ersten Morcheln, nebenbei lernten die Studierenden mit den Birkenblättern Melodien zu pfeifen. In den zuvor genannten Almhütten genossen wir die Gastfreundschaft, ebenso aber das Zusammentreffen mit Gewährsleuten (so nennen die Volksliedforscher die Träger von Überlieferungen), die uns Lieder und Jodler vorsangen. Die Arbeitseinheiten in den Hütten (singen, tanzen, musizieren) wechselten ab mit den mehrstündigen Wanderungen zur nächsten Station.

Musikalisch- naturkundlich – kulinarisch

Alles in allem war es eine musikalische, naturkundliche und kulinarische Wanderung. Neben den musikalischen Inhalten war diese Exkursion aber auch eine seltene Gelegenheit, sich dem Wanderabenteuer hinzugeben: Aus dem Rucksack zu essen, im Schlafsack zu nächtigen die die persönlichen Bedürfnisse auf ein Mindestmaß einzuschränken, öffnet die Sensoren für den Teamgeist und die Blicke für die Besonderheiten der Landschaft. Ein Lehrsaal bis zum Horizont…


KUGelschreiber, Magazin der Kunstuniversität Graz, 4/ 2009; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.