Auf den ersten Blick

Anna Plochl und Erzherzog Johann / Erste Leidenschaft – einst und jetzt

Es existieren die Liebesbriefe im Original, wissenschaftliche Abhandlungen seiner erlauchten Beziehung zur Anna ebenso, wie die Legenden über Erzherzog Johanns Ausritt aus dem engen standesgemäßen Korsett des kaiserlichen Familienstalls. Gestern wie heute rührt uns die Geschichte ob ihrer Tragik und – ob des schönen Endes:

Aus den Widerständen ging eine standhafte Verbindung hervor, die Skandal und Freudenbotschaft zugleich war. Zum Jubiläum fragen wir uns, was heute aus der „Liebe auf den ersten Blick“ geworden ist, ob alle Standesunterschiede bereits ausgeräumt sind und ob es für heimliche Liebe überhaupt noch eine ordentliche Begründung gibt.

Ein überaus liebenswerter Skandal am Hof

Diese historische Liebesgeschichte ist nach wie vor gegenwärtig und sie ist keineswegs barrierefrei. Da türmen sich nämlich Legenden, die das gemeine Volk im Detail weiß, wovon aber die Historiker eben keine Ahnung haben. Angebliche erzherzögliche Liebesabenteuer auf den steirischen Almen – es gilt die Unschuldsvermutung – ließen letztlich selbsternannte ledige Kinder entstehen, die sich im Zuge der freien Dichtung bis heute fortpflanzen.  Wer möchte nicht auch ein Kaiserururenkel sein? Das Reich der Erzählungen aber hat einen wirkungsvollen Verbündeten, nämlich das österreichische Lieblingsmaskottchen, die Monarchie. Deren Nachwirkung feiert da und dort durchaus fröhliche Urständ, stimmt`s, Durchlaucht?

Unsere Unfähigkeit aber, sich im Zeitenlauf gleich einmal 200 Jahre zurück zu versetzen, um sich an der Liebesgeschichte im historischen Umfeld zu ergötzen, nämlich an der höchst unstandesgemäßen Anbandelei zwischen Johann und Anna, koaliert mit der Faszination, die eine lang unerfüllbare Liebe und ein rührendes „Happy End“ auf uns ausüben. Mario Simmel hätte die Verehelichung vielleicht um noch einmal 10 Jahre hinausgezögert, die Dramatik aber hätte er haargenau so und nicht anders getroffen.

Die Faszination der Bodenständigkeit

Apropos barrierefrei: Unser Leben ist es genau so wenig wie ein Waldfest, welches zumal nur über einen Kuhweg erreichbar ist und dessen Hauptverkehrsader von Baumwurzeln durchkreuzt wird. Diese Feste sind ein gelungener Versuch, die Natur als Kulisse zu nützen – die Unbequemlichkeit der hölzernen Bänke in Kauf nehmend. Es ist also ein buchstäbliches „Zurück zu den Wurzeln“. Bei Schlechtwetter verfließen Mensch und Natur im Morast des Bodenständigen. Eine laue Sommernacht aber lässt einen Hauch von Nostalgie aufkommen. Unter freiem Himmel erwachen in uns längst verdrängte Urinstinkte, was auch einen Gedanken an die sanitäre Situation der Waldfeste auslösen mag.

Allein das Geräusch der Getränkekühlung weht ein Stück Gegenwartstechnik an den Waldrand. Die Feuerwehr und das Rote Kreuz sind oft die letzte Rettung mit ihrer Ersten Hilfe. Und wo versteckt sich die Liebe? Da sich Anna und Johann zuallererst ganz unverfänglich bei den ländlichen Festen trafen, nehmen wir sie mit auf das Waldfest. Die einbrechende Dunkelheit reduziert das Geschehen auf den dürftigen Lichtkegel über dem Tanzboden und der Würstelbude. Für die Sehnsüchtigen mag der Übergang zwischen dem hellen Festgelände und dem angrenzenden Dunkel das Spiel mit dem Feuer erleichtern. Aber gibt es heute noch Heimlichkeiten und die berühmte Liebe auf den ersten Blick, wie sie uns von den beiden dokumentiert sind?

Die wahre Liebe und die Widrigkeiten

Dazumal gab es viel zu verlieren: Für Johann die Gunst des Kaisers, für Anna den guten Ruf. In Zeiten wie jenen, war bald einmal ein Tanz zuviel getanzt, eine Hand zu oft gedrückt und ein Blick zu wenig oft gesenkt, um den Skandal herauf zu beschwören. Die Liebenden verständigten sich mit vieldeutigen Worten, die sich im Verzehren nach Gegenliebe so oder auch anders auslegen ließen. In Johanns „….seyn sie mir gut..“ (Toplitzsee, August 1819) lag viel Ungewissheit drinnen für die 15jährige Anna, die der Obhut des Elternhauses noch nicht entwachsen und die später dann den halbverwaisten Geschwistern verpflichtet war. So wenige Worte also und doch waren es genug, um die Hoffnung nicht zum Verglühen zu bringen. Ein Wiedersehen nach diesen ersten sommerlichen Begegnungen sollte es ja erst nach über einem Jahr geben.

Eine solche Durststrecke wäre heute beinahe ausgeschlossen. Gegenwärtig erscheint uns ja ein nicht sofort beantwortetes SMS schon als Affront. So banal uns die heutigen Leidensgeschichten der Liebenden vorkommen, sie werden ziemlich sicher von denselben Gefühlsausbrüchen begleitet. Dem elektronisch übermittelten Liebesgestammel fehlt es aber an Poesie:

hallo du – schon daheim? ja, alles O.K. möchte d. wiedersehn! is recht, morgen selbe zeit? du bist süss! du a! bist du sch. vergeben? weiss nicht! was heisst das? na ja! also b. morgen, wie heisst d. eigentlich? susi! schön, i bin da Bernd! Cool!“

Kennen Fachleute die Liebe auf den ersten Blick?

Ja, die Wissenschaft unterstützt die Theorie des Ruck-Zuck-Verliebens. Es kommt auf die ersten Millisekunden der Begegnung an, sie sind entscheidend. Die körperlichen Reaktionen lesen sich nicht romantisch, sondern besorgniserregend: Beschleunigter Puls und damit erhöhter Serotonin-Gehalt im Blut, Zittern, verengte Pupillen sind erwiesene Nebenreaktionen.

Die Psychologen wiederum halten nicht so viel von der Blitzliebe. Sie meinen, dass ihre „Opfer“ längst auf sie vorbereitet waren und Sehnsucht im Spiel ist. Es bündeln sich offensichtlich Partnerwünsche, die zeitgerecht aus dem Vakuum des Solistendaseins die Liebe auf den ersten Blick auslösen. Ja, und auch den Ursprung dieses gefährlichen Zustandes haben die Anthropologen herausgefunden:

Am Anfang der Menschheitsgeschichte musste das Weibchen in Sekundenbruchteilen entscheiden, ob der Kandidat vor ihnen als Beschützer und Ernährer geeignet ist. Ebenso erging es den Männchen: Für sie musste die Kandidatin als Beschützerin des Lebens und der Feuerstelle taugen. Diese rasche Urteilsfähigkeit bricht eben heute bei den „kultivierten“ Menschen in der Liebe auf den ersten Blick gelegentlich wieder hervor. Damit lässt sich `s leben und die Normalsterblichen haben viel einfachere Erklärungen parat: Sie – die Liebe auf den ersten Blick – haut uns einfach um. Mit voller Wucht. Gefühle fahren Achterbahn. Das Denken setzt aus. Eine Art Rausch beginnt. Peng – und plötzlich ist nichts mehr so, wie es vorher war. Von einem auf den anderen Augenblick – auf den ersten Blick eben.

Der Zölibat, Barack Obama und unser Prinz Johann

Zurück zur barrierefreien Welt, der ich das Wort rede. Die feierliche Verabschiedung des Zölibats ist zwar eine Hürde, aber längst keine solche mehr, die wir nicht noch erleben könnten. Barack Obamas Wahl zum ersten schwarzen US-Präsidenten hätte sich noch vor ein paar Jahren niemand vorauszusagen gewagt. Und: Erzherzog Johanns Annäherung an das Bürgertum war zu seiner Zeit ein sichtbares und fortschrittliches Zeichen im Sinne der Gleichheit aller Menschen. Den Bruder und Kaiser so viele Jahre um Eheerlaubnis betteln zu müssen, nicht aufzugeben und dann den Untertanen zu zeigen, dass es mit den Standesunterschieden zu Ende geht. Alle Achtung, Prinz Johann! Dass nicht Haubitzen und Musketen, sondern der Panzer der Liebe im Spiel war, um eine überaltete Klassifikation der Menschen abzuschaffen, macht aus einer ganz einfachen Liebesgeschichte ein bislang weltbewegendes Ereignis.

Sind aber alle Hürden überwunden?

Nein! Im Kleinen finden wir alle Vorurteile aufgereiht und alltäglich wieder: Wer in unseren Familien Nachschau hält, erfährt just 200 Jahre später, dass sich in den vier Wänden nicht viel geändert hat:

Vater: „Mit wem geht unsere Susi zum Waldfest, mit dem Charly, dem Sohn des erzkonservativen Vizebürgermeisters? Kann sie mir das antun? Mutter: „Da bist du falsch informiert, das ist schon vorbei. Ihr Freund heißt Mike und er ist der Sohn von unserem Fleischhauer“. Vater: „Ich versteh die Welt nicht mehr. Sie soll einmal die Anwaltkanzlei übernehmen, da ist es doch nicht gleichgültig, welchen Mann sie an Land zieht“ Mutter: „Sie wird schon eine gute Partie machen, mit dem neuen Gössl-Dirndl“.

So etwa könnte sich der Dialog abspielen und diesen gibt es im Bauernstand ebenso wie im Beamtenstand, von den Ärzten und Lehrern ganz abzusehen. Alle Eltern haben so ihre Vorstellungen vom idealen Partner oder der idealen Partnerin ihrer Kinder. Es geht ja um die Weitergabe des ansehnlichen Erbes zum Beispiel an einen jungen Mann mit Flinserl im Ohr, abgerissene Hosen und abgebissenen Fingernägel. Da muss man kein Habsburger sein, um aus der Haut zu fahren, es genügen eben die Anwaltskanzlei, 25 Ha Grund, ein Segelboot am Wörthersee und die Beteiligung am örtlichen Golfplatz. Kinder, Kinder!

Noch ein Blick auf die Familie Plochl

Zu damaligen Zeiten – als es auch noch Taglöhner gab – war der Beruf eines Postmeisters durchaus angesehen und damit auch Anna, die Tochter Jakob Plochls. Die mangelnde Bürgernähe des adeligen Kaiserhauses zeigt sich hier drastisch: Für die Hautevolee in Wien war Anna einfach nur ein Mädel vom Land, Postmeister hin oder Postmeister her.

Die heutige Generation der Mädchen vom Land weiß ihre Herkunft zu schätzen und verbindet ein Leben am Lande längst nicht mehr mit provinziellen Vorurteilen. Sie benötigen auch keine väterliche Berufsbezeichnung als Vorsilbe mehr. Es sei denn, es lässt sich mit dem Vater als Primar, als Abgeordneten, als Müllbaron oder als Hotelbesitzer noch eine gesellschaftliche Vorrangstellung verbinden. Inzwischen – nach Landung der Finanzkrise – klingt ja „Bankdirektorstochter“ auch nicht mehr so angesehen, wie noch vor Monaten. Die jüngsten Entwicklungen am Postsektor aber werden schon bald hunderte Postpartner entstehen lassen, deren Töchter – wenn sie sich schließlich einmal verehelichen möchten – einen „Postpartnertochterpartner“ benötigen. Bevor wir uns in weitere Details verlieren: Beim Waldfest, ganz links außen – bei den Bänken neben der Kegelbahn – entspinnt sich noch eine letzte erzherzogliche Diskussion:

Was es mit dem „Erz“ im Erzherzog auf sich hat

Prinz Johanns außergewöhnliches Engagement für den steirischen Erzberg und überhaupt für das Hüttenwesen lässt uns zu allererst vermuten, dass sich sein „Erz“titel von diesem Erzgestein ableitet, dessen Härte auch dem Erzfeind gerecht würde. Das „Schwarze Gold“ wie die Steirer das Erz nannten, wäre ja ein denkwürdiger Indikator für einen gehobenen Dienstgrad am kaiserlichen Hofe. Dieser Rückschluss macht ja den Landmenschen aus, der handfeste Metaphern liebt. Warum dem aber nicht so ist: „Erz“ ist ein Bestimmungswort in Zusammensetzung zur Bezeichnung eines hohen Ranges. Zugrunde liegt das griechische „arch(i)“ und dies bedeutet „der Erste“ zu sein, voran zu gehen, anfangen und herrschen. Erzherzog Johann hat wahrlich in vielen Dingen den Anfang vorgegeben. Alle seine Leistungen, deren wir heute gedenken, werden von seiner aufrichtigen Liebe zu „Nani“ – so hat er seine Anna zärtlich genannt – in den Schatten gestellt. Die hier pointierte Betrachtung tut dem empfindsamen Inhalt keinen Abbruch.

Das Schöne an den Heimlichkeiten

Zurück zum Waldfest, dem Ort der Begegnung, wo in lauer Sommernacht das eine Wort das andere ergibt, Blickkontakt gesucht, das Tanzbein geschwungen wird und die Grenzen zwischen einst und jetzt verfließen. Eine Sommerliebe wird keine Staatskrise mehr heraufbeschwören und ebenso haben die ersten Annäherungsversuche heute nichts Schicksalhaftes mehr an sich. Oder doch?

Im Einzelfall für die Verliebten – so würde ich es formulieren. Liebesgeschichten haben ja nur dann eine Seele, wenn es sich um unsere eigene handelt. An anderen Schicksalen rührt uns nur die Oberfläche, allein es fehlt uns der Blick in die Tiefe, die unter Verschluss gehalten wird. Ja, es bedarf nämlich auch der Heimlichkeiten. Sie sind nach der Erfindung der Fingerprints, der Gegenwart elektronischer Spione im Netz und der installierten Panoramakameras an der Straßenecke der einzig wahre und sichere Zufluchtsort. Damals wie heute gilt, dass es Gesten, Worte und Blicke sind, die zählen, auch wenn wir bereits die Handynummer ausgetauscht haben. Unaustauschbar bleiben Gefühle, deren Ablaufdatum zwar ebenso droht, an dessen Hinauszögerung wir aber ungehindert und lustvoll arbeiten können.

Zuguterletzt: Eine gute Liebesgeschichte hängt immer am seidenen Faden und die Wirklichkeit weicht da nicht wesentlich davon ab. Johann und Anna. Welche schöne Vorstellung von Liebe auf den ersten Blick, vom Überbordwerfen der Standesdünkel und vom Wert des Geheimnisses. Wer sich da eine Scheibe abschneiden möchte, ist nicht erzkonservativ sondern der Wahrhaftigkeit um ein Stück näher.

Sommer 1819 Schwarzensee im Sölktal:

 Johann fragt Anna, ob sie schon jemanden versprochen sei.
Anna antwortet unbefangen und kurz,
sie habe kein Verhältnis, sie sei frei.
Johann darauf: „Dann, da niemand Unrecht geschiehet –
seyn sie mir gut“

Frühsommer 2009 beim Waldfest:

Stefan zu Heike: „Hast Du einen Lover?“
Heike: „Was geht Dich das an?“
Stefan: „Nichts, aber ich würde Dich gern wiedersehen“
Heike: „Gib mir Deine Handynummer, ich schick Dir ein Foto von mir!“
Stefan: „Hm, was soll ich damit?“


Gwandhaus Journal, Salzburg, Nr. 9, Seite 53-63, 2009; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.