Musik als Heilmittel – ein kleiner Gedankenzyklus zur Beziehung Mensch und Musik

Der Titel dieses Beitrages ist die Bestätigung dessen, was wir alle schon selbst an uns erfahren haben, oder auch nur leise erahnen, weil wir uns in allen möglichen Stimmungen mit Musik umgeben.

Musik berührt unsere emotionale Seite, die sich dann bei der Ratio anbietet, Bewältigungsarbeit zu leisten. Da haben uns Töne, – die eigenen oder die empfangenen – einfach gut getan, uns in eine andere Schwingung gehoben oder uns ausgewogen liegen gelassen. Das war’s dann auch schon: Musik hatte ihre Finger im Spiel und wir tänzeln wieder durch den Alltag.

Gleichzeitig wissen wir um die gegenteilige Wirkung bescheid, wenn es um die Lautstärke und ebenso um die permanente Versorgung mit Klang geht. Wir wissen längst: Heilmittel, die in kleiner Dosierung ihre Wirkung zeigen, können in hoher Dosis eine Umkehrung zur Folge haben. Schieben wir aber diesen Gedanken beiseite, dann bleibt ein vielfältiges Geflecht von positiver Wirkung der Musik auf den Menschen. Es bleibt aber auch die Erkenntnis, dass sie – die Musik – uns gegeben ist, nicht um sie zu verbrauchen und uns in ihr zu verpacken, sondern um das Leben zum Klingen zu bringen.

Vom Ursprung bis zur Neuzeit

Der Ursprung der musikalischen Heilkunde (1) lässt sich schon in den ältesten Formen der Kulturgeschichte finden. Damals waren die Faktoren Abwehr und Kultus bestimmend, denn es galt mit deren Hilfe dämonische Mächte abzuwehren. Musik wurde nicht für den Kranken eingesetzt, sondern um sich vor ihm und dem Dämon zu schützen. Die Musik war sehr stark mit dem kultischen Tanz verbunden. Die rhythmischen, gleichförmigen, sich ständig wiederholenden als auch melodischen Elemente, sollten nicht schön, sondern Furcht erregend sein.

In der Antike bedeutete hingegen die Krankheit Prüfung und Läuterung. Heilung wurde im Geistigen und Ethischen gesucht und die Musik entstammte – so der Glauben – den Göttern. Das gesungene Wort und auch die Bewegung waren Teil davon und das Hauptgewicht lag in melodischer und harmonischer Schönheit.

Im Mittelalter wurde Musik mit dem religiösen Erleben verbunden. Musik bezweckte die Aufnahme des Göttlichen in sich selbst, dadurch sollten die Menschen allen körperlichen Leiden gefestigt entgegentreten können. Die Priester verfügten über ein großes Wissen um die Natur und kosmischen Zusammenhänge, worin Musik eingeschlossen war. Die bis hierher geschilderte Musik wurde weniger für die Heilung des Körpers als für die der Seele eingesetzt, die dann die Heilung des Körpers zur Folge hatte.

Bei der weltlichen Musik des Mittelalters wurden die Heilkräfte der Musik im Ethischen gesucht und gipfelte im Meistergesang. An die Musiker und Dichter wurden ethische und nicht nur künstlerische Ansprüche gestellt: Die Musik sollte den Menschen zum inneren Gleichmaß führen und den ganzen Menschen erfassen.

In der Neuzeit sind die Wurzeln früherer Musikbedeutung beinahe verschüttet. Die zunehmende Vermassung und der Materialismus verdrängen den Mythos rund um die Heilkräfte ebenso wie die Bedeutung der Rituale. Das Sinnliche und das Instinktmäßige in uns müssen neu geweckt werden und erfahren eine noch nie da gewesene öffentliche Präsenz. Gesundheit durch Musik ist heute – wie die gesammelten Schlagzeilen und Buchtitel aufzeigen – ein viel diskutiertes Thema: Singen macht gesund und noch dazu glücklich/ Singen stärkt das Immunsystem/ Heilen nach Noten/ Musik fördert die Hirnfunktion/ Musik als Topografie der Seele/ Sind Singen und Lachen Geschwister?/ Singen ist gesünder als Musik hören/ Heilende Rhythmen/ Musikerziehung und Singen fördert Intelligenz/ Die Magie der Musik/ Die musikalische Hausapotheke/ Musik und Psyche/ Die heilende Kraft des Singens/ Singen als Lebenshilfe u.v.a.

Dieser Rekurs in die Historie der Musik als Heilmittel bis zur Renaissance alten Wissens um die Wirkung von Musik kann nicht abgeschlossen werden, ohne die Musiktherapie und das damit verbundene Forschungsfeld zu nennen. In den letzten Jahrzehnten wurde eine eigenständige medizinisch-psychologische Therapieform entwickelt. Die Menschheit macht sich also längst die heilende Kraft der Musik zu Nutze und viele Krankheitssymptome und Behinderungen erfahren durch den gezielten Einsatz von Musik – passiv oder rezeptiv – Linderung.

Musik als Teil der Gesundheit

Abgesehen von der Heilung durch Musik wissen wir aber alle, wie sehr uns Musik in allen Lebenslagen stimuliert. Sie kann Stimmungen verstärken oder auch mithelfen, diese zu ertragen. Hilfreich ist es, eine musikalische Hausapotheke (2) bereit zu haben, zu wissen, welche Töne wir das eine oder das andere Mal brauchen. Selber Singen aber ist über das Berührtsein von Musik schon wegen der Intensivierung der Atmung gesund, denn „Singen ist tönender Atem“ (3).

Musik als Beitrag zu mehr Lebenssinn

Es ist wohl eindeutig, was dies alles für das musikalische Brauchtum und das Singen und Musizieren in der Steiermark noch bedeutet: Musik fördert nämlich auch soziale Begegnungen und zwischenmenschliche Verbundenheit, stärkt gleichfalls das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein. Nach wie vor ist es den Steirerinnen und Steirern eine liebe Gewohnheit, dass sich ihr kulturelles Leben am Jahreskreislauf orientiert und Rituale zelebriert werden. Das gilt für das Vereinswesen ebenso wie für die kleinen Gemeinschaften in Nachbarschaft und Familie. Musik ist dabei ein ständiger Begleiter und damit erfährt jedwede musikalische Aktivität eigentlich eine über das hobbymäßige hinausgehende Dimension: Musik wird zum inneren Auftrag, wird als Beitrag im Zusammenleben gebraucht. Es ist meine Stimme als Baustein für ein Ganzes aber auch für klangliche Höhenflüge. Es ist meine Seele, die sich in Wertschätzung wiegt und dabei gesundet. Wer selbst so manches Mal kraftvoll die Stimme erhebt, sein Gegenüber zur Überstimme verführt und andere mitschwingen lässt im Gleichklang und im Spiel mit Worten und Tönen, den mag die Erkenntnis, dass seine klingende Emotion gesund ist, in seinem Tun bestärken. Wer sich in diesem Gedanken wieder findet, der hat Musik als Teil des Lebens und als unverzichtbares Hausmittel entdeckt.

Anmerkungen:

(1) Johanna v. Schulz: Heilende Kräfte in der Musik, Drei Eichen Verlag München (Jahr) S 11ff
(2) Christoph Rueger: Die musikalische Hausapotheke; Ariston Verlag, Genf-München 1991
(3) Wolfgang Bossinger: Die heilende Kraft des Singens; Traumzeit Verlag, Battweiler 2006 S 127ff 

Weiterführende Literatur:

Adamek, Karl: Singen als Lebenshilfe. Zur Empirie und Theorie von Alltagsbewältigung Plädoyer für eine „Erneuerte Kultur des Singens“. Münster, New York: Waxmann, 1996, 315 S.
Bossinger, Wolfgang: Die heilende Kraft des Singens. Von den Ursprüngen bis zu modernen Erkenntnissen über die soziale und gesundheitsfördernde Wirkung von Gesang. Norderstedt: Books on demand, 2005, 296 S.
Kraus, Werner: Die Heilkraft der Musik. Einführung in die Musiktherapie2. aktualisierte Auflage. München: Beck, 2002, 245 S.
Luban-Plozza, Boris: Musik und Psyche. Hören mit der Seele. Basel: Birkhäuser, 1988, 266 S.
Mucci, Kate; Mucci, Richard: Heilende Klänge. Steyr: Ennsthaler Verlag, 2001, 153 S. : + CD.
Musik als…. Ausgewählte Betrachtungsweisen. Wien: Verlag der Akademie der Wissenschaften, 2006, 247 S.
Rasch, Friedrich: Alpenländisch Musikalische Haus-Apotheke. Ein Album von gesammelten Ländlern und Jodlern aus unseren Alpen, welche zumeist bisher noch ungedruckt sind, mit unterlegten humoristischen Kräuteranwendungen und Vorträgen in steirischer Mundart.. Graz: Eigenverlag, o.J., 40 S.
Röcker, Anna Elisabeth: Musik-Reisen als Heilungsweg. Blockaden lösen Lebensenergie gewinnen Kreativität freisetzen. München: Goldmann Verlag, 2005, 251 S. + 3 CD’s.
Rüger, Christoph: Die musikalische Hausapotheke für jedwede Lebens- und Stimmungslage von A-Z. . Genf: Ariston, 1991, 263 S.
Schleich, Johann: Kräuterweiber und Bauerndoktoren. Die geheimen Rezepte der Heilkundigen. Graz: Styria, 2001, 216 S.
Schulz, Johanna von: Heilende Kräfte in der Musik. Musiktherapie als Eingliederungshilfe für alle Behinderten. München: Drei Eichen, 1982, 198 S.
Spitzer, Manfred: Musik im Kopf. Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netzwerk7/ 2007. Stuttgart: Schattauer, 2002, 468 S.
Timmermann, Tonius: Die Musik des Menschen. Gesundheit und Entfaltung durch eine menschennahe Kultur. München: Piper, 1994, 270 S.
Wetz, Franz Josef: Die Magie der Musik.. Warum uns Töne trösten. Stuttgart: Klett – Cotta, 2004, 439 S.


Beitrag für den Steirischen Brauchtumskalender, Seite 128-130, Graz, 2008; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.