Auf der Suche nach dem Original

„Das ist ein Original“ gilt für ein Gemälde ebenso wie für einen Menschen. Beide Originale lösen in uns unterschiedliche Faszination aus. Während wir vom Gemälde lieber das Original anstatt die Kopie haben wollen, nimmt diese simple Vorliebe für das Echte beim menschlichen Original ganz andere Formen an: Den als Original empfundenen Menschen wollen wir nicht besitzen, wir begnügen uns damit, ihm nahe zu sein. Wir sind glücklich, wenn wir zu seinem engen Freundeskreis gehören. Zuguterletzt behandeln wir ein Mensch-Original doch wieder wie ein Kunstwerk: Wir stellen es – in Verehrung oder Erinnerung – in einen Goldrahmen.

Vom Original abkupfern

Im Angesicht solch besonderer Menschen – und das sind Originale – entsteht auch der Hang sie zu kopieren, Teile von ihnen, sei es die speziell herzhafte, unverblümte, unverschämte Wortwahl, das Auftrittsgehabe oder auch die Lieder u.s.w. – für die eigene originelle Darstellung zu nutzen. Während nun die Kopie in der Kunstwelt einen schlechten Ruf hat und bald einmal zum Plagiat verkommt, lebt die Volkskunst von ihr.

Diese Kultur lebt von der Weitergabe

Ohne Abschauen und Weitergeben gäbe es keine Wetterregeln, keine Lederhose, keine Mundart, keine Volksmusik. Vorbilder nachmachen ist sozusagen auch ein Prinzip der menschlichen Entwicklung und um einiges älter als die später errichteten Bildungswege. Der Schritt von der Fortbewegung auf allen Vieren zur aufrechten Gangart auf Zweien ist nämlich weit entfernt verwandt mit der Entwicklung vom Ländler zum Walzer.

Es geht um die schrittweise Mitnahme

Womit wir näher beim Thema wären: Neuerdings gelten neue Lebensentwürfe und Innovationen mehr als die schrittweise Mitnahme des bereits Dagewesenen. Traditionen stehen, wenn es um Österreichwerbung geht, zwar ganz in erster Reihe, bunt und freundlich. Im Kulturdiskurs ist der gedankliche Retourgang in die vom Menschen selbst gestaltete und wieder gekaute Volkskultur verpönt. So quasi: Die Zukunft ist ein See – am liebsten ohne Ufer. Halt: Spuren von Traditionsliebe sind da nur mehr im privaten Bereich zu finden, wenn sich auch der weltgewandte Burgschauspieler, der berühmte Maler und der Filmemacher für kurze Zeit in die Lederhose begeben. Damit liegen diese durchaus im Trend: Unsere Erfahrung sagt, dass es sich besser leben lässt, wenn wir auf dem Weg nach Vorwärts auch ein Stück Tradition haben dürfen, mitnehmen können und weitergeben sollen.

… weil es aus dem Rahmen fallen darf

Zurück zum Original: Das menschliche Original unterscheidet sich durch ein weiteres kleines Detail vom Original im Kunstatelier: Es ist auch deshalb ein Original, weil es aus dem Rahmen fallen darf.

Unser Vierzeiler stellt Originale vor, stellt aber auch die Frage, was jemanden zum Original macht, schürft ganz tief nach unserem rätselhaften Befinden um zum Schluss zu kommen: Jeder Mensch ist einmalig, ein Original für sich. Schade um die Energie die wir aufwenden, um zum Plagiat eines anderen zu verkommen…


Für die Mitarbeiter und Autoren der Zeitschrift „Der Vierzeiler“ wurde für jede Ausgabe ein Exposee erstellt, dem vorgelegten Thema einen Rahmen zu geben. Der Vierzeiler, Nr. 3/ Jahrgang 2005; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.