Des Musikanten Rock

Rock und Musik – macht das nicht Rockmusik? Ja und nein, aber fangen wir doch so an: Mit Rock meint man die Kurzform des Rock ’n‘ Roll der 50er Jahre.

Im deutschen Sprachraum war damit vorerst eine Mischung aus Rock ’n‘ Roll, Blues und anderen afro-amerikanischen Musikstilen gemeint. Später, nach dem Siegeszug des Beat und der Popmusik, überlagerten sich die Bedeutungen und das führte zu terminologischen Schwierigkeiten. Eine Unterscheidung nämlich lassen Beat, Pop und Rock nur im Bereich von Nuancen zu, so hat mir Herr Brockhaus versichert. Von der rätselhaften Rockmusik aber, führt einzig und alleine die Wortumkehr zum eigentlichen Thema, also zum Rock des Musikanten, besser noch: Zum Musikantenrock.

Von der Rockmusik zum Musikantenrock

Er ist schlicht und einfach – auch wenn er nicht schlicht und einfach ist – die Außenhaut des Musikus. Im Bereich des Blasmusikwesens ist diese Außenhaut Zeichen von optischer Harmonie, von Zugehörigkeit und Verschmelzung. Sagen wir es so: Sie ist der beabsichtigten klanglichen Einheit optisch voraus. Uniform – der Begriff  kommt vom lateinischen „uniformis“ – bedeutet nichts anderes als Gleichförmigkeit. Schon im Altertum gab es ja Bekleidungsvorschriften der Geistlichkeit und der Staatsdiener, also Ordenskleider und Amtstrachten. Erst ab dem 16. Jahrhundert, spricht man von Uniform als Übereinstimmung innerhalb einer Gruppe. Nur soviel zur Geschichte der uniformierten Musik.

Musik hören und schauen….

Für die ländlichen Tanzmusikanten wiederum war, noch zur Mitte des vorigen Jahrhunderts, die Gruppenbekleidung eher Ausnahme. Nach und nach setzt sich auch bei den vielen kleinen Tanzkapellen die einheitliche Kleidung durch. Welche Kleidung dabei bevorzugt wurde – von der Lederhose bis zum Trachtenanzug, mit oder ohne Kopfbedeckung – entzieht sich meiner Kenntnis. Ich denke, dass dieses gemeinsame Erscheinungsbild auch ein Bekenntnis zur engeren Heimat beinhaltet, wie dies ja auch in der Namensgebung bemerkbar ist: „Die Garstner Buam“, „Ausseer Bradlmusi“ und „St. Johanner Geigenmusi“. Nun aber von der Optik zur Praxis:

Musikanten brauchen den Rock – ob individuelles Einzelmodell oder gruppenspezifisch uniformiert – wie der Fernfahrer das Handschuhfach. Das Hemd ist einem zwar näher als der Rock, doch birgt der Letztere viel mehr Möglichkeiten, die wichtigsten Dinge bei sich zu haben. Der Zitherspieler findet  seinen Stimmschlüssel, der Posaunist sein Mundstück, der Geiger sein Kolophonium und alle Musikanten tragen ihn ganz sicher bei sich, den Terminkalender.

Ja, die Musikanten sind, dieses Rocktaschenstudium betreffend, nur exemplarisch gemeint. Die Lehrer-, Architekten- und Managerrocktaschen haben alle ihr individuelles Innenleben. Zumal ist es also lohnend, seine Sakkos und Röcke über zu stülpen, um längst Vermisstes aufzustöbern. Eine Inventur brachte bei mir Folgendes zutage:

Zahnstocher und Mundharmonika

Im schwarzen Sakko steckt noch ein Teilnahmeschein vom Bauernball-Glückshafen 1997, ebenso ein Zahnstocher nebst einer kleinen Dose Schnupftabak, die ich schon vermisste. Im grauen Lodenrock wiederum finde ich eine Büroklammer, einen Kugelschreiber, die Visitenkarte eines Herrn Ing. Albert Randler und – welches Glück, einen 100 Schilling Schein, aus guter alter Zeit. Mein Steirerrock enthält eine leere Zigarilloschachtel, die auf der Rückseite längst verflossene Termine aufweist, der Schladminger eine Schneuzfahne und die gute alte Mundharmonika. In der Außentasche steckt der Rest einer Violinsaite nebst einer rätselhaften Notiz auf einem Bieruntersetzer. Und was da alles auf den Boden gefallen ist: 3 Hemdknöpfe, Zündhölzer, Stücke vom Kolophonium und ein paar Münzen.

Taschen und Säckel

Ob Rock, Hose oder Mantel: Stets hat mich zuallererst das geheimnisvolle Innenleben fasziniert. Hier eine kleine flache und hier eine schmale tiefe Innentasche, hier ein Fach für den Terminkalender und daneben jenes für die Füllfeder. Das klingt nach Sonderbestellung und das war es auch: Als ich mir meinen ersten Steireranzug beim Schneidermeister Norbert Gruber in Lassing nähen ließ, war der Meister bass erstaunt, als ich für die Hackbretthämmerchen, ebenso aber für den Stimmschlüssel eine gesondert angepasste Innentasche bestellte. Viele Jahre später ließ ich mir  beim Schneidermeister Alois Pregartbauer in Frohnleiten wieder einen Rock anmessen. Als Liebhaber des köstlichen Virginia Tabaks beauftragte ich den Meister, mir die linke Innentasche haargenau nach Zigarrenschachtel-Muster anzupassen, nämlich im Ausmaß 8,5 Breite und 21 cm Tiefe. Von einer viel älteren Rocktaschengeschichte erfuhr ich erst Jahre später:

Nur Münzen – keine Scheine?

Die Geschichte – wie man sie mir erzählt hat, spielt in einer Zeit, als die Musikanten noch für jeden Tanz von den Tanzlustigen entlohnt wurden. Da flogen die Münzen und Geldscheine den Musikern zu, oftmals wurde ein Geldschein in die Hutkrempe des Vorgeigers gesteckt. Vom legendären Draxler Luis aus dem Übelbachtal erzählt man sich aber Sonderbares:

Er soll einen Rock mit neun Innentaschen besessen haben und als Anführer seiner Musikgruppe mit dem erhaltenen Musikantenlohn nicht sorgsam genug umgegangen sein. Seine Kollegen haben sich noch Jahre später bitterlich beschwert. Während der Tanzunterhaltung nämlich hätten sie ganz sicher gesehen, wie – nebst Münzen – auch mehrere Geldscheine im Rock des Luis verschwunden sind. Später aber, als es um das Aufteilen des Lohnes ging, habe der Luis behauptet, es seien nur Münzen eingegangen. In den vielen Innentaschen seines Musikantenrockes haben sich die Banknoten auf sonderbare Weise verflüchtigt. Posthum muss man dem Draxler Luis noch dankbar sein. Wer könnte eine solch vortreffliche Musikantenrock-Geschichte frei erfinden?


Tradition, Salzburg, 65/ 2005; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.