Was fehlt also zwischen dem Wein und dem Gesang?

Nein, gemeint ist nicht das Weib (Wein, Weib und Gesang) sondern die Verbinder dieser zwei sehr sinnlichen Welten. Dazu gehört unser Sinn für Ästhetik, denn das Glas erheben hat auch mit Feinmotorik zu tun, mit dem Hautkontakt zwischen uns und den edlen Formen des gläsernen Kunstwerkes. Dazu gehören aber auch die vielen überlieferten Begegnungsrituale, mitsamt den Trinksprüchen und Trinkliedern. Sie sind altbewährte Mitspieler. Prost!

Spannung ist das große Geheimnis

Der musikalische Ansatz ist also ein Seitentrieb vom eben genannten Ritual. Zuerst aber muss gesagt werden: Die Lust am Zusammensein entspringt zu einem hohen Maße dem Anderssein, oder gar der Suche nach dem gemeinsamen Nenner. Die meisten Begegnungen leben also von den feinen Unterschieden und von der ersten Anbahnung. Das Glas erheben, ist daher nicht die Folge von Entspannung sondern von Spannung. Wer dieses Kapitel noch nicht so gesehen hat, hat noch etwas vor sich.

Was ist aber mit dem Gesang? Gesang braucht die Entspannung von Spannung. Zumal klingen krampfhaft initiierte Stimmungslieder – “Ein Prost mit harmonischem Klange…“ aufgesetzt. Harmonie lässt sich nicht in der ersten halben Stunde herbeireden oder herbeisingen. Harmonie muss wie der Wein wachsen, der Wein und auch die Zeit sollen reif sein, wenn der Mund übergeht. Gesang ist die logische Fortsetzung vom Reden und daher nachher vorgesehen, dann wenn bei allgemeiner Stimmigkeit und Sinnlichkeit Worte obsolet werden, wenn in den schönen Texten der alten Lieder die Sehnsüchte in Poesie verpackt die Welt verändern.

Der Pfad zwischen unerwünschter und erwarteter Wirkung

Die Lieder zum Wein und zur Gemütlichkeit sind so zahlreich wie jene von der Liebe und vom liederlichen Leben. Der Volkston erlaubt sich hier besondere Eskapaden und vermittelt Tiefsinnigkeit ebenso wie Lebenslust. Gesungenes ist direkter als Gesprochenes, Singen ist sprunghafter als die Sprache, das merkt man spätestens dann, wenn sich Erotik mit Weltuntergangsstimmung vermengt.

Die Alkoholzufuhr – eine schöne Verantwortung

Beim Singen bedarf es der Anlaufzeit, des Gärvorganges. Das ist keine verlorene, sondern das ist die Vordienstzeit jeder guten Stimmung. Eine schnelle Verbindung zwischen Alkoholmenge und Singvermögen herzustellen, wäre zu billig. Das Thema unter den Biertisch fallen zu lassen wäre aber zweifacher Stilbruch.

Na bitteschön: Wer vom Wein spricht, kennt auch den schmalen Pfad zwischen unerwünschter und erwarteter Wirkung. Ebenso aber: Wer von Gesang spricht, hat Genuss und Verdruss gleichermaßen im Hinterkopf. Was lernen wir daraus? Wein und Gesang kann also nur mit unserer Hilfe zu Hochgenuss werden. Das ist doch eine schöne Verantwortung.


Vorwort im Steirischen Buschenschankführer, 2003; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.