Sie gehören zur Familie, denn alte Lieder sind es wert, behalten zu werden

Sie können sich noch an den Urgroßvater erinnern, als er mit seinen Freunden in der guten Stube saß und mit ihnen ein Lied nach dem anderen sang?

Und Sie schwärmen noch immer von diesem Bild und haben den Klang noch in den Ohren? Und Sie meinen, dass diese Zeiten nicht mehr kommen? Weit gefehlt: Lieder sind Familienbesitz – auch wenn sie zur Zeit schlummern – und es ist eine schöne Aufgabe, sie aus dem Vermächtnis in die nächste Generation weiterzugeben. Lieder sind aber wie alte Möbelstücke am schönsten, wenn sie gebraucht werden, wenn sie im Tages-, Jahres- und Lebenslauf nützlich sind. Deshalb sollten Sie auf diesen Familienbesitz stolz sein und ihn dann und wann – auch zur Freude Ihrer Gäste – zum Klingen bringen.

Die Zeit der Liederweglegung

Vielleicht aber sind Ihnen die Familiengesänge in Verlust geraten, denn es gibt für jeden von uns eine Zeit der Unachtsamkeit, sagen wir lieber, eine Zeit, in der Anderes wichtig ist, sei es die Übernahme des Betriebes oder der Hausbau. Mit den neuen innovativen Baustoffen, mit den pflegeleichten Böden, den abwischbaren Tischen und Bänken – kam auch die ein- und ausschaltbare Unterhaltung. Und nun bedauern sie es, vieles vergessen zu haben, sich an die Texte nicht mehr erinnern zu können. Da helfen wir gerne, denn fast alle Lieder sind in den Volksliedarchiven gesammelt und warten dort, um wieder entdeckt und gesungen zu werden.

Gibt es auch andere Hindernisse auf dem Weg zu den eigenen Liedern? Vielleicht meinen Sie, dass Ihrer Familie die Musikalität abhanden gekommen ist, dass es andere besser können. Das entlässt Sie nicht aus der Verantwortlichkeit, denn es gibt keinen Ersatz für diesen Familienbesitz! Es fehlt ihnen vielleicht an Übung und Gelegenheit. Mit diesem Leiden sind Sie allerdings nicht alleine, es geht nämlich vielen Familien so ähnlich. Nehmen Sie sich aber ein Beispiel an anderen Familien, die haben die Initiative bereits ergriffen:

Forschen Sie selber nach den verlorenen Liedern

Und so gehen Sie die Sache an: Sammeln Sie zuerst jene Lieder, die Ihnen in Erinnerung sind, ebenso jene Ihrer Familienmitglieder, jene der Großeltern, der Nachbarn und der Freunde. Sie werden schon in kurzer Zeit eine stattliche Anzahl aufgelistet haben. Genügt Ihnen zuerst nur der Liedanfang, so beginnen Sie nach und nach damit, die einzelnen Strophen aufzuschreiben, Sie werden viele Helfer brauchen, einer davon ist das Volksliedarchiv Ihres Bundeslandes.

Lassen Sie nicht locker: In Ihrer näheren Umgebung gibt es sicher einen der vielen Liedbesitzer, der Ihnen schon einmal aufgefallen ist, weil er in Geselligkeit gerne singt. Lassen Sie sich von ihm helfen und laden Sie ihn und Ihre Nachbarn einmal unter dem Titel “ Lust auf Singen“ ein. Ihr eigener lustiger Singabend könnte dann von Monat zu Monat und von Haus zu Haus wandern, wie es inzwischen schon viele solche Beispiele gibt. Die vorher gesammelten Lieder fassen Sie am besten in einer Mappe zusammen, sie hilft den Sängerinnen und Sängern über die zuerst beschriebene Hürde hinweg. Glauben Sie mir, der Bedarf an solchen Zusammenkünften ist enorm und sie machen vielen Mitmenschen die größte Freude damit.

Kinder fotografieren heute und entwickeln morgen

Besonders wichtig dabei ist: Sorgen Sie dafür, dass Ihre und die Kinder der Nachbarn dabei sind und selbst die Allerkleinsten die Lieder mithören. Diese sind die eifrigsten Aufzeichner und sie sind auch jene in der Runde, die das Singen wieder weitertragen werden.

Warum aber zählt Ihr Engagement?

Singen ist zu aller erst eine Familienaufgabe. Die musikalische Früherziehung findet bei Ihnen zuhause statt, gleich neben dem Küchenherd, wenn sie mit den kleinen am Vormittag trällern und den ersten Tanz probieren. Im Singen liegt mehr als nur die musikalische Ertüchtigung. Sie geben Ihren Kindern unverkennbare Signale mit, Liedergeschichten, die Jahre später von Ihren großen Kinder als Stück Heimat bewertet werden. Die musikalische Mitgift ist ja nicht die einzige, die Sie solchermaßen – im täglichen Ablauf – mitgeben. Es sind viele Fertigkeiten, Kochrezepte aus der Küche, Hausmedizin, Sprachspiele und eben auch Melodien.

Ich rede nicht von einem enklavenhaft gepflegten, alleinigen Rückzug auf Kinderlieder und Volkslieder. Gerade aber, weil heute Musik als Fertigware ständig um uns ist, haben wir in unserer Empfindungswelt eine Nische für die feinen Töne der Überlieferung freizuhalten, für das Spiel mit Melodie und Poesie. Für diese wichtige Aufgabe der Eltern bedarf es keiner Musikausbildung, eher aber der Pflege Ihrer angeborenen musikalischen Ader. Die Kinder werden es Ihnen danken und Ihre Gäste werden gerne mit einstimmen!

Welche Hilfen können wir anbieten?

Hilfe beim Liedersammeln: Sie erhalten von uns die fehlenden Texte und Melodien, ebenso auch Anregungen, wie Sie Ihre ganz persönliche Liedersammlung wieder zum Klingen bringen.


Sunnseitn Zeitschrift, Freistadt, 2002; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.