Streicheraktivitäten in der Steiermark

Mendelssohn im Kürbisfeld – Geigentag – Streicherfrühling

Ein Blick über den Semmering gefällig? Nein, heute einmal keine Tourismuswerbung, obwohl es sich durchaus auszahlt, Land und Leute zu besuchen und einmal einzutauchen.

Streicherfreunde sollten aber das Instrument mitnehmen, denn in der Steiermark gibt es eine ununterbrochene Tanzgeigerkultur. In der Folge zwei Veranstaltungshinweise und eine Kurzinformation über den 2. Streicherfrühling in der Stadt Frohnleiten.

Mendelssohn im Kürbisfeld. Klassik trifft Volksmusik

Vielleicht war es bislang eine Stilfrage, welchen Abstand Klassik von Volksmusik – und umgekehrt – einhält. Vielleicht gab es diesbezüglich wenig Erfahrungswerte. Im südsteirischen St. Johann lädt das Steirische Volksliedwerk zum vierten Mal zu einem besonderen Fest. Vom 1. bis 8. September gibt es ein reichhaltiges Lern – und Erlebnisprogramm unterstützt von der Gemeinde St. Johann, der Musikuniversität Wien und gefördert durch ein EU-Interregg-Projekt.

Das Besondere an den Musiktagen in St. Johann ist die Koppelung eines intensiven Kammermusikkurses mit der Vermittlung von lebendigen Musiktraditionen. Da sich Volksmusik mehr im emotionalen Bereich abspielt, sind die südsteirischen Musiktage auch ein Wechselbad, zugleich aber ein Eintauchen in die einzigartige Landschaft bis hin zu den Arbeitsabläufen am Bauernhof. Diese Konzeption zieht immer mehr Besucher in denn Bann. Neben den Teilnehmern am Kursus und Urlaubsgästen, sind es vor allem die St. Johanner selbst, die von den Musiktagen begeistert sind. Die Integration von Blasmusikern und Chorsängern, aber auch der äußerst musikalischen Bevölkerung – sogar mit gemeinsamen Musikauftritten, macht die Musiktage zur beispielhaften  Veranstaltung.

Was in der Vergangenheit nicht gelungen ist, nämlich die Bruchlinie zwischen den zwei so unterschiedlichen Musikgattungen zu verwischen und sich an der Nähe von Hochkunst und Volkskunst zu erquicken, kann der Veranstaltung in St. Johann geradezu pionierhaft zugeschrieben werden.

Dem Steirischen Volksliedwerk und dem Wiener Streichtrio ist es zu verdanken, dass dieses Rendezvous nun zur ständigen steirischen Einrichtung gehört. Die Brücke vom Mendelssohn Oktett über das Ländlerische, zu den rassigen Tanzgeiger-Klassikern und dem Jodler ist auf überzeugende Weise geschlagen.

Der Steirische Geigentag

Ein Freiluft-Geigentag auf der Leber. Ja, mit Leber ist einmal nicht das menschliche Organ gemeint, die Leber ist nämlich ein Sattel in Stattegg bei Graz und noch dazu ein begehrtes Ausflugsziel. Alle zwei Jahre treffen sich dort unter freiem Himmel die Tanzgeiger aus ganz Europa. Die Idee geht auf das Jahr 1976 zurück. Damals erfand man mit dem Geigentag eine Begegnungsstrategie fernab von Bildungshausenge. Einfacher gesagt: Es wurde versucht, die Vermittlung von Melodien, die Förderung des traditionellen Geigenspiels der emotionale Ebene anzuvertrauen.

Inzwischen ist der Geigentag mehrfach zur Besonderheit geraten. An erster Stelle steht der ungewöhnliche Lernprozess, die Weitergabe von Melodien und Erfahrungen- meist ohne Noten. Zum zweiten: Viele Menschen haben Geige gelernt und die Hürde zum musikalischen Spaß nie genommen. Sie holen nun das Instrument vom Schrank und sind mitten dabei, mitgerissen von hundertfachen Geigenstimmen. Viele Violinlehrerinnen und Violinlehrer bringen ihre Schützlinge zu dieser Veranstaltung, weil das Geigenspiel anschließend wieder mit viel mehr Spaß weitergeht. Und, es geht um Veranstaltungskultur. Hier wird ein Feld bereitet, auf dem es sich besser leben läßt. Ohne Verstärker und Sprechanlage auszukommen ist Reinkultur, und das bei der enormen Veranstaltungsgröße: Samstags etwa 2000 Menschen, die entweder spielen, zuhören oder tanzen. Am Sonntag gipfelt die Geigerei in einen Streicherfrühschoppen samt Geigenversteigerung.

Der Steirische Geigentag hat inzwischen auch einen touristischen Stellenwert. Stattegg, aber auch die umliegenden Gemeinden beherbergen die Gäste. Vor allem über die Volksliedwerk-Homepage wurde ein weltweites Interesse entfacht: Seien es nun die Musikanten aus Venezuela oder Südafrika, aus Liechtenstein, der Schweiz oder aus Norwegen. Sie alle empfinden diese gelungene Symbiose zwischen dem Publikum und den Musikanten – im Vergleich zu anderen international beschickten Folkloretreffen – auch als besonderes Beispiel der Begegnung von Tradition und Innovation, einer Verschmelzung von Musikgattungen und Musikstilen.

Wo gibt’s denn sowas: 12 Leihinstrumente sind ununterbrochen besetzt, um auch jenen zum ersten Aufstrich zu verhelfen, die bislang gemeint haben, sie seien unmusikalisch. Die Spannung und Harmonie zwischen Dilettantismus und Virtuosität machen den Geigentag aus. Wer das Steirische Volksliedwerk beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung kennt, weiß aber, dass der Erfolg auch der Verehelichung zwischen professionellem Management und der Volksliedwerk-Philosophie zuzuschreiben ist.

Der Streicherfrühling

Die kleine, erst kürzlich zur Stadt erhobene Gemeinde Frohnleiten, hat seit der Gründung des Werksorchesters der Papierfabrik Schweizer (1951) eine besondere Streicherkultur vorzuweisen. Zum einen gibt es einen regelrechten Andrang zum Violinunterricht in der Städtischen Musikschule, zum anderen besteht nach wie vor das „Schweizerorchester„ als  kultureller Faktor, ebenso gibt es ein interessiertes Konzertpublikum. Es existiert ein Kinder-Geigenchor, ein Jugendsinfonieorchester und ein Barockensemble. (Leitung: Mag. Angelika Schwab, Bernadette Schmutz)

Seit etwa eineinhalb Jahren kümmern sich die beiden Lehrerinnen auch um all jene Menschen, die in Frohnleiten und der näheren Umgebung jemals ein Streichinstrument gelernt und gespielt haben. Der örtliche Streicherverein „Die Feinstimmer„ hat mit dem Projekt „2. Streicherfrühling„ einen tollen Erfolg eingefahren. Etwa 60 Personen werden regelmäßig zum Musizieren eingeladen, etwa 25 Streicherinnen und Streicher kommen zu den Monatstreffen und greifen wieder zum Bogen. Zum größeren Teil handelt es sich um Pensionisten, es gibt aber auch viele jüngere Teilnehmer, die entweder durch berufliche Veränderung gezwungen waren, ihren Musikunterricht zu früh zu beenden, oder aber den Wohnort gewechselt und damit auch den musikalischen Anschluss verloren haben. Nunmehr erleben sie alle den 2. Streicherfrühling. Das Beispiel zeigt, wie sehr – neben der schwerpunktmäßigen Jugendmusikausbildung – das Arbeitsfeld „Musikbetreuung der Erwachsenen“ eine ergänzende Rolle in der Kulturarbeit spielen kann. Die Wieder-Streicher unterstützen übrigens mit Begeisterung das örtliche Jugendsinfonieorchester.


Toi toi toi – Mitteilungsblatt der Freunde der Wiener Streich- und Saiteninstrumente, Wien, 02/ 2002; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.