Volksmusikforschung und Volksmusikpflege in Österreich

Beispiele aus der Arbeit des Steirischen Volksliedwerkes

Gestatten Sie mir vorerst einige Sätze zur besonderen Situation des Sprechens über etwas, das in den einzelnen Talschaften unserer Steiermark einfach getan wird:

Das Singen und das Musizieren zu einem bestimmten Zweck, in einer unüberschaubaren Vielfalt und Buntheit. Ich möchte Ihnen einiges davon vorstellen, allerdings ausschließlich Tonaufnahmen aus den Jahren 1995/96. Es ist also weder ein Rückblick auf exotische historische Aufnahmen – damit kann man ja überall den besten Eindruck machen. Auch sind die Hörbeispiele kein Erfolg vorangegangener Bemühungen der Volksmusikpflege. Und welche Rolle fällt dem Steirischen Volksliedwerk zu?

Wenn uns etwas gelungen ist, dann ist es die Anhebung des Stellenwertes der tradierten Volksmusik. Die Interpreten scheren sich nämlich kaum um Forschung und Pflege – und das ist gut so. Denn: Wohlstand oder Armut, Vermassung oder Vereinsamung, Medienversorgung oder -Enthaltsamkeit, Verlassenheit oder Geborgenheit – das sind die wahren Gradmesser für oder gegen musikalisches Eigenleben der Menschen. Die Volksmusikpflege hat weder in der Vergangenheit und wird auch in der Zukunft kaum ausschlaggebend sein für das, was Menschen aus ihrem musikalischen Erbe machen oder nicht machen. Diese kritische Haltung zum Fach, das eine so großartige Welt der heimatlichen Töne zum Gegenstand hat, möchte ich diesem Beitrag voranstellen. Unsere große Aufgabe wird es immer sein, die Menschen auf ihre eigenen Veranlagungen Aufmerksam zu machen, Ihnen zu helfen dass sie zu den schönen Dingen des Lebens auch die musikalische Ausdruckskraft hinzuzuzählen lernen.

Zum besseren Verständnis dessen, was ich Ihnen zur steirischen Situation sagen kann, möchte ich unser Bundesland Steiermark vorstellen. Dies auch deshalb, weil sonst ein exotisches Bild entsteht: Etwa so: „Weit weg von hier, im Alpenland gibt es noch die letzten Reste von Volksmusik, da ist die Welt noch in Ordnung“. Mag sein, dass diese Rolle auch verlockend ist, Ihnen als letzter Zeuge volksmusikalischer Reinheit gegenüberzutreten. Ich werde bemüht sein, Ihnen die Situation der Volksmusik ohne Behübschung zu schildern, die Geschichte unseres Unternehmens zu streifen, um zuletzt den größeren Teil meiner Ausführungen unseren Zielsetzungen und Lösungsvorschlägen zu widmen.

Steiermark/Wirtschaft Kultur Größe:

Die Steiermark ist eines der neun österreichischen Bundesländer. Größe: 16.387 m2, landwirtschaftliche Fläche: 26 %, Wald: 54%, Gebirgsanteil: 76%, Einwohner: 1,1 Mio., Glauben: 84% katholisch, Eheschließungen jährlich 6.000, Scheidungen: jährlich 2.000, Kinderanzahl Durchschnitt: 1,2 Arbeitslosenrate zwischen 7-9%, Verkehrstote jährlich 235, Fremdenverkehrsbetten: 101.000, Universität Graz: 25.000 Studenten, Technische Universität Graz: 10.000 Studenten, Musikhochschule Graz: 1.200 Studenten, Vereine: 13.000, Blasmusikkapellen: 250, Chöre: 300, Hebammen: 249, Restmüll jährlich 328000 Tonnen. (Statistische Angaben sind verschiedenen Quellen entnommen, teilweise Schätzwerte)

Daraus ist durchaus ersichtlich, dass es sich bei der Steiermark um ein Land handelt, das auch die Probleme mit Verkehr, Arbeitslosen, Müll etc. hat. Das erscheint mir wichtig, wenn wir über Volkskultur reden, weil diese nur durch eine Zusammenschau vieler Faktoren verstanden werden kann. Niemand lebt auf der Volksmusikinsel isoliert mit seinen Liedern und seinem Dudelsack.

Steiermark /Landschaft:

Die außergewöhnliche und vielfältige steirische Landschaft bietet fast alles: Vom Hochgebirge, dem Dachstein-Tauern Massiv bis in die reizvolle Weinebene. Von den Industrieregionen Mur und Mürz, dem Erzberg bis zu den ausgedehnten landwirtschaftlichen Flächen der Süd- und Oststeiermark und zu den Almen der Obersteiermark.

Steiermark/ Kulturell:

Vom Gestüt Piber – der Residenz der Lipizzaner- über die zahlreichen Schlösser, Museen, das Joanneum zu Graz, dem Wallfahrtsort Mariazell, den wunderbaren Landesausstellungen, dem Schauspielhaus, der Grazer Oper bis hin zur besonderen Sprachfärbung der Obersteirer und der Weststeirer und den Gesängen und Klängen die wir Volksmusik nennen. Damit sind wir auch schon beim Thema.

Die Volksmusik der Steiermark in bunter Vielfalt

Es seien hier einmal alle Erscheinungsformen genannt: Die vokale und instrumentale Gebrauchsmusik der Menschen, Volksliedpflege im Chor, die musikalische Verbindung zwischen Folk und Volksmusik, Volksmusikelemente im Kabarett, die Schöpfung neue Lieder und Musik im Volkston, Freizeit-Volksmusik in Musikschul-Ensembles und musizierenden Familien, der volkstümliche Schlager, die Musik der Volkstanzbewegung und der Trachten- und Heimatvereine.

Das Steirische Volksliedunternehmen/ das Steirische Volksliedwerk

Das Steirische Volksliedwerk beim Amt der Steiermärkischen Landesregierung hat mehrere Aufgaben wahrzunehmen. Es sind dies: Die Betreuung und Verwaltung des Steirischen Volksliedarchives, die Durchführung von Volksmusik-Lehrveranstaltungen, die Veröffentlichung von Sing- und Spielliteratur und die Beratungstätigkeit als Auskunftsstelle für alle Fragen der musikalischen Volkskultur. Die Förderungsmaßnahmen im Bereich Volkslied, Volksmusik und Volkspoesie stehen in engem Zusammenhang mit den Ergebnissen aus verschiedenen Forschungsprojekten, wodurch das Steirische Volksliedwerk eine Schlüsselstelle zwischen musikalischer Überlieferung und dem Musik- Bildungsweg einnimmt.
Wie kann aber eine solche Vielzahl an Aufgaben wahrgenommen werden, wie dies aus den Tätigkeitsberichten des steirischen Volksliedwerkes herauszulesen ist? Der Erfolg liegt in der Verflechtung der Abteilung Volksliedwerk beim Land Steiermark und dem Verein Steirisches Volksliedwerk, der mit etwa 1800 Mitgliedern und einer Anzahl Sponsoren einen großen Beitrag leistet. Wir sind 10 hauptamtliche Mitarbeiter, 2 weitere auf Werkvertragsbasis und insgesamt (incl. ehrenamtliche Mitarbeiter) 33 Mitarbeiter. Die Höhe des jährlich zur Verfügung stehenden Budgets hängt natürlich auch von der Gebefreudigkeit der Sponsoren und von den zuständigen Politikern ab. Der Gesamtaufwand beträgt jährlich zwischen drei und 4 Mio. ö.S.

Geschichte des Volksliedwerkes

Der „Arbeitsausschuss für das Steirische Volkslied“ wurde am 7. Juni 1905 ins Leben gerufen, der Reichsratsabgeordnete Josef Pommer zum Obmann bestellt. Es war die große Zeit der Sammlung: Viktor Zack, Viktor Jabornik, Karl Reiterer, Agnes Stock, Hans Fraungruber, Johann Gollob, Robert Popelak u. a. sind verantwortlich dafür, dass vor allem zu Beginn dieses Jahrhunderts besondere Schätze ins Archiv eingebracht wurden.

Auch nach dem Zweiten Weltkrieg führten bedeutende Persönlichkeiten den Arbeitsausschuss, u. a. Viktor von Geramb und Hanns Koren. Den wesentlichen Aufbruch erlebte das 1974 zum „Steirischen Volksliedwerk“ umstrukturierte Unternehmen allerdings erst 1981. Das Steirische Volksliedwerk entwickelt eine rege Tätigkeit in allen Bereichen: Die Sammlung wurde ebenso forciert wie die Publikationstätigkeit und Pflege. Zahlreiche österreichweite Ideen und Anregungen nahmen in Graz ihren Ausgang. Akzeptanz und Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wurden u. a. durch Umstrukturierung des Arbeitsausschusses in einen Mitgliederverein gefördert. Das größte Kapital des Steirischen Volksliedwerkes bleibt jedoch die große Sammlung im Volksliedarchiv.

Das Volksliedarchiv

1. Die Handschriftenabteilung ist der wertvollste Teil des Bestandes. Es sind rund 30.000 Melodien und Texte sowie an die 8.000 Gstanzl, die in Mappen geordnet und katalogisiert wurden. Als Neuzugang des letzten Jahrzehnts zählen immerhin rund 100 Mappen, darunter sehr wertvolle Zugänge wie z. B. die Lois-Steiner-Sammlung oder der Nachlas von Otto Alois Schmidt und die handschriftlichen Belege aus der Feldforschung der letzten Jahre. Diese Neuzugänge warten auf die Katalogisierung. Wir haben mit der Einarbeitung gewartet, weil gerade in den letzten Jahren das neue Informationssystem für Volksliedarchive „INFOLK“ entwickelt wurde. Demnächst kann mit den Arbeiten begonnen werden. Damit ist auch eine Vernetzung mit den anderen österreichischen Volksliedarchiven verbunden. Neben der Handschriftenabteilung betreuen wir eine Fachbibliothek sowie ein Bild- und Tonarchiv und die Abteilung Biographien.

Publikationen

Als Bindeglied zwischen unserer Institution und unseren Mitgliedern und Förderern sehen wir unsere Zeitschrift „Der Vierzeiler“, die Sprachrohr für unsere Arbeit sein soll und musikalische Volkskultur in aktuellen Bezügen darstellt.

Das „Steirische Liederblatt“ ist Liedvermittler in kleinen Portionen. Es enthält Lieder aus dem Archiv, aus der Forschungstätigkeit oder Repertoire-Sammlungen gegenwärtiger Singgruppen.

Die Reihe „CORPUS MUSICAE POPULARIS AUSTRIACAE“ (COMPA) ist ein gesamtösterreichisches Unternehmen. Es beabsichtigt die Veröffentlichung des österreichischen Volksliedschatzes. Das Steirische Volksliedwerk beteiligt sich mit speziellen steirischen Themen.

„Sätze und Gegensätze“ heißt unsere wissenschaftliche Schriftenreihe. Sie ist der Auseinandersetzung mit volkskulturellen Themen gewidmet, ist aber auch das Publikationsorgan unserer Tagungs- und Symposionsberichte.

In der vom Österreichischen Volksliedwerk initiierten CD-Reihe „Musik der Regionen“ tritt auch das Steirische Volksliedwerk mit bisher zwei Produktionen in Erscheinung.

Das Steirische Volksliedwerk beteiligt sich auch an der vom Institut für Volksmusikforschung begonnenen Reihe „Tondokumente zur Volksmusik in Österreich“.

Beim Verlag Doblinger erscheint seit etwa 15 Jahren die Reihe „Volksmusik aus der Steiermark, herausgegeben vom Steirischen Volksliedwerk.

Weiters verweise ich auch auf die im Eigenverlag herausgegebenen Spiel- und Singhefte wie z.B. Musikantenstückln zum Geigentag, Wer tanzt nach meiner Pfeife?, Bläser spielen Volkstänze, Liederblätter zur Schwegelwoche u.a.

Initiativen/Projekte

Unsere Werkstoffe sind Menschen, deren Überlieferung, deren Musikalität. In zehn Jahren kann man einen Trend zur Volksmusik erzeugen, aber doch keinesfalls Lied, Tanz und Musik als Gebrauchsgut verankern. Die steirische Stelle für Volksmusik sollte von Beginn an keine Schaltstelle sein, auch keine Standesvertretung für die Volkssänger – und Musikanten. Unser Volksliedwerk sollte vor allem das Wissen über Volksmusik vermitteln und Einblick gewähren, aber auch Vergleiche ermöglichen.
Warum? Sie alle wissen, wie sehr der Begriff Volksmusik vielfach besetzt ist. Wie verunsichert sind die Pfleger, Lehrer, Musiker wenn es um die Volksmusik geht. So viele extreme Standpunkte würden mindestens zehn verschiedene Volksmusik – Ämter erfordern. Es war also eine besondere Leistung, dieses Steirische Volksliedwerk zu einer umfassenden Informationsstelle auszubauen und seine Anerkennung zu erreichen. Der große Kreis der Volksmusik-Experten und Pfleger hatte ja recht unterschiedliche Wünsche an eine solche Institution angemeldet. Ich erinnere mich an Sitzungen zu Beginn der Achtzigerjahre:

Da waren sie nun alle versammelt, jeder seinem Fach verantwortlich, auf seinen Volksliedbegriff eingeschworen:
Der Musikpädagoge wollte im Rahmen des Volksliedwerkes vor allem mitreden, welche Lieder geeignet und welche nicht geeignet sind. Der Ethnologe wollte publizieren, was er im Felde aufgenommen hat. Der Chorleiter suchte nach geeigneter Literatur für sein Ensemble und sah jedes Lied nur im Chorsatz vor sich. Der Fachinspektor suchte didaktisches Liedgut, der Musikant Stücke, die sonst niemand spielt, der ORF-Mitarbeiter wollte Anerkennung für seine letzte Sendung.

Die Kompetenz spielen lassen

Es fehlte hier offenbar an einer gemeinsamen Basis und es gab nur eine Chance diese Basis herzustellen. Das Archivmaterial gab diesen Rückhalt, dieses gesammelte Kapital und das Wissen darüber gab uns Kompetenz, ebenso die verstärkt in Angriff genommene Forschungsarbeit. Damit war unsere Institution plötzlich ein Anziehungspunkt. Die Aufarbeitung, Einrichtung und letztlich die Neu-Eröffnung im Jahre 1986 verschaffte uns Respekt – auch von jenen, die unsere Institution vorerst einmal als zuständig für die Trennung von Echt und Unecht sehen wollten. Unsere Forschungsergebnisse regten zum Nachdenken an und unsere Publikationen vermitteln seither einen Einblick in die Erlebniswelt Volksmusik. Ich zitiere nur einen Beitrag aus unserem Liederblatt:

Da treffen sich zwei Fuhrwerke vor dem Palais Attems in der Grazer Sackstraße. Das eine Gefährt transportiert Milch, das andere Mehl. Oben auf dem Wagen sitzt Johann Daum (1872-1960) und auf dem anderen sein Freund und Kriegskamerad, ein Müllner. In aller Herrgottsfrüh hält jeder sein Gespann an und sie jodeln einen „Zweier“. Vorne und hinten in der Sackstraße warten die Straßenbahnen geduldig bis die beiden fertig gesungen haben. „Heute undenkbar“, meint Johann Daum, der diese Begebenheit schildert. Es war sein Vater, da oben am Milchwagen, und die Geschichte muss sich zu Anfang dieses Jahrhunderts zugetragen haben. „Der Vater war ein lebenslustiger Mensch, hat immer und überall eine Melodie auf den Lippen gehabt“. So hat ihn Johann Daum in Erinnerung. Und er selbst ist seinem Vater in diesem Punkt durchaus nachgeraten. Die Familie Daum habe ich über den Herrn Feiertag, seines Zeichens „Höchwirt“ in Graz- Weinitzen, im Jahre 1986 kennengelernt. Maria und Johann Daum sind dort, zusammen mit Verwandten und Freunden, gern gesehene Gäste. Bei ihrem Lieblingswirt leeren sie halt so manches Glaserl Wein und singen dazu ihre Lieder. Der Wirt selbst lehnt dabei an der Theke und hat – unverkennbar – sein Vergnügen am Klang der Stimmen und am Gleichklang seiner Gäste. Er schätzt sie alle: Das Ehepaar Daum, die beiden Summer-Brüder und Frau Anni Sattler, die gerade zur Harmonika greift. „Sauf du ålter Gåssnschlankl! Sauf, dass du dastickst darån …“ – erklingt das nächste Lied. Johann Daum singt gestikulierend an, die zweite Stimme fällt ein. Die Leute erzählen sich singend die lustigen und zuweilen sentimentalen Liedergeschichten. Melodien und Texte widerspiegeln ein Leben, in dessen ereignisreichem Verlauf der Gesang die Alltäglichkeit zum hohen Feiertag verändert hat.
Der älteste dieser singenden Familie ist aber Johann Daum, Jahrgang 1909. In Andritz geboren, wurde er von seinem Vater in alle damals wichtigen Arbeitsvorgänge eingewiesen. Es war eine Zeit, die auch von den Kindern Leistung abverlangte. So hat der junge Daum – er hatte drei Geschwister – das Zupacken gelernt, aber auch so manches Lied von den Lippen des Vaters übernommen. Zum Kegelaufsetzen beim Binderwirt angehalten, hörte er viele Stunden lang die Lieder seiner Nachbarn. Johann Daum erlernte den Beruf eines Zimmermannes, betrieb eine Milchsammelstelle, und arbeitete bis zu seiner Pensionierung in der Maschinenfabrik Andritz.
Die Jahrzehnte, die Johann Daum mit seiner Frau Maria gemeinsam erlebte, waren nicht die üppigsten und friedlichsten. Man kann erahnen, welche Hürden die beiden nehmen mussten, um allen Zeiten trotzen zu können. Geselligkeit und Gastlichkeit aber waren immer groß geschrieben. Familienfeiern wurden vor allem singend verbracht. Johann Daum wurde zum Ehrenmitglied des St. Veiter Musikvereins ernannt und ist ein allseits geachteter Zeitgenosse. Er weiß die kirchlichen Feiertage zu begehen und verbleibt auch gerne in froher Runde. „Ein Achterl Weißen und ein Packerl Falk“ so seine Bestellung. Samt Rauch erfreut er sich bester Gesundheit und überhaupt: Seine Haltung ist würdevoll, seine Sprache geschliffen und seine Augen listig. “Kruzifix, heut håb i an Hamur, spåt und fruah“ sinniert er und lässt sich vom Höchwirt sein Backhendl servieren. Dass der Wirt auch auf seine Rechnung kommt, war ihm immer ein großes Anliegen.

Solche Nachrichten müssen ja nachdenklich machen. Vor allem bei jenen Volksmusik -Liebhabern, Lehrern und Musikern, für die Sauberkeit, Vortragsstil, würdiger Rahmen und Inhalt der Lieder die wichtigsten Kriterien für das Echte im Volkslied darstellten.

Ein musikalischer Sozialdienst

Mit Zähigkeit und ungewöhnlichen Mitteln machten wir langsame Fortschritte. Bei dem Wort „Mittel“ denken sie natürlich geradewegs an Millionen. Dem war und ist auch heute nicht so. Und es ist nicht alles so „rosig“, wie das Steirische Volksliedwerk gerne dargestellt wird. Es gibt eine Menge ungelöster Probleme und Schwachstellen, doch sind wir von der Methode nicht abgegangen, Erfolge ausgiebig zu genießen. Jeglicher Erfolg hängt davon ab, wie sehr wir bereit sind, aus Gelungenem die Kraft für Problemlösungen zu schöpfen. Ein gutes Betriebsklima ist übrigens Voraussetzung für Leistung, die manuelles Tun und geistige Auseinandersetzung mit der gestellten Aufgabe gleichermaßen beinhaltet. Laut Statut sollen wir uns der Sammlung, Erforschung, Pflege und Publikation von Volksmusik annehmen. Wir formulieren heute anders! Unsere wichtigste Aufgabe ist es, den Menschen bei der Anwendung ihrer musikalischen Fähigkeiten zu helfen. Sie können es ruhig einen musikalischen Sozialdienst nennen.

Einige weitere Abteilungen unseres Steirischen Volksliedwerkes

Folk & Volksmusik
Eine Forschungs- – und Begegnungsstätte. Hier wird die Geschichte der steirischen Folkmusik-Szene dokumentiert, deren Annäherung zur traditionellen Volksmusik unverkennbar ist.

Neues Steirerlied
Das reiche Schaffen steirischer Komponisten “ im Volkston “ wird hier ins Steirische Volksliedarchiv eingebracht. Es handelt sich hauptsächlich um Vokalmusik.

Volkstümliche Unterhaltungsmusik
Ausgehend von einer sehr umfangreichen Sammlung dieser Musikrichtung sind wir dabei, die Schnittstellen zwischen der Volksmusik und der volkstümlichen Unterhaltungsmusik zu suche und zu belegen.

Volksdichtung und Volkspoesie
Die Sammlung enthält eine unglaubliche Fülle von älterer und gegenwärtiger Dichtung. Von der Auftragsdichtung bis hin zu Märchen und Sage. Die zahlreichen Zusendungen beweisen uns einen besonderen Hang der Steirerinnen und Steirer zum Spiel mit den Worten.

Musik beim Wirt/ Musikantenfreundliche Gaststätte
Mit dieser Aktion haben wir uns von den Bühnen – Volksmusik – Veranstaltungen abgemeldet. Der Wirt garantiert für Begegnung und Gastlichkeit. Bisher haben sich rund 100 steirische Gaststätten dieser Aktion angeschlossen. Musikantenstammtische in der Steiermark widerspiegeln eine Vielfalt an musikalischen Spielstilen und garantieren auch die Begegnung mit anderen Musikgattungen.

Büro für Weihnachtslieder
Die Einrichtung ist eine Aufforderung, für seine Weihnachtsmusik selbst zu sorgen. Das Büro für Weihnachtslieder versorgt jährlich tausende Menschen mit den entsprechenden Texten und gibt Anregungen zur familiären Festgestaltung.

Internationaler Liederdienst
Ein entfallener Text oder eine nicht wieder auffindbare Melodie bedeuten einen Verlust. Wir begegnen dieser Tatsache mit unserem Liedertelefon. Ganzjährig erfüllt eine unserer Mitarbeiterinnen Liederwünsche – und dies weltweit.

Kurse für Instrumente
Wir kümmern uns darum, wenn ein Nachholbedarf gegeben ist, wie zum Beispiel bei der Harfe, der Schwegelpfeife, der Mundharmonika, dem Dudelsack und der Drehleier.

Steirischer Geigentag
Dieses große Fest der Geiger entstand mit der Absicht, das Tanzmusik-Spielen mit der Geige wieder zu fördern. Die Veranstaltung ist nicht nur ein Paradebeispiel wie sehr Begegnung auch Lernprozess sein kann. Sie ist auch ein Lehrbeispiel wie man Instrumentalisten anleiten kann, sich selbst in Szene zu setzen – eben Musikanten zu werden.

Volksmusik-Stipendien
Alljährlich widmet das Steirische Volksliedwerk einen Anteil seines Budgets der Ausbildung und Begegnung von jungen Menschen.

Symposien /Lieder haben lernen
Während die Symposien jeweils aktuellen Themen der musikalischen Volkskultur gewidmet sind, beschäftigt sich das Seminar „Lieder haben lernen“ mit alten, neuen und ungewöhnlichen Methoden der Liedvermittlung. Aus meinem Eröffnungsreferat zitiere ich:

Der Titel „Lieder haben lernen“ – ich gebe es zu – verwirrt vorerst einmal. Treffender aber kann man unser Anliegen nicht formulieren. Noch mehr: Jede herkömmliche Bezeichnung für so einen Singkurs würde dem eigentlichen Kursinhalt nicht gerecht werden. Was bedeutet also „Lieder haben lernen“? Alles, was mit Musik zu tun hat, wird von uns fast ausschließlich mit dem musikalischen Bildungsweg in Verbindung gebracht. Daher stammt auch der oftmals gehörte Satz: „Ich soll singen – ich kenn‘ ja nicht einmal die Noten“! Als ob das Singen von Noten ausgehen würde, Musikausbildung hat eben tatsächlich viel mit den Hilfsmitteln, mit Werkzeugen zu tun, die uns „Musikmachen“ ermöglichen. Die Melodien bringen wir mit Noten in Verbindung, den Klang mit der Satzgestaltung. Es sind vielfach vorgedruckte Informationen – Liederbücher und Notenblätter -, die zur Interpretation führen.
Singen als Lebens- und Festgestaltung hat aber eine Dimension, die über das Notenbild hinausgeht. Mir scheint, dass eine Entlastung von Musiktheorie den Sinn für ein größeres Erlebnisfeld öffnen würde, das Fehlen musiktheoretischen Hintergrundes einen besonderen Zugang oder Umgang, eben ein anderes „Erleben“ ermöglicht. Musik – und in unserem Falle Lieder – haben für uns lebenslange Bedeutung, wenn wir sie erlebt und nicht nur erlernt, das heißt „über Hilfsmittel erfasst“ haben.

Das Vanillekipferl-Rezept, einst auf einem Pergamentpapierrest von Großmutter handschriftlich überliefert, ist ein Erinnerungsstück, dessen Verwendung einfach den Kochbuch-Zweck erfüllt. Es ist zunächst nur eine Aufzählung von Zutaten. Was für eine Sinnes- und Eindrucksvielfalt kann diesem Vanillekipferl aber noch weit darüber hinaus anhaften? Es sind Großmutters Hände, die mit dem Teig umzugehen verstehen, es sind ihre Anweisungen und Anordnungen im duftgeschwängerten Küchenraum, der Tonfall ihrer Stimme, den wir heute noch im Ohr haben, es ist ihre Gestik, vielleicht die Handbewegung, mit der sie eine Haarsträhne aus dem Gesicht wischt. Es ist aber auch ihre Mühe, die uns als Eindruck hinterblieben ist, nämlich die Mühe um die Versorgung der Familie nebst dem sorgfältigen Einlagern der Köstlichkeiten – und zuletzt auch Großmutters Großzügigkeit beim Bewirten der Gäste, gepaart mit der sparsamen Einteilung der Reserven. Auch hier kann ein Rezept den Erlebnisgehalt nicht ersetzen. Mehr noch: Die schriftliche Notiz beinhaltet nur „Zutaten“.

Lieder können nicht nur im 2/4 oder 3/4 Takt, in Dur oder Moll-Tonarten, für Frauen- oder Männerstimmen geschrieben sein. Sie können auch das Klangbild einer erlebten Zeitspanne bewahren. Sie können uns zurückversetzen in ein längst vergessenes Spannungs- oder Stimmungsbild. Lieder haben ein bewegtes Eigenleben in uns und mit uns. Sie haben einen geheimnisvollen Ursprung und sind allen möglichen Menschen schon begegnet. Hauptsächlich solchen, die sie wiederum vergessen haben, oder auch solchen, die den Sinn nicht verstanden oder das Lied ganz anders interpretiert, vielleicht nur benützt haben. Hie und da auch einem Aufzeichner, der mit spitzer Feder seinen Eindruck zu Papier gebracht und diesen doch nur auf Musik reduziert hat. Was ist passiert? Lieder verlieren ihr Kleid, in das sie eingebettet sind, wenn wir aus ihnen ausschließlich Musik machen. Das ist der Grund, warum wir lernen müssen, sie zu haben. Sie mit dem Mantel des Lebens zu umgeben, sie schlechthin als Lebensmittel bei uns zu tragen und sie niemals unbeseelt weiterzugeben. Dieses Anliegen könnte man wohl auch auf viele andere Lebensbereiche übertragen. Überall begegnen uns angehäufte Kenntnisse, selten allerdings in gleichem Maße deren Einbettung in eine Lebensphilosophie. Musik ist leider bestens geeignet, nach Reinheit und Perfektion gemessen zu werden oder gar nach den Schlagzeilen, die sie gerade macht. Dazu gehört der Ziehharmonika-spielende Rockmusiker ebenso wie jener Club, der durch ein Konzert mit tausend Saugeigenspielern ins Buch der Rekorde kommen möchte.

Kurz und gut: Was auch immer produziert wird und welcher Hit auch immer landet: Liedbesitz dagegen bedeutet dreifaches Kapital: Es ist nicht nur die Freude an der klingenden Sprache, die wir für uns verbuchen. Zu allererst ist Liedbesitz Teil meiner Lebensgeschichte und Verlebendigung vieler Begegnungen. Und die Weitergabe und Überlieferung meiner Lieder ist auch ein Akt des sich Fortpflanzens, ein Entladen der gespeicherten Eindrücke als Folge des Besitzergreifens von einem geistigen Kapital, das uns bereits ohne grundbücherliche Eintragung gehört. „Lieder haben lernen“ ist daher der Versuch, dem Instinktmäßigen mehr Wertschätzung beizumessen, der Musik den großen Mantel Erlebnis umzuhängen und damit die Chance wahrzunehmen, verschüttetes musikalisches Tun auszugraben oder es gar nicht verschütten zu lassen.

Ich hoffe sehr, dass Sie sich ein Bild machen konnten von einer Einrichtung des Landes Steiermark, die sich der Volksmusikalität annimmt. Wir haben die Grenzen herkömmlicher Volksmusikpflege längst überschritten und wissen natürlich, dass in einer Welt des vielseitigen Musikkonsums auch mit anderen Musikgattungen durchaus volksmusikalisch umgegangen werden kann. Damit ist keine Verfälschung des Volksliedes im Gange, damit sind alte Werte nicht in Gefahr. Über Volksmusik kann nur Auskunft gegeben werden, wenn ihr umfassendes Erscheinungsbild ersichtlich wird, wenn die uns umgebende Musikwelt nicht unbeachtet bleibt.

Es gibt ein Bedürfnis, an Traditionen anzuknüpfen

Unser Archiv ist heute Begegnungsstätte von Menschen, die von der Vielfalt der vorhandenen Materialien und Gesichtspunkte profitieren und darin auch eine Notwendigkeit sehen. Die vorgelegten Ideen und Erkenntnisse für eine zeitgemäße Förderung musikalischer Eigeninitiative entstammen keinem verbalen Bekenntnis. Sie sind die Lehre aus dem Umgang mit den Menschen, die wir vor Ort befragen. Dabei ist die Suche nach dem ewig Echten nicht zielführend. Für die Menschen selbst liegen das Echte und das Unechte immer schön gemütlich nebeneinander. Das Bedürfnis aber, an Traditionen anzuknüpfen und eigenes Vermögen einzusetzen ist echt. Hier zu helfen ist eine große Aufgabe, sie ist um einiges schwieriger als saubere Volksmusik-Sendungen zu machen, schwieriger als große Treffen zu organisieren und schwieriger als einen Dachverband ins Leben zu rufen, der immer nur eine Auswahl um sich scharrt. Sie ist aber auch notwendiger denn je, denn Volksmusik ist wesentlich mehr als uns elitäre Kreise als Zusammenschau ihrer Pflegebemühung bieten können.

Zum Abschluss aber noch einige Gedanken zur Sinnhaftigkeit unserer Einrichtung Steirisches Volksliedwerk

Was muss Klang für eine Wirkung gehabt haben, als die Höhe, die Länge des Tones, die Jahreszeit und der musizierende Mensch noch bedeutsam waren? Der Gedanke ist reizvoll: Musik ohne Umweg über das Notenblatt, ohne Ausbildungs- und Tonleiter als ein Element unter den Elementen. Es ist freilich nur ein Gedankenspiel – niemand möchte und kann die Zeit zurückdrehen. Und: Musikausbildung gehört heute einmal zu unseren kulturellen Errungenschaften und zu unserem Selbstverständnis.
Etwas aber von der elementaren Kraft und Wirkung der Musik wünschen wir uns nach wie vor. Sie soll anrühren, erheitern, beruhigen. Und oftmals denken wir uns: Wenn nur jeder Virtuose so strahlende Augen hätte, wie der Musikant an der Ecke. Stattdessen ist unser ganzes Musikwirken und -ausbilden darauf ausgerichtet, dem Musikbetrieb Nachschub zu liefern, dem Konsum zu dienen, zu spezialisieren und zu verfeinern. Und: Wir sind mit der Wiedergabe von Musik beschäftigt, pfeifen auf Veranlagung und kaufen immer wieder neue Anlagen mit Rauschunterdrückung und anderen Finessen.

Und wir reden über Volksmusik, die schon den Ruf des Verstaubten hatte, die für die heutige Zeit nicht mehr relevante Texte transportiert, die ach so überholt ist? Was sind die Gründe für die Zuwendung? Welche Qualitäten hat diese Volksmusik, dass sie in den Mittelpunkt gerückt wird? Hat sie vielleicht etwas von jenen Dingen, die wir aus dem Blickfeld verloren haben, fehlt uns das Lebensmittel Musik? Sind wir vom Genussmittel schon angespeist? Die Überlegungen in diese Richtung und überhaupt die Initiative für diese Zusammenkunft dürfen sich nicht in der Liebhaberei und Zuneigung zur Volksmusik erschöpfen. Denn, was hat Volksmusik, was andere Musikgattungen nicht haben? Die Frage ist berechtigt, denn das Engagement für die Volksmusik wird heute allzu schnell in ein museales Eck gerückt. Der Stempel des Zurückgebliebenseins droht im Hintergrund. Wer spielt Altes, wenn doch tagtäglich Neues eine viel größere Rolle zu spielen scheint?

Gerade die Mitarbeiter der Volksliedwerke in Österreich sind heute alles andere als nur die Liebhaber einer Musik, nämlich der Volksmusik. Vielleicht – und dies sei mir auch gestattet – hat das in vergangenen Zeiten festgefahrene Volksmusik-Elite-Denken auch dazu beigetragen, dass Berührungsängste entstanden sind. Die neuerdings zu beobachtende Exklusivität von Volksmusik hat ebenfalls viele verstummen lassen. „Die Gruppe X kann das Lied viel besser, die war erst kürzlich im Rundfunk zu hören. Der Lehrer Y ist für das Musikalische zuständig – er hat Gitarre studiert. Ja – in unserem Ort gibt es viele musikalische Menschen: Den Kirchenchor, den Männerchor und die Musikkapelle.“ Diese Art von Zuweisung der Musik an die dafür Zuständigen sieht über die Erkenntnis hinweg, dass viel mehr Menschen Lieder haben, als sich in Vereinen zum gemeinsamen Tun treffen. Dass oft nur wenige mitsingen, aber viele mitklingen.

Was hat sie also – die Volksmusik -, was andere Musik nicht hat? Da klingen die Antworten zumeist abgedroschen und verbraucht. Etwa, wenn sie immer als schlicht und einfach hingestellt wird, wenn Heimatbewusstsein ins Spiel gebracht wird. aber müssten wir nicht längst darüber hinweg sein, das Komplizierte zu schätzen und das Schlichte, Einfache zu unterschätzen? Und: Müsste nicht schon längst vorbei sein, Heimatliebe zu belächeln? Alle anderen Vorzüge, wie „sie ist leicht erfassbar“, „sie ist Tanz, Instrumentalmusik und Gesang verbindend“ können durchaus auch für andere Musikrichtungen gelten. Also was hat sie?

Volksmusik ist die Kennmelodie unserer Heimat

Die enge Zweistimmigkeit und die kurzphrasigen Ländlerformen sind mehr als nur leicht erfassbar Alpenländisches in der musikalischen Landschaft, im heute stets bereiten Tonbrei. Mehr noch: Sie – die Volksmusik – ist der Klebstoff zwischen den Generationen. Das Vermitteln von volksmusikalischen Eindrücken steht damit nicht im Widerspruch zur umfassenden Musikerziehung, zum Einblick in die Bedeutung der Musik auf dieser Welt. Beheimatung ist aber gefragt, schlicht Beheimatung. Und dies in einer Zeit, in der niemand mehr in einer Musik richtig zuhause ist (so die Klage eines Konzertveranstalters). Nicht die mangelnde Effizienz der Musikausbildungsstätte wird hier beklagt, nicht dass es zu wenig Volksmusiker gäbe. Alles Tun hat heute aber seinen Platz in der Bildungspyramide. Es gibt immer mehr pflichterfüllende Notenumsetzer. Alles wird nur mehr gedacht aber nicht mehr gefühlt. Der Ruf nach mehr Sinnlichkeit ist berechtigt. Der Kärntner und nun in Wien lehrende Popularmusiker Walter Haberl spricht sogar von der Gefahr der Verhirnung von Musik. Die Volksmusik ist dabei nicht ausgenommen. Wir beobachten heute eine zunehmende Vereinheitlichung musikalischer Aussagen, fehlende Einbindung von Musik ins Leben selbst und damit Aufstieg einer dereinst so großartigen Poesie- und Klangbedeutung in die Konzertebene. Wir erleben einen Mangel an persönlicher Note, weil, die Lebensgesetze der Volksmusik missachtend, eine ganze Gattung über einen Leisten gebogen wird. Plötzlich hat Technik den Vorrang – von der Ausstrahlung, die ein Musiker haben muss, ist nicht die Rede. Da hören wir Anleitungen, dass gerade Volksmusik mit G’fühl gespielt gehört, als ob andere Musik und anderes Tun keiner Gefühle bedarf. Die Anbiederung an die Hochkunst wurde mit der Salonfähigkeit der Volksmusik eingeleitet. Inzwischen gibt es Weltreisende in Sachen Volksmusik, und selbst der Konsument wird verleitet, sich für die Volksmusik zu entscheiden, statt ihn zur Selbstversorgung mit den Melodien des Lebens anzuregen.

Raus aus dem Bildungskorsett

Meine Damen und Herren! Volksmusik ist also nicht das alleinige Lösungsmittel. Alle Bereiche unseres Lebens sind heute ins Bildungskorsett geschnürt, werden dann allzu leicht als bedeutungsloses Accessoire zum Freizeitgeräusch. Nur das Leben selbst lehrt uns, dass es schier unglaubliche Übergänge und Zugänge bereithält: Wir stoßen tagtäglich auf Musik aus der Überlieferung (vom Vater, von der Mutter, vom Rundfunk, von einer CD abgehört), zurechtgebogen, zersungen, verändert – dem persönlichen Vermögen angepasst. Wir entdecken Variantenbildung, Musik im Gebrauch, Singmanieren, die vom musiktheoretischen Muster abweichen, eine Vielfalt von Klangspielen, das Aufleben von alten aber auch neuen Singbräuchen, und das alles durch instinktmäßiges Tun – aus der Notwendigkeit heraus oder – wie lehrreich – wider besseres Wissen über Musik.

Wenn Musik mit Bildern versetzt wird

Volksmusik ist eine eigene Gattung und hat ihren Nährboden im Umfeld, im Gebrauch. Sie tritt in der Steiermark natürlich auch in der Verpackung aller anderen Gattungen auf, und jenes Podium der Produktionen, des Darstellens hat entsprechenden Zulauf und verdeckt gerne die eigentlichen Stärken der Volksmusik, die über Präzision und Klangvolumen hinausgehen. Volksmusik ist zuallererst das „In-Töne-versetzen“ der eigenen Befindlichkeit, die musikalische Begleitung unserer wesentlichen Lebenspunkte, der Geselligkeit, der Feier, des Brauches – einfach der Rituale. Freilich – dazu eignet sich zumal auch andere Musik -, es muss nicht immer Volksmusik sein, die uns berührt. Es sind auch die Schlager dieser Zeit, die unsere emotionalen Stunden begleiten, es sind auch die volkstümlichen Lieder („Drei weiße Birken in meiner Heimat stehn …“). Es sind auch die Moden aus der anderen Welt („Happy birthday to you“). Immer aber wird Musik erst recht verstanden, wenn sie mit Bildern versetzt ist. Griechische Musik wiederholt dann Urlaubsfreuden, sakrale Klänge stehen für Gläubigkeit und Ergriffenheit oder auch für Betroffenheit, weil uns gerade ein Mensch genommen wurde, der uns viel bedeutet hat. Interessant ist, dass mit dem zunehmenden Abstand von der Heimat auch das Edelweißlied an Akzeptanz gewinnt. Verlust und Sehnsucht machen selbst Lieder zum Lebensmittel, die hierorts zum Kitsch verkommen sind. Der menschliche Körper filtert aus einer Fülle von musikalischen Eindrücken das für ihn ganz individuell geltende Repertoire. Die Töne, die hier Bedeutung gewinnen, sind nicht bedeutende Werke, sind vielleicht nur für einen Menschen im rechten Augenblick wichtig. Volkslieder sind im wahrsten Sinne des Wortes Lebensmittel, die unserer Befindlichkeit Konturen verleiht. Auch diese Tagung ist ein Zeichen des starken Willens und der ernsthaften Beschäftigung mit dem Wert der musikalischen Tradition. Dieser Kräfte, der Ideen, der Impulse wird es immer bedürfen, denn Traditionen ziehen sich zwar wie eine Ader durch die Generationen. Allerdings: Für das Pulsieren müssen wir selbst Sorge tragen.


Referat anlässlich Symposion „Volksmusik in Baden-Württemberg“, Ochsenhausen, 7/1996; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.