Wirtshausunterhaltung zwischen Bierdunst und Volkskunst

Aufg’spielt wird beim Wirt nicht, weil eine Musikagentur ein Fest geplant hat oder weil Musik auf dem Kulturprogramm steht. Nein, aufg’spielt wird, weil der Hans zum selben Zeitpunkt wie der Erich sein Stammlokal heimsucht, weil der Wirt die Harmonika zum Einrichtungsgegenstand gemacht hat und selbst „so viel gern“ die Überstimm’ singt. Das sind dann Sperrstunden ohne Veranstaltungskomitee, ohne Kulturbudget und ohne mediale Reflexion.

Der Name „Steirisches Volksliedwerk“ steht nicht nur für eine Institution, die in der Steiermark dem volksmusikalischen Erbe verpflichtet ist. Das könnte man deshalb annehmen, weil schon zur Zeit der Gründung dieser Institution (1905) neben der Dokumentation auch die Pflege des Volksliedes und der Volksmusik als besonderes Ziel formuliert wurde. Gemeint war vor allem die Rettung des musikalischen Volkslebens vor dem Verstummen. Heute bedeutet „Steirisches Volksliedwerk“ um einiges mehr. Man verbindet damit nicht nur den Respekt vor der klingenden Überlieferung, sondern auch Offenheit, Neugierde und freie Entfaltung. Es geht heute um den Stellenwert der Volksmusik innerhalb der Musikgattungen, um Akzeptanz der Überschneidungen und anderer Zugänge. Wir erkennen dabei, dass Beharrung zwar das Symbol von Rückständigkeit sein kann, dass sie aber durchaus die Keimzelle der Innovation in sich trägt.

Gebraucht und eingebettet, das ist Volksmusik

Um bessere Kenntnisse über unsere Volksmusik zu erlangen, bedarf es heute vor allem der Recherchen vor Ort – Feldforschung genannt. Eindrucksvolle musikalische Zeugnisse sind niemals das Produkt von musikalischen Menschen alleine. Das Typische entsteht im Zusammenhang mit gesellschaftlicher Stellung, den ortsüblichen und den brauchtümlichen Handlungen. Kurzum: Funktionierende musikalische Überlieferung ist das Ergebnis eines persönlichen Eingebettetseins und des Gebrauchtwerdens.

War früher alles anders?

Nun wissen wir, dass durch den Bildungsweg, den Medienkonsum und zunehmende Entfremdung der instinktmäßige Umgang mit Musik kaum beachtet, eher belächelt wird. Oftmals hören wir die Klage, dass es früher besser war, dass man sich im Gasthaus getroffen hat und dass kleine gesellschaftliche Ereignisse auch immer musikalische Bereicherung fanden. Der Weg von der gelebten musikalischen Praxis bis zur reinen Konsumation war aber kein natürlicher Prozess.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat die studentisch-bürgerliche Jugendbewegung eine (romantische) Annäherung an die Quellen eingeleitet. Das Herausheben der lebendigen Zeugnisse aus dem „gewöhnlichen“ Umfeld, das Umwandeln in „Spielmusik“ und „Gruppengesang“ täuschte über eine tatsächliche Aneignung hinweg. Pädagogen und Bildungseinrichtungen haben musikalisches Niveau gefordert und den Abstand zwischen Volkskunst und Hochkunst keinesfalls verringert. Für die Volksmusik ging dabei ein wichtiges Merkmal verloren:

Dorfgasthäuser sind wichtige Institutionen

Sie entsteht, verändert sich und vergeht im Leben. Insofern ist es richtig, dass wir das Sterben der Dorfgasthäuser bedauern. Sie sind immer noch die wichtigsten Zentren für Information und Geselligkeit. In der kleinen dörflich-gesellschaftlichen Einheit liegen besondere Qualitäten des Zusammenlebens.

Mit der Aktion „Wieder aufspiel`n beim Wirt“ sowie mit der Auszeichnung zur „Musikantenfreundlichen Gaststätte“ hat das Steirische Volksliedwerk einen Weg der Volksmusikförderung beschritten, der heute in ganz Österreich übernommen wird. In der Steiermark sind rund 100 Gaststätten bekannt, die in unregelmäßigen Abständen zu solchen musikalischen Ereignissen aufrufen. Nach anfänglicher Hilfestellung durch das Steirische Volksliedwerk haben sich die Veranstaltungen sehr eigenständig entwickelt.

Die Reibungsflächen sind eine Chance

Sänger- und Musikantenstammtische – oder wie die Veranstaltungen auch immer genannt werden – sollen keineswegs zum Klischee werden, weshalb Wert darauf gelegt wird, dass jedes einzelne Ereignis seine eigene Note behält. Musikantenstammtische sind ein Schmelztiegel von sehr unterschiedlichen Musikgattungen, unterschiedlichem musikalischen Niveau und musikalischen Bedürfnissen. Die Reibungsflächen zwischen Tradition, Musikausbildung und Musikgeschmack sind, in einer Zeit des kritiklosen Konsums von Fertigware, eine willkommene Herausforderung.


Erstellt: 1996; Sätze und Gegensätze, Band 10, Graz, 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.