Der Liederschatz des Hansl Daum

Da treffen sich zwei Fuhrwerke vor dem Palais Attems in der Grazer Sackstraße. Das eine Gefährt transportiert Milch, das andere Mehl. Oben auf dem Wagen sitzt Johann Daum (1872–1960) und auf dem anderen sein Freund und Kriegskamerad, ein Müllner. In aller Herrgottsfrühe hält jeder sein Gespann an, und sie jodeln einen „Zweier“. Vorne und hinten in der Sackstraße warten die Straßenbahnen geduldig, bis die beiden fertiggesungen haben.

Stets ein Lied auf den Lippen

„Heute undenkbar“, meint Hansl Daum, der diese Begebenheit schildert. Es war sein Vater, da oben am Milchwagen, und die Geschichte muss sich in den 1920er Jahren zugetragen haben. „Der Vater war ein lebenslustiger Mensch, hat immer und überall eine Melodie auf den Lippen gehabt.“ So hat ihn der Hansl in Erinnerung. Und er selbst ist seinem Vater in diesem Punkt durchaus nachgeraten.

Die Familie Daum habe ich über den Herrn Feiertag, seines Zeichens „Höch­wirt“ in Graz-Weinitzen, im Jahre 1986 kennengelernt. Maria und Johann Daum sind dort, zusammen mit Verwandten und Freunden, gern gesehene Gäste. Bei ihrem Lieblingswirt leeren sie halt so manches Glaserl Wein und singen dazu ihre Lieder.

Der Wirt genießt hinter der Ausschank

Der Wirt selbst lehnt dabei an der Theke und hat – unverkennbar – sein Vergnügen am Klang der Stimmen und am Gleichklang seiner Gäste. Er schätzt sie alle: Das Ehepaar Daum, die beiden Summer-Brüder und Frau Anni Sattler, die gerade zur Harmonika greift. „Sauf, du ålter Gåssnschlankl, sauf, dass du dastickst darån …“ – erklingt das nächste Lied. Johann Daum singt gestikulierend an, die zweite Stimme fällt ein. Die Leute erzählen sich singend die lustigen und zuweilen sentimentalen Liedergeschichten. Melodien und Texte widerspiegeln ein Leben, in dessen ereignisreichem Verlauf der Gesang die Alltäglichkeit zum hohen Feiertag verändert hat.

Taschengeld beim Kegelaufsetzen verdient

Der älteste dieser singenden Familie ist aber Johann (Hansl) Daum, Jahrgang 1909. In Andritz geboren, wurde er von seinem Vater in alle damals wichtigen Arbeitsvorgänge eingewiesen. Es war eine Zeit, die auch von den Kindern Leistung abverlangte. So hat der junge Daum – er hatte drei Geschwister – das Zupacken gelernt, aber auch so manches Lied von den Lippen des Vaters übernommen. Zum Kegelaufsetzen beim Binderwirt angehalten, hörte er viele Stunden lang die Lieder seiner Nachbarn. Johann Daum erlernte den Beruf eines Zimmermanns, betrieb eine Milchsammelstelle und arbeitete bis zu seiner Pensionierung in der Maschinenfabrik Andritz.

Schwere Zeiten haben die beiden gemeinsam bewältigt

Die Jahrzehnte, die Johann Daum mit seiner Frau Maria gemeinsam erlebte, waren nicht die üppigsten und friedlichsten. Man kann erahnen, welche Hürden die beiden nehmen mussten, um allen Zeiten trotzen zu können. Geselligkeit und Gastlichkeit aber waren immer großgeschrieben. Familienfeiern wurden vor allem singend verbracht. Johann Daum wurde zum Ehrenmitglied des St. Veiter Musikvereins ernannt und ist ein allseits geachteter Zeitgenosse. Er weiß die kirchlichen Feiertage zu begehen und verbleibt auch gerne in froher Runde. „Ein Achterl Weißen und ein Packerl Falk“, so seine Bestellung. Trotz dem Packerl Falk und dem Zuspruch zum kühlen Weißen erfreut er sich bester Gesundheit und überhaupt:

Humor und Lebensfreude bis ins hohe Alter

Seine Haltung ist würdevoll, seine Sprache geschliffen und seine Augen listig. „Kruzifix, heut håb i an Hamur, spåt und fruah“, sinniert er und lässt sich vom Höchwirt sein Backhendl servieren. Dass der Wirt auch auf seine Rechnung kommt, ist und war ihm immer ein großes Anliegen.


Steirisches Liederblatt, 1/ 1996; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.