Heimatlied – garstig Lied?

Ich habe mein Heimatlied und will es niemandem lernen! Es soll sich wer anhängen, mitklingen, mitsingen – in meiner Heimat. Aber nicht in Radkersburg, Mariazell oder in der Ramsau, denn mein Lied „Mir gfållt hålt nix so guat, als wia mei „Übelbåchertål“ ist nicht nur textlich regional begrenzt, auch die Melodie ist ein Klangbild meiner Umgebung.

Dahinter stehen Gesichter, Erlebnis­se, Personen, Almluft, Freundschaft, Weinseligkeit und auch eine Portion Sehnsucht, die hier im Einklang mit Nachbarn und Freunden Erfüllung findet. Wo im Heimatlied die regionale Grenze überschritten wird, tritt ein anderer Begriff in den Vordergrund. Die Sehnsüchte wenden sich dann wie Wimpeln im Wind. Das Kufsteinlied steht für Berge und Tirol, „Mei Muatterl wår a Wienerin“ steht für Wiener Gemütlichkeit. (Die Geburtsurkunde der Mutter fällt nicht ins Gewicht!)

Eine Liedgattung mit Beigeschmack

Wer Liederbücher, insbesondere Schulliederbücher betrachtet, findet Heimatlieder und patriotische Gesänge auch noch in den Nachkriegsjahren. Keiner Liedgattung ist sosehr wie dem Heimatlied – durch seine Bezeichnung bereits – ein Beigeschmack mitgegeben. Jede Zeit hat aber auch einen besonderen Umgang mit den Geschmäckern. Die besungene Liebe zur Heimat ist, rückschauend betrachtet, einmal politisch anempfohlen, dann wiederum pädagogisch eingesetzt, oder aber als Kitsch verpönt. Neben der offiziellen Handhabung „Heimat-theorisierender“ Lieder, die uns ja auch so manche heute nicht geliebte Landeshymne beschert hat, sind unzählige Ortshymnen entstanden, und im Laufe der Zeit ist aus vielen Liedern so man­ches aufgrund seines Textes oder auch aufgrund seiner Melodie als Lied mit starkem Heimatbezug herausgehoben worden.

Heimatlieder in Liederbüchern

Anton Schlossars um 1880 in Graz herausgegebene poetische Anthologie „Steiermark im deutschen Liede“ ist eine Verherrlichung des Steirers und der Steiermark, und Franz Stöckls 1889 erschie­nenes Liederbuch ,,Steirerlieder für die Jugend“ war mit dem Pflichtlied „Hoch vom Dachstein an“ (L. E. Seidler) und den Liedern „Die Berge hoch an Erzen reich“ (J. E. Schmölzer), „Der Steirische Bua“ (J. E. Schmölzer), „Mei Steiermark mei ­Hoamatland …“ (P. Leonidas Kaltenegger), „Dem Kaiserlied“ (A. Schosser) und der uns heute noch bekannten ,,Steirischen Roas“ (Volkstümliche Weise / Anton Freiherr von Klesheim) bis hin zum ,,Erzherzog Johann-Lied“ eine fast ausschließlich dem patriotischen Heimat­lied gewidmete Ausgabe.

Überrascht – bezüglich des starken Anteiles an Heimatliedern – muss man deshalb sein, weil dieses zuletzt zitierte Liederbuch eben der Jugend gewidmet war. Solche Lieder für die Jugend? Es verwundert daher auch nicht, dass die „Chorgesangsschule für Lehrerbildungsanstalten“, erschie­nen 1909 in Wien, auch patriotische Lieder in einem eigenen Teil enthält. Das hier angebotene „Steirische Schützenlied“ (J. E. Schmölzer) beginnt eben mit jener heute oft belächelten Wort­wendung „Dort, wo …“. Auch das von Franz Blümel und Raimund Gotthart herausgege­bene „Liederbuch für die Jugend“, erschienen 1912 in Wien, beinhaltet ein Kapitel ,,Heimat und Vaterland“.

1917 verbreitet der steirische Volksliedsammler Viktor Zack in seinem „Steirischen Liederbuch für Volksschulen“ neben Hymnen an Österreich und an das Land Steiermark auch Soldatenlieder. Erstmalig 1925 erscheint unter seinem Namen ein Buch mit dem Titel „Zwanzig schöne alte Volkslieder“, diesmal ohne patriotische Lieder. 1929 erscheint dann im Leykam-Verlag, Graz, das „Alpenländische Liederbuch für Hauptschulen“ (Hans Haller und Hans Pratscher). Sie geben der Abteilung „Heimat und Vaterland“ breiten Raum. Die Lieder reichen von „Deutsch-Österreich, du herrliches Land“ (W. Kienzl) über Franz von Suppés „Dort, wo die Schneeberg stolz die Köpf in d’Wolken tragen“ bis zu „Muttersprache, Mutterspra­che, wie so wonnesam …“. Dass diese zahlreichen der Heimat gewidmeten Lieder durchaus als aktuelles Liedgut in dieses Buch aufgenommen wurden, beweist die Einteilung in die Rubrik ,,Hei­mat und Vaterland“. Erst das nächste Kapitel lautet nämlich „Aus alten Tagen“.

Im Einfluss der Volksliedpflege

Die Volksliedforschung und Pflege macht sich nun auch bemerkbar. So enthält das Buch ,,Steirerlieder – 42 echte Volkslieder und Jodler aus der grünen Mark“, herausgegeben 1935 von F. Kelbetz und O. Lawatsch, kein einziges Heimatlied. Luis Stanbergs ,,Aus’n Steirerlandl“, das in seinem Musikverlag 1938 erschienen ist, zeigt noch keine deutliche Wende. Neben der Steirischen Landeshymne findet sich natürlich das „Erzherzog Johann-Lied“ und „Der Steirische Brauch“ sowie unter dem Titel ,,Sehnsucht nach den Bergen“ auch das Duett von F. Abt „Wo die Alpenrosen blühen“. Das Tongemälde „An der grünen Mur“ (F. Blümel) findet man ebenso wie den „Kålten Stoanagråbn“ und „Die Gamserl schwarz und braun“. Mitten im Krieg, nämlich 1943, erschienen die Lieder in Steirischer Art von Hans Gielge „Wås i gern sing“. Sein „Herrgott, du hast mir a Hoamatl gschenkt, …“ und „Fåhr ma hoam, fåhr ma hoam“ sind die wenigen Lieder, die zu beliebten Heimatliedern geworden sind, obwohl fast alle seine Lieder die Liebe zur Heimat zum Inhalt haben.

Trotz des starken Anteiles an patriotischen Liedern und heimatbezogenen Gesängen in den besprochenen Liederbüchern sind es ganz wenige Lieder, die heute zum Liedbesitz der Bevölkerung gehören. „Ålmrausch, Ålmrausch, bist a schens Bleamal“ (R. Frettensattel), ,,Dås is des Hoamweh, wås mi so traurig måcht“ (A. Schosser), „Wånn i auf d’Ålma geh, låß i die Sorg dahoam“ (J. E. Schmölzer) sind die Lieder, die immer noch einen festen Platz im Repertoire der Menschen haben, obwohl sie aus den Liederbüchern verdrängt wurden.

Lieder für die Nachkriegskinder

Im Jahre 1945 gab Franz Blümel sein Heft „Steirerlieder – Der Jugend gewidmet“ heraus. Die Auswahl erscheint wie ein letztes Aufflackern eines alten Liedtypus, eine Zusammenfassung aller Steiermark-bezogenen Lieder, die den Nachkriegskindern hier angeboten wurden. Bereits 1949 findet man in „Volkslieder aus der Steiermark“, herausgegeben von der AGMÖ (Arbeitsgemein­schaft der Musikerzieher Österreichs), kein einziges der bis­her aufgezählten heimatlichen Lieder. Statt „Landeshymne“ und „Steirerherz“ gibt es aber immerhin noch das „Erzherzog Johann-Lied“, den „Ausseer Postillion“ und „Da Summa is aussi“. Im letz­ten klingt für viele Menschen auch heute noch Heimat mit. Zum Steirischen Gedenkjahr 1959, dem ein Wettbewerb ,,Schafft Lieder für das Steirische Gedenkjahr“ angeschlossen war, erschien ein Liederheft für gemischten Chor. Es beinhaltet neben Volksliedern im Chorsatz auch neue Heimatlieder, deren Verbreitung allerdings über die Chorszene selbst nicht hinausgegangen ist.

Volksliedpflege und Popularmusik

Lieder, die die Heimat zum Inhalt haben, werden heute kaum in Liederbüchern wiedergegeben. Kein Herausgeber möchte sich zum Vorwurf machen lassen, dass er Schnulzen verbreitet. Jeder möchte eine für seine Zeitepoche akzeptable Liedauswahl treffen. Anders in der populären Unterhaltungsmusik: Sie wird ausschließlich nach Einschalt- und Verkaufsziffern beurteilt. Niemand kommt auf die Idee, „I will ham nach Fürstenfeld“ (Schiffkowitz / Jandrisits) oder „I bins ja nur a Untersteirerin“ (A. Palli) zu Heimatliedern zu machen und sie damit in den Bereich des Kitsches einzuordnen. Nein, hier ist Heimat nicht belastend, sondern salonreif!

Ein Plädoyer für die Heimatlieder

Zurück zum Heimatlied, dessen schlechter Ruf eigentlich allein der fehlenden Toleranz gegenüber anderen Vorlieben und im Mangel an Bezug zu suchen ist. Niemand muss übrigens „O du mein Triestingtal“ schön empfinden, er soll aber des anderen Liedbesitz, des anderen musikalische Heimatbezogenheit, des anderen Lieblings­häferl mit dem Almrauschbild ebenso wie des anderen Garten­zwerg akzeptieren. Heimatlieder sind auch klingende Fassbarkeit von Wohlbefinden, ein anderes Begreifen der Landkarte.

Das Phänomen Heimatlied

Und schau ich zurück? Meine Eltern waren sogenannte „Zuagroaste“. Die neue Heimat haben sie geliebt, aber nicht besungen. Und als junger Mensch habe ich mich durchaus untergeordnet, wenn es darum ging, zwischen Kunst und Kitsch zu unterscheiden. In den sechziger Jahren wurden derartige heimat­liche Gesänge als ,,Schnulzen“ bezeichnet. Volkstanz- und Volks­musikpflege brachten eben neue Inhalte in Umlauf. Die Abwen­dung von jeder „falschen Sentimentalität“ war auch zugleich Verabschiedung von der Wirklichkeit. Heimatlieder haben auch ohne Pflegehilfe die Zeit überdauert, haben der Musikpädagogik und der Pflege ein „Schnippchen“ geschlagen.

Heimatlieder sind Zugvögel

Für mich sind die Erlebnisse aus meiner Jugend- und Volks­musik-Pflegezeit ausschlaggebend für meinen heutigen Bezug zum Heimatlied. Zeitgeist ist halt kein Dauerbrenner, und was die Liedvermittler, die Liedpädagogen betrifft, ist es nach einer geraumen Zeit der Beobachtung beruhigend festzustellen, dass Lieder – aus welchen Gründen auch immer – ihre eigenen Wege durch das Sieb der Zeit und die Mangel der Pädagogik gehen. Sie sind Zugvögel, die geschickt den letzten Häschern entweichen und die um Bildungsfabriken große Bögen ziehen.

Das Lied­potential der Bevölkerung – wenn man es genau betrachtet, weicht es von pflegerischen Bemühungen und Liederbüchern merklich ab steht auch für eine ganz besondere Form der Freiheit. Die selbst gewählte Anhänglichkeit gewissen Melodien und Texten gegenüber zeigt auch die Suche nach einem gemein­samen Nenner als Gegenpol zu Gleichheit und Egoismus. Wer heute noch meint, er könne die Auswahl für alle treffen, sich als Richter zwischen annehmbar und ablehnbar aufspielen, der wird kläglich scheitern. Die Bemühungen um ein neues Soldatenlieder­buch (Zeitungsschlagzeile: „Bundesheer durchforstet fragwürdiges Liedergut“) sind gar nicht hoch genug einzuschätzen. Die alten „Hådern“ werden aber an neuen Liederbüchern vorbeiklingen.

Lieder haben bedeutet: Hier aufgehoben sein

Ich hab’ meines und hab’ es auch immer bei mir. So wie ich jedem das Aufgehobensein in der Familie wünsche, sosehr wünsche ich jedem sein Heimatlied, seine unverwechselbare Umgebung. Über das Heimatlied reden eigentlich keine Menschen die es singen. Es reden jene davon, die es sammeln oder untersuchen.

Heimatlieder sind eine sehr persönliche Sache. Die kollekti­ve Liebe erscheint unglaubwürdig, je größer das Ensemble, desto unglaubwürdiger klingt das sattsam bekannte „Dort, wo …“-Lied, wenn es zur Schau gestellt wird. Ich erinnere mich da an den Gartenzwerg. Die kleine putzige Gipsfigur genügt uns ja nicht als Liebling für uns selbst. Wir stellen ihn – den Gartenzwerg – in Gesellschaft seiner ganzen Familie ausgerechnet dorthin, wo ihn jeder von der Straße aus bewundern kann. Das ist ja nur ein Beispiel unter vielen, denn das „zur Schau stellen“ unserer Lieblingsdinge macht uns doch offensichtlich Spaß. Beim Heimat­lied stellen sich dennoch zwei Fragen:

  1. Warum wird es mit Kitsch in Verbindung gebracht und daher abgelehnt?
  2. Was bedeutet das Heimatlied denjenigen, die es besitzen und die es singen?

Wie sehr der sentimentale Heimatbezug verpönt ist, zeigt auch die Vernachlässigung durch die Sammler und Volksliedforscher. Eine rühmliche Ausnahme stellt hier die große Sammlung des Nie­derösterreichers Josef Buchinger, 360 Heimatlieder und Ortshym­nen, dar. Eine ähnliche Zuwendung wäre auch in der Steiermark vonnöten. Die österreichische Volksliedpflege und die Chorszene sind dem Heimatlied immer mit kritischer Distanz gegenüber gestanden. Singleiter wurden jahrzehntelang in die Hochkunst der Musik eingeführt. So wird der Abstand zwischen Volkskunst und Hochkunst vergrößert, und man wird zum Richter über Gut und Böse, über Kunst und Kitsch. Trotzdem, immer wieder sind es kleine Singkreise oder Frauensinggruppen, die ihr Heimatlied ohne Vorbehalte pflegen. Hin und wieder geht ein solches Lied in das Repertoire der Bevölkerung über. Als Beispiel sei hier das „Übel­bacherlied“ genannt, das heute ein breiter Kreis der Bevölkerung singen kann.

Über die Gründe einer solchen „Einbürgerung“ wissen wir noch viel zu wenig. Sicher ist, dass nicht alle derartigen musikalisch-­poetischen Bekenntnisse den Weg der Verbreitung finden. Schon gar nicht die „von oben empfohlenen“ – siehe unsere Landeshym­nen –, die sehr selten die beabsichtigte Funktion erfüllen. Grund für die Einbürgerung solcher Lieder – und eine solche empfinde ich als positiven Beitrag eines Gemeinschaftslebens – ist die Verschmelzung von allgemein verständlichen melodischen Symbolen mit der Gelegenheit der Anwendung.

Funktionierendes Zusammenleben, alltäglich, dem Jahresbrauchtum entsprechend, ist guter Boden für ein eigenes Heimatlied. Damit wird aber deutlich, dass die Vorstellung vom umgekehrten Weg – wir brauchen ein Heimatlied, um unsere Gemeinschaft zu stärken – nur eine Illusion sein kann. Manche Lieder drücken Heimatliches aus. Das Singen dieser Lieder bedeutet eigentlich Hilfestellung, um sich in einer Welt der Ent­fremdung besser zurecht zu finden. Es sind nicht nur die Heimatlieder, die solchermaßen zum Humus der Verwurzelung werden. Ich denke hier an „Der Summa is aussi“ oder ,,Schau, schau wias regnan tuat“. Warum haben diese Lieder eine „Heimatliedwirkung“?

Die besonderen Beziehungen zwischen den Menschen, ihren Melodien und ihrer unmittelbaren Umgebung sind es, die uns als jeweilige Einmaligkeit Faszination sein sollten. Rätselhaft ist nur, wie schnell Lieblingshäferl und Heimatlied belächelt werden.

Literatur:

Deutsch, Walter: „Das Heimatlied“. In: Der Niederösterreicher, Heft l/1990, S. 5–10.

Buchinger, Josef: „360 Heimatlieder und Ortshymnen“. VLA f. NÖ u. Wien. IN 1727 a.b.

Der Vierzeiler, 11. Jg., Nr. 1, Mai 1991. Zum Thema: „Dort-wo-Lieder gesungen werden“


Brauchtumskalender 1995 der Niederösterreichischen -Heimatpflege, Mödling, 1994; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.