Wegen dem Tanz zum Tanz – so ohne Anlass?

Es ist einer der großen Fehler, wenn die Verfechter bodenständiger musikalischer Tradition diesem Denkmuster verfallen, nämlich Volkskultur = Volkstracht, Volkslied, Volksmusik, Volkstanz etc. und damit ihr Interessensfeld beschränken, statt es zu erweitern, indem die Frage nach der Bekleidung, dem Singen, dem Musizieren, dem Tanzen gestellt wird.

Lassen Sie sich von mir dazu verführen, den Tanz, die Tanzlust, den Tanzanlass in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Es gibt nämlich gemeinsame Nenner, Berüh­rungspunkte zwischen den verschiedenen Tanzmöglichkeiten der heutigen Zeit, die ich nun einmal gar nicht unterteilen möchte. Volkstanz ist dabei eine Kategorie, und der Begriff „Volkstanz“ wird – umso mehr wir uns mit dem Überbegriff „Tanz“ beschäftigen – unwichtig, ja unwesentlich.

Warum die Spezialisierung auf den Volkstanz?

Ich bin kein Tanzforscher, lasse daher historische Tatsachen aus dem Spiel. Ich bin kein Tanzleiter, verliere mich daher auch nicht in Fragen der Vermittlung. Meine Überlegungen stelle ich an, weil ich in einer volkstanzenden Familie aufgewachsen bin, Erfahrungen als Tanzmusikant einbringe und weil ich in Anbetracht des elementaren Ereignisses „Tanz“ die Pflege von Volkstänzen hinterfrage. Wenn volkskulturelle Verbände über eine museale Tätigkeit hinaus Tanz als wesentlichen Beitrag zum geselligen Leben, zur Kommunikation fördern wollen, dann geht dies sicherlich nicht über eine Spezialisierung auf „Volkstanz“ und Erfindung neuer Volkstanz-Anlässe, deren Anlass wieder das „Volkstanzen“ ist.

Zur Untermauerung mache ich nun doch einen historischen Ausflug. Unter dem Titel Kult und Bewegung (1) schreibt Paul Nettel: „Der primitive Mensch kleidet seelische Bewegungen in Formen des Tanzes. Man tanzt bei der Geburt des Sohnes, bei der Hochzeit, beim Begräbnis und bei den Initiationen, beim Wechsel der Jahreszeiten, bei der Bestellung des Feldes, beim Auszug zur Jagd und bei der Rückkehr.“

Warum gehen wir zum Tanz?

Niemand verlangt nun eine Rückkehr zu Kulthandlungen, doch sollte es uns zu denken geben, dass wir getrennt haben, was eigentlich zusammen gehört: Der Festanlass und der Tanz. Stattdessen erheben wir den Tanzabend zum Festanlass. Freilich sind die Volkstanzveranstaltungen auch manchmal an Anlässe gebunden wie Frühling, Kathrein etc. Vordergründig ist es aber der Volkstanz, wegen dem er selbst besucht wird. Diese neue Entwicklung zum Hobby-Volkstanz steht eigentlich im krassen Gegensatz zu einem Volkstanzbegriff, der gekoppelt ist mit der Vorstellung, dass die Bewohner eines Dorfes, einer Siedlung ihr Fest mit ihren Tänzen und ihren Liedern feiern.

Warum sind Feste gut besucht?

Wenn Sie sich nun vor Augen führen, dass die Volkstanzgelegenheiten weit in der Minderheit gegenüber allen anderen ländlichen Tanzgelegenheiten sind, dann lohnt es sich doch zu untersuchen, warum Bälle, Feste, Kirtage etc. gut besucht sind. Warum also?

1) Der Anlass stimmt. Sei es nun das Maibaumaufstellen, der Kirtag, der Ball als Gesellschaftsabend eines Vereines oder aber auch ein Ball eines Vereines zur Aufbesserung der Vereinskasse.

2) Das gesellschaftliche Ereignis stimmt. Weil die veranstaltende Gruppe harmoniert und zu feiern versteht, die verschiedenen Vereine aus einer Verpflichtung heraus sich gegenseitig besuchen, weil Menschen, die miteinander arbeiten, dieselben Umweltprobleme haben, den selben Alltag erleben, sich abendfüllend unterhalten können.

3) Die Gastlichkeit stimmt. Weil es bei solchen Festen auch um die ausreichende Verpflegung der Gäste geht. Feiern ist: Sich aus dem Alltag herausheben, sich Wünsche erfüllen – auch lukullische.

Der Unterhaltungswert stimmt!

Hier wird ein örtlich-gesellschaftliches Ereignis gefeiert, dass einen hohen Grad an Unterhaltungswert besitzt. Der Tanzboden mit der bereitgestellten Musik ist nur ein Teil des Angebotes, das aber reichlich genützt wird.

Wohlgemerkt – ich spreche von der gegenwärtigen Gepflogenheit bei steirischen Veranstaltungen (nicht Volksmusikveranstaltungen) mit Tanzmusik. Freilich kann man nun die Musik selbst, vor allem aber die Lautstärke bei einer solchen „volkstümlichen Unterhaltung“ kritisieren. Ich habe aber beobachtet, dass sich die Bevölkerung selbst von der allergewöhnlichsten Tschin-Bumm-Musik das Fest nicht verderben lässt. Das Ereignis bedeutet mehr – es geht nicht vordergründig um Musik oder Tanz. Von dieser gesunden Mischung zwischen Tanzgeschehen und gesellschaftlichem Ereignis berichtet auch schon Pater Romuald Pramberger in seiner volkskundlichen Studie „Steirische Tanzlust“. (2)

„… Ein paar Musikanten oder ein Spielmann mit seiner Ziehharmonika spielte zum Tanze auf und das junge Volk tanzt auf dem Rasen … zu den ländlichen Weisen, während die älteren ‘Mannerleut’ (Männer) vom Viehhandel, die älteren „Weiberleut“ (Frauen) von der Hauswirtschaft plaudern.“

Pramberger erzählt hier von den Gepflogenheiten zu Ende des 19. Jahrhunderts im oberen Murtal. Ebenso finden wir in Reiseberichten sehr deutlich den Hinweis auf die Einbindung des Tanzes in vielfältige Merkmale der Begegnung. In der jüngeren Literatur zum Thema Tanz finden wir immer weniger Zusammenhänge zwischen gesellschaftlich-kommunikativen Festverlauf und der Musik. Volkstanz wird zum alleinigen Inhalt. Viktor Geramb schreibt in seinem Aufsatz „Vom Tanzen“ (3) von der Körperhaltung, vom Gesichtsausdruck, von den Ehrentänzen und vom Rhythmus der Tanzmusik. Der wesentliche Bereich aber der gesellschaftlichen Voraussetzungen für das Tanzen sowie der Hinweis auf dessen Teilbedeutung wird außeracht gelassen. In seinem Buch „Sitte und Brauch in Österreich“ (4) geht er zwar speziell auf die traditionellen Tanzanlässe ein, macht aber keine Anmerkungen zum eben erwähnten Zusammenspiel zwischen Tanz und Unterhaltung. Es ist auch auffällig, dass in allen Abhandlungen zur österreichischen Volkskunde die Themenbereiche Volkstanz, Trinksitten, Volksbrauch, Volkslied zwar jeweils extra ausführlich behandelt werden, (5) das gesellige Volksleben aber außeracht gelassen wird.

Wo wird es beschrieben, das Zusammenwirken…

… zwischen der verbalen und musikalischen Kommunikation, zwischen Umfeld, Gastlichkeit, Musik und Tanz? Ob die Volkstanzpflege – zumindest die der Nachkriegszeit – in ihrem Bemühen um die Erneuerung und Belebung des Tanzes diese Überlegungen außeracht gelassen hat?

In den Lehrwerken für Volkstanzleiter ist letztlich nur mehr vom Volkstanzfest und „Offenem Volkstanzen“ die Rede. Hans Commenda gibt in seinem Handbuch für Festtage und Feierstunden (6) fertige Empfehlungen für die Abhaltung von Volkstanzfesten und Tanzabenden. Ich kann hier noch weitere Werke aufzählen, die den gleichen Mangel aufweisen wie z.B. Anton Novaks Handbuch für den Volkstanz „Steirische Tänze“ (7) u.a. Immerhin: Ilka Peter hat auf das Problem des „Tanzes wegen des Tanzens willen“ treffend hingewiesen. (8) Ich zitiere:

„Die meisten dieser Volkstanzkreise aber stellen, je länger sie bestehen, Inseln dar und sind wie solche abgeschlossen und von Andersartigem umgeben. Diese Isolierung aber ist nicht nur der Idee des Volkstanzens schädlich, sondern auch für die Teilnehmer des Tanzkreises gefährlich, was man allenthalben deutlich beobachten kann … Die allermeisten Tanzkreise zeigen allzu großen Abwechslungshunger; der Tanzleiter sieht seine Aufgabe darin, noch und noch Tänze aufzustöbern und ist stolz, auf seiner Liste der bereits durchgenommenen Tänze 150 oder mehr stehen zu haben. Da sich die Teilnehmer natürlich schon sehr gut, oft allzugut kennen, ist auch einer der Reize des geselligen Tanzes verloren gegangen, nämlich die bestimmt nicht ganz unwichtige Spannung, das Wesen eines bisher überhaupt nicht oder kaum gekannten Menschen ohne Worte, nur mittels seiner Bewegung zu erfassen. Wie reizvoll aber kann es sogar mitunter sein, ein Bekanntwerden nur auf die Bewegungssprache beschränkt zu lassen. Doch nur selten gelingt es den Teilnehmern, Tänze aus ihren geschlossenen Tanzkreis hinaus zu tragen und wieder im geselligen Leben der Allgemeinheit einzupflanzen. Dies aber müßte die vordringlichste Aufgabe sein!“

Die Überhöhung des Zusammenseins: Der Tanz

Ich komme nun zum Abschluss meiner Betrachtungen und möchte zusammenfassen: Den Mitarbeitern in volkskulturellen Verbänden müsste in erster Linie der Tanz als ein Teil der geselligen Begegnung ein Anliegen sein. Wir müssen unseren Blick freimachen für den Tanz als Mittel geselliger oder feierlicher Begegnung, als Überhöhung des Zusammenseins. Als solcher hat er auch eine andere Funktion, er spielt eine kleine Rolle im Zuge des Gesamtereignisses. Unsere oftmals kommerzielle, derbe Unterhaltungswelt, deren Zusammenspiel zwischen Ereignis, Kommunikation und musikalischer Zugabe als normal bezeichnet werden kann, besticht eigentlich durch Normalität und Unterhaltungswert. Könnten wir daraus lernen? Wir sollten!

Anmerkungen:

1 Nettel, Paul: Tanz und Tanzmusik. Tausend Jahre beschwingte Kunst. Herder­-Verlag 1962. S. 9–10.
2 Jahrbuch des Österr. und Deutschen Alpenvereins, München 1924, S. 132.
3 Jahrbuch des Österr. Volksliedwerkes, Bd. 6, S. 46–53.
4 Geramb, Viktor v.: Sitte und Brauch in Österreich. Ein Handbuch zur Kenntnis und Pflege der heimischen Volksbräuche, Graz 1948.
5 Mais, Adolf: Österreichische Volkskunde für jedermann, Wien 1952.
6 Commenda Hans, Festtage und Feierstunden. Ein Handbuch der Fest- und Feiergestaltung für alle. Wien 1959, S. 166, S. 170.
7 Novak Anton: Steirische Tänze. Volkstänze und Bauernspiele aus der Steiermark, Graz 1949.
8 Peter Ilka: Tanzbeschreibungen, Tanzforschung. Gesammelte Volkstanzstudien, Wien 1983. S. 32.


Referat anlässlich Sommerakademie Volkskultur, Altmünster 8/ 1992; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.