Initiativen zur Förderung der Gebrauchsmusik

„Initiativen zur Förderung der Gebrauchsmusik“ muss die Schlagzeile heißen, um die Bedeutung der Volksmusik im eigent­lichen Sinn für das Zusammenleben, für das Wohlbefinden der miteinander sprechenden, miteinander hoffenden und bangenden Menschen gebührend he­raus­streichen zu können. Sie – die Musik – als etwas zum Leben Gehörendes zählen, sie als Lebensmittel im Eigenbedarf verwenden.

Sollten wir einst nicht mehr miteinander sprechen können, den Umgang mittels Sprache nicht mehr schaffen, wäre dies bestürzend. Dass wir schon lange nicht mehr miteinander singen, dies dafür vorgesehenen Gruppie­rungen überlassen, haben wir ganz einfach hingenommen.

Wir haben es hingenommen, miteinander nicht mehr zu singen…

Was ich hier vor Ihnen in kurzen Worten anschneide, ist die Grundaus­sage meiner Arbeit und Bemühungen innerhalb meiner Dienststelle, dem Steirischen Volksliedwerk beim Landesjugendreferat. Zu diesem Problem­kreis gibt es bereits schriftliche Unterlagen, vor allem im Zusammenhang mit der Feldforschung, die viel dazu beigetragen hat, dass ich Volks­musikpflege nicht mehr so wie bisher üblich sehen will.

Das Leben in Reproduktionen

Betrachten wir die gegenwärtige Situation, so haben wir es im Bereich der Volksmusik – nun im weitesten Sinn gesprochen – vor allem mit Reproduk­tionen zu tun. Was fällt uns ein: der Volksmusikabend für die einge­ladenen Gäste oder für den Fremdenverkehr, der Musikantenstadl für die Fernseher, die Volksmusiksendungen für die Radiohörer und die unzähligen Konzerte, Treffen usw. von Gruppen und Kreisen, wiederum für Hörer und Seher, wobei diese Initiativen zumindest auch einem gesellschaftlich-gemeinschaftlichen Zweck dienlich sind. Die inzwischen gewählten Umschrei­bungen „Treffen“ und „Begegnung“ sollen meist Offenheit und Ungezwungenheit signalisieren. Das eigentliche Treffen findet dann doch zumeist beim Bühnenaufgang statt. Wir sind mit der Aufzählung dieser Möglichkeiten noch immer nicht bei der eigentlich dienenden Gebrauchsmusik „Volks­­musik“, wenngleich die aufgezählten Formen ohne Frage eine wesentliche Rolle im kulturellen Leben zu spielen haben – auch zu spielen haben.

Echte und unechte Stadlmusik?

Nun aber weiter: Wir artikulieren gerne unsere Abscheu dem Stadlge­schehen gegen­über, dulden andererseits den Gebrauch sogenannter „echter“ Volksmusik in den Medien und auf der Bühne, was jedoch nur ein Abklatsch dessen sein kann, was kraftvoll gebrauchte Über­lieferung bedeutet.

Ich stelle hier die jahrzehntelange aufopfernde Arbeit zahlreicher Volksmusik- und Volksliedfreunde und -Fachleute in Frage. Ich täte dies nicht, wenn nicht unsere Feldforschungstätigkeit der letzten fünf Jahre ein klares Bild sprechen würde, nämlich: Das Signal zu einer sinnvollen Pflege der Volksmusik heißt: Begegnungsfelder schaffen, damit Menschen miteinander reden, singen, feiern und denken können. Es ist doch bezeichnend, dass heute nur noch Begräbnisse jene umfassende Unterhaltung einer Dorfgemeinschaft bieten, die bei vielen Gelegenheiten nicht mehr funktioniert.

Musikalische Gundversorgung braucht einen Nährboden

Wenn also das Volksliedwerk in den letzten fünf Jahren das Augenmerk darauf gerichtet hat, vorerst gesellige Begegnungen zu ermöglichen, im kleinen regionalen Bereich Anstöße zu geben, dann durch die Erkenntnis, dass Singen und Musizieren, als Ausdruck der Bedürfnisse nach musikalischen Aussagen, einen Nährboden brauchen.

Unsere Marschrichtung: 1. Örtlichkeit, 2. Gastlichkeit

Das musikalische Element ist nicht Hauptteil des Leitgedankens, es ist wie die Geselligkeit abhängig von den ersten beiden Elementen. Das, was uns vorschwebt und nun schon erprobt wurde, hat nichts mehr mit dem klas­sischen „Volksmusikabend“ gemeinsam. Es wird keine Auswahl bei den Ak­teuren, bei erklingenden Liedern und Tanzweisen vorgenommen. Es werden keine Gruppen eingeladen und auch nicht vorgestellt. Es gibt überhaupt keinen Ansager und schon gar keine Verstärkeranlage. Es darf jeder, ob gut oder schlecht musikalisch ausge­stattet, mitmachen. Es gibt keine Sänger und Nichtsänger. Es gibt nur Menschen, die singen, oder Menschen, die nicht singen. Beide gehören aber zum Gesamterlebnis mit der beglückenden Erkenntnis, dass der nicht sin­gende Teil eben nicht als Publikum, sondern als ein Teil der Musik­szene gilt.

Der Stammtisch als Synonym für das klingende Beisammensein

Seit rund sechs Jahren werden von uns diese – wie wir sie nennen – Sän­ger- und Musikantenstammtische initiiert. Sie sind eine Abkehr von üb­lichen Veranstaltungsformen, ein „die Teilnehmer sich selbst überlassen“, eine Initiative zur Aktivierung der vorhandenen Musikalität im Menschen. Jährlich werden etwa 20 bis 35 solche regionalen Kleinveranstaltungen angeregt, wobei die Fülle der musikalischen Aussagen, die Unterschied­lichkeit des Ablaufes und die Vielfalt des Personalstils erstaunen las­sen. Es waren bisher durchwegs lehrreiche Begegnungen – voll von Über­raschungen. Wer da noch alles alte Balladen singen kann, die Mundhar­monika spielt, ein selbstgestricktes Gedicht zum Besten gibt, schöne Landler blasen kann und zu später Stunde meisterhaft einen Foxtrott drauf hat, ist beachtlich. Und noch etwas:

Vielfach konnten wir feststellen, dass solche musikalischen Szenen ohne unser Zutun in manchen Bereichen noch bestens funktionieren. Das beweist uns, dass unser Modell einen guten Anschluss an eine funktionierende Wirklichkeit bietet.

Wir ebnen zuerst ein Begegnungsfeld – so einfach geht das!

Noch einmal: Kein Liederbuch, kein Seminar (im Lehrsaalsinn), kein verbales Bekenntnis zu unserem Volkslied steht am Anfang einer Arbeit für die Volksmusik. Zuerst ebnen wir das Begegnungsfeld, um einer musi­kalischen Kostbarkeit unter die Arme zu greifen, der durch unseren Hang zur Perfektion, Spezialisten- und Sektierertum und unsere Medienhörigkeit nicht geholfen ist, jedoch unserer wohldosierten Hilfe bedarf.


Referat bei der Arbeitstagung des Forum Volkskultur – Steiermark (Falsche Kulissen – echte Signale), Bildungshaus –Mariatrost, Graz, 7/ 1987; Der Heimatpfleger, Baden-Württemberg 4/1989; Aus der Fuhrmannsgassn, Wien, 7/ 1990; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.