Lieder als Begleiter des Lebens

Machen wir uns nichts vor: Die Begehrlichkeit geht in Richtung Konsum, es geht um günstige Kleidung, billige Unterhaltung, tägliche und nächtliche Verfügbarkeit von Allem und um Entscheidungen, die lukrativ sind. Machen wir uns erst recht nichts vor: Da gibt es zeitgleich Begehrlichkeiten nach den unauslöschlichen Dingen, den Erlebnissen in der Bergwelt, nach den Begegnungen, die uns aufbauen und nach Melodien, die unser Leben aufblättern und widerspiegeln. Da ist keine Sentimentalität im Spiel, sondern ein Schritt zur Anreicherung des Daseins mit Sinn und Glück. Das Glück muss kein Vogerl sein….

Diese Zeilen schreibe ich, weil es nicht aussichtslos ist, sich selber wieder zum Klingen zu bringen. Meine Botschaft lautet: Unsere Lieder sind vielleicht verschüttet, aber sind wir nicht längst angehalten, in einem solchen Notfall Sonde und Schaufel in die Hand zu nehmen? Wie das gelingen könnte, zeige ich hier gerne auf und schreibe einen großen Bogen von den Ursachen bis zur Anleitung, wie wir dem Verstummen Einhalt gebieten können.

Kultur, nicht Unkultur ist das Thema

Singen ist eine Frage der Kultur. Ausgestattet mit Sitz und Stimme im Leben, ist es eigentlich grob fahrlässig, es so einfach bleiben zu lassen, nur weil wir es verlernt haben oder weil uns jemand gebeten hat, still zu sein. Von der monotonen Musikversorgung auf allen unseren Wegen möchte ich nicht sprechen, weil die Klage über permanente Beschallung und Musikverfolgung bis aufs Häusl, hier nachrangig behandelt werden soll. Die Frage lautet: Wie bringe ich wieder Musik in mein Leben?

Die Faszination der Vielfalt

Singen ist auch keine Frage der Volkskultur. Mit diesem Etikett sind unweigerlich der Trachtenjanker und die Brauchtumspflege verbunden und beides hat mit dem Singen in der Gemeinschaft, mitten im heutigen Lebensstil nicht unbedingt etwas zu tun. Wir Bergsteiger greifen längst zur leichten, wasserdichten Spezialausrüstung anstatt zum schweren Loden, möchten gerne nach der Schitour einfach singen und greifen dann zu den ganz alten Texten / Kein schöner Land / Am Brunnen vor dem Tore / zu den in unserer Region verankerten Almliedern / In die Berg bin i gern / zu den Schulliedern / Wia lustig is im Winta / den Hüttenliedern / Mei Huat der håt drei Löcher / bis hin zu den neuen Hådern der Nation / I will hoam nåch Fürstenfeld / nebst den ganz alten Fahrtenliedern / Der Nebel steigt im Fichtenwald / bis hin zu den Schlagern aus dem vorigen Jahrhundert / Ich will `nen Cowboy als Mann. Hab ich was vergessen? Ja, den / Irdninger Nåcheinand / und das Operettenlied / Was kann der Sigismund dafür, dass er so schön ist?

Ein Auftrag an uns alle

Mein Gott, da schöpfen wir aus dem Vollen und können uns rühmen, den Melodiereigen über zwei Jahrhunderte zu spannen. Die leidvolle Geschichte unseres Landes verlangt aber auch ein Selektieren und das ist erst recht Kultur. Viele Lieder sind verschwunden, nicht weil sie verboten wurden, sondern weil sich die Menschen selber davon verabschiedet haben. So wenig nur zur Belastung der Volkslieder und zur Verantwortlichkeit.

Wenn dann zusammen gesessen wird, geht es aber nicht um Musik, sondern um Bilder von vertrauten Landschaften und verliebten Zeiten. Melodien und Poesie vermögen die Stunden zu strecken und die Vergänglichkeit vor uns herzuschieben. Angesichts der Aussicht, ein Stück Lebensqualität zurück singen zu können, mache ich den Vorschlag einfach damit zu beginnen. Hier habt Ihr einen Rempler in Form der folgenden Vorschläge:

Für Euch zu Hause und für die Gruppe

Macht Euch eine Liederliste  (Was kennen wir und welche Lieder können wir, welche würden wir gerne …)
Bezieht die Familie mit ein
Bezieht Eure Wander- bzw. Tourengruppe mit ein
Ermittelt die 5 oder 10 beliebtesten Lieder
Kopiert die Texte auf A5 Blätter
Nehmt sie zur Familienfeier, zur Bergtour mit
Jemand übernimmt und übt das Ansingen der Lieder
Geht das nicht, dann nehmt einen geübten Sänger mit
Sobald die Lieder klingen, erweitert einfach die Liste
Bravo! Applaus!

Für den Hüttenwirt, für das Almgasthaus

Ermittle 10 bis 20 bekannte, beliebte Lieder Deiner Region
Kopiere die Texte und fertige 30 bis 50 Exemplare
Stelle diesen Liederdienst den Gästen zur Verfügung
Hänge eine Gitarre an die Wand
Stimme selber das erste Lied an
Schulterklopfen! Gut gemacht!

Wohlfühlen braucht man nicht perfektionieren

Warum empfehle ich, den Anfang ohne ein Liederbuch zu machen? Weil Euch mit einem Buch bewusst wird, was Ihr alles vergessen habt, das fördert den Frust und diesen sollten wir tunlichst vermeiden. Die kleine Portion hat ihren Vorteil – das hat die Behebung der Singverweigerung mit der Behebung einer Magenverstimmung gemein.

Ist Euch das Rezept zu simpel, dann sucht bitte einen anderen Startvorgang – es ist gleichgültig, wie Ihr beginnt, aber beginnt bitte. Und seid dann zufrieden: Eine Stunde gemeinsam Singen ist Balsam für die Seele und es gibt keinen Grund nach Höherem zu streben. Ich weiß schon: Das Musikland Österreich mit seinem hohen Anspruch an Perfektion, sitzt uns im Nacken. Merke aber: Das Werden von Musik ist schon ein permanentes Erlebnis. Besser bekannt als: Der Weg ist das Ziel.

Kultur ist es selber zu singen

meinte einst der Publizist DDr. Günther Nenning, der damit den Nagel am Kopf getroffen hat. Gerade die Alpenvereins Mitglieder sind wegweisend im Umgang mit den Ressourcen und pochen auf ein anderes, ein schöneres Menschsein.

Das gesellige Singen ist verschüttet. Den Notruf sollte jeder an sich selber richten, denn wir sind alle als Tonträger geboren worden.


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