Einst waren sie die gesprochene Verlängerung des erhobenen Zeigefingers: Die Sprichwörter. Und lange genug habe ich gebraucht, um einige davon zu entdecken, die mir nicht mehr in den Kram passen.Aber, da sag ich Ihnen ja nichts Neues, denn nicht immer ist das Alte bis in den Sankt Nimmerleinstag fortzuschreiben. Das gilt für das Zelebrieren der Abneigung (das wäre ein schönes Thema für die nächste Kolumne) und ebenso für die alten Erziehungsmethoden.
Die wichtigen Seitstellschritte im Leben…
Erinnern Sie sich noch? Man sagte früher gerne „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ und übte damit Kritik an Zeitgenossen die es sich herausnahmen, über ihren erlernten Beruf hinaus auch anderes anzugehen und dabei kläglich scheiterten. Sie waren dem Spott ausgeliefert! Heute ist es eine Notwendigkeit geworden, sich nach der Decke zu strecken, den Beruf zu wechseln und auch mehrere Berufe auszuüben. Selbst über das Scheitern wird heute weniger gespöttelt als früher, weil die Seitstellschritte im Leben auch nach Vorwärts führen. Sie sind die Stimulans des Fortschritts.
Kleider machen nicht Leute
Ähnlich kritisch sehe ich den Ausspruch „Kleider machen Leute“. Dann nämlich, wenn jemand wirklich glaubt, dass es auf die kammgegarnte Hülle und die scharfe Bügelfalte ankommt. Dann dauert es manches Mal ziemlich lange, bis man hinter den schönen Kleidern das nackte Nichts entdeckt und sich abwendet. Siehe da: Auch Kleider können da nicht ewig über die fehlende Bildung und vor allem Herzensbildung hinweg helfen.
Ist Singenthaltsamkeit böse?
Und welches Sprichwort habe ich noch gefunden? Gerne wird heute immer noch „Wo man singt da lass Dich ruhig nieder, denn böse Menschen haben keine Lieder“ zitiert, weil grundheraus angenommen wird, dass Gesang ein Hort des Guten und Schönen ist und das Abscheuliche fernhält. Es ist aber ein Trugschluss anzunehmen, dass die Musik keine Böswilligkeit zulässt. Die Historie lehrt uns leider eines Schlechteren, denn auch dort wo Musik gemacht wird, ist Streit und Hader zuhause, können Menschen sich gegenseitig vernichten und in Eifersucht schwelgen. Der alte Sinnesspruch bleibt also Wunschdenken, als solches allein ist er akzeptabel, denn noch niemals ist das Böse an der Singenthaltsamkeit zu erkennen gewesen.
Soll die Lüge zur ewigen Verdammnis führen?
Und dann gibt es noch den leidlichen Ausspruch und die Warnung: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht“. Selbst wenn dieser Reim einst der Erziehung zur Aufrichtigkeit hätte dienen sollen, ist er grundfalsch und inakzeptabel, denn er bedeutet klipp und klar, dass Lügnern keine Chance auf Rehabilitation zugestanden wird. Noch schlimmer: Wir verweigern sogar die Annahme der Wahrheit auf Kosten der ewigen Verdammnis, anstatt den anderen aufzurichten. Das kommt einer verweigerten Hilfeleistung gleich. Vergeben ist aber immer noch seliger als das Verurteilen…
Härtels kleines Credo, Martinsbote des Pfarrverbandes Deutschfeistritz-Peggau, Übelbach, 2018; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.