Festrede für Erich Sepp
Der erste Schritt in die Gaststube ist getan und mit einem Blick habe ich die Besetzung erfasst. Damit meine ich die personelle und die musikalisch-personelle. Wer garantiert mir, dass der Einkehrschwung sich lohnt? Der Durst ist wohl bald gelöscht, gibt es aber nicht noch andere Gründe für das Verweilen?
Der erste Blick erfasst die Sattler Ella, sie garantiert für den Blick nach rückwärts in ihre große Zeit als Lehrerin und sie garantiert auch dafür, dass sich so ein Wirtshausaufenthalt unweigerlich singend abspielt. Ihr Hötidi ridiei hotidi ri kommt tief aus ihrer Brust, wobei sie ihre Stirn wie bei einem Schi-Abfahrtslauf nach vorne schiebt. Und wer lehnt dort an der Wand? Es ist der Fuchs Willi, ein Kenner jener Schlankllieder Der Pannenflicker, er zieht hinaus die andere vor der Hemmschwelle abstellen. Nicht so der schwergewichtige Maurer Willi, dessen wortgewaltige Obszönitäten eine seltsame Symbiose mit seiner Gutmütigkeit und volkstümlichen Noblesse eingehen. Er interpretiert seine Lieder, etwa Jå, jå, die Någlschmied Lena mit Bravour und bebender Stimme. Mimik und Gestik machen den Text entsetzlich greifbar anschaulich und glaubhaft. Jeder von uns kennt plötzlich irgendeine andere Nagelschmied Lena. Ich denke dabei an die Putzfrau im Grazer Babenbergerhof, die nach dem Vortrag ihres Liedes I bitt Herr Hauptmann bitt recht schön, stets auch ein Tänzchen wagte. Und gleich an der Theke steht der Schlatzer Rudl dessen Lieblingslied Auf da Hochstätter Ålm, waht a hantiger Wind seinen ganzen Körper leidenschaftlich erfasst. Seine Wangen verfärben sich rot, die Finger spielen verrückt, als ob sie eine imaginäre Orgel bedienen würden und seine Augen signalisieren den heranziehenden Herzinfarkt, der es bisher, Gott sei es gedankt, bei der bloßen Ankündigung belassen hat.
Ja, nach einem Leichenschmaus geht es mitunter lustig zu, denke ich als ich im Nebenraum die dunkel gekleidete Trauergesellschaft erblicke. Dort der Verblichene und da die Verbliebenen, deren köstliche Wirtshausunterhaltung es mit dem Frohlocken im fernen Himmel immer noch aufnehmen kann. So vermute ich es, die halbe Welt lebt aber von der Hoffnung, dass es da noch eine Steigerung gibt. Sie will schon jetzt frohlocken und begnügt sich – was das Jenseits betrifft -mit der verheißungsvollen Ankündigung des ewigen Lebens in „seinen Wohnungen“. Der Willi lehnt mit ausgestreckten Händen mit dem Rücken an der Theke, alsob er gerade auf dem Baugerüst stünde, der Rudl hat die Hände in den Hosentaschen wo er sie für jede einzelne Wortmeldung hervorholt und die 80 jährige Ella tänzelt auf und ab, alsob sie Gangaufsicht hätte. Übern Laurenziberg schmettert der Rudl in die Runde und schon hängt sich eine klare Überstimme dazu, stimmen andere mit ein und zuletzt swingt der angehängte Jodler Holla Hoi didl hola reitulie und steigert sich ins Finale als ob es ums Überleben ginge.
Sich dem Augenblick mit Haut und Haar verschreiben zu können, darinnen liegt das Geheimnis des Lebens wie auch des Singens. Die Runde verstummt und greift zu den Gläsern.
Guten Abend, meine Damen und Herren!
Ich habe Sie anlässlich dieses Festaktes in ein Wirtshaus verführt. Dies nicht deshalb, weil es heute um die Ehrenrettung des Gasthauses geht. Nein, dass dieses Milieu gute Voraussetzungen bietet, der Musik den notwendigen Teppich zu legen, davon sind wir ja alle überzeugt. Das war nicht immer so. Die eben vorgetragene Wirtshausszene führt zurück an einen Ort, den Musikerzieher Jahrzehnte zuvor gemieden haben. Diesem Bestreben nach Behübschung und nach Salonfähigkeit der Volksmusik jedes Recht abzuerkennen, wäre allerdings auch nicht rechtens. Kurz und gut: Ich sehe nach wie vor im Wirtshaus den Umschlagplatz für Text und Melodie, ein Biotop der Lieder, der losen Worte, den Umschlagplatz des Wortspiels und damit auch eine der produktivsten Zeitverschwendungen. Es ist der Versuch die Zeit anzuhalten, der Vergänglichkeit entgegen zu steuern. Es ist das pure Leben, es ist die Schule für Spontaneität und Emotion. Das Wort „Unterhaltung“ sagt mir in diesem Zusammenhang nicht zu, weil wir es auch für die Konfrontation zwischen der Bühne und den Lachern verwenden. Sie sehen, ich bin ein begeisterter Wortzerpflücker und würde in Anbetracht unseres Auftrages, die Menschen zu mehr musikalischer Eigeninitiative zu bewegen, auch das Wort „Fernsehen“ eliminieren. Ich würde es mit „Wegschauen“ übersetzen.
Das musikalische Vermögen ist erstaunlich
Was ist es also, das mich veranlasst, Ihnen eine solche Gasthausszene vorzutragen? Ist es nicht faszinierend, wie vermögend der Mensch selbst ist? Ausgestattet mit Musikalität – wir sind ja alle als Sängerinnen und Sänger auf die Welt gekommen – und dazu berufen, uns selbst in Szene zu setzen. Dazu das Vermögen im richtigen Augenblick das richtige Lied anzustimmen, sich auf einer Schaukel den Schwingungen hinzugeben und im rechten Moment zum Schwung anzusetzen – ohne Programm und ohne Auftrag. Wir reden heute so viel vom Unterhaltungswert. Ist dieser aber durch irgendein eingekauftes Programm zu überbieten, wenn die gerade dargestellten Personen tatsächlich mit der Wirklichkeit übereinstimmen? Ja, wenn des ersten Blechschaden, des zweiten schlecht gehende Firma, des dritten familiäre Probleme, des vierten Angst um den Arbeitsplatz unausgesprochen als gemeinsamer Weltschmerz von der Lustbarkeit des Augenblicks besiegt werden, dann ergibt das eine Wort das andere und dann ist es auch nicht weit zum Gesang. Lebensbewältigung pur, ohne Krankenschein und Psychiater. Das ist eine gesellschaftspolitische Wertschöpfung.
Was hindert uns daran, zur Tat zu greifen?
Jetzt können Sie mir vorwerfen ein Schwärmer zu sein. Das kommt aber nicht an, weil ich solche Szenen tatsächlich erlebe und stets darüber nachdenke, welche Voraussetzungen dazu gegeben sein müssen und warum Volksmusikpflege oft knapp daran vorbeischrammt. Aber sie können tatsächlich fragen, welche Maßnahmen getroffen werden sollten, um allen Menschen Sprache und Musik wieder zu geben, um sie jederzeit einsetzbar zu machen, um sie – die abgebröckelte Fassade – wieder mit dem Bauwerk Mensch zu verbinden. Das ist die wirkliche Frage und sie beschränkt sich nicht nur auf die Volksmusik. Was hindert uns also daran, zu Beginn dieses Jahrtausends Musik wieder für uns zurück zu erobern, wo sie doch gleichzeitig allgegenwärtig ist. Die Musikbranche boomt, während der Mensch mehr und mehr zu verstummen droht.
Die schlimme Gegenwart und die Ratlosen
Lassen Sie mich ein Bild von der Gegenwart zeichnen, die wir uns ja nicht selbst ausgesucht haben. Das mag ja auch mit ein Grund sein, warum wir uns schwer zurechtfinden. Wir sind Nutznießer aller neuen technischen Finessen, zugleich aber auch Kritiker dieser Zeit. Wir sehnen uns nach Sicherheiten und meinen, sie in der Rückschau zu finden, im längst Abgelegten. Es fällt uns zugleich schwer, uns aus dieser Zwangsjacke zu befreien und wir finden uns im Trachtenjopperl wieder. Der Journalist Dr. Günther Nenning (1921-2006) verteidigte einst die Vergangenheit, der wir so nachhängen, weil sie die einzige Zeit ist, die wirklich ist, während die Gegenwart in diesem Augenblick entschwunden und die Zukunft noch nicht angekommen ist. Das beruhigt einigermaßen und trotzdem tut es ganz gut, Anklage zu erheben. Ich mache also einen Versuch: Wenn sich ein Gericht dafür zuständig erklären würde, welche Klagen würde ich also gegen die Jetztzeit einbringen?
- Gegen die Geschwindigkeit:
An das Neue, das früher 400 Jahre gedauert hat, haben wir uns letztens noch in 40 Jahren gewöhnen müssen, derzeit sind es 4 Jahre, im Telekommunikations-Bereich 4 Monate. Um die umfassende Verwendung eines Handys wirklich lernen zu können, benötigen wir 4 Stunden. Zugleich werden wir unruhig, wenn wir 4 Minuten auf einen Bus warten müssen. Und wenn ich nun 4 Sekunden nichts sage,
S p r e c h p a u s e
meinen Sie, ich bin aus dem Konzept gekommen. Das verunsichert uns.
- Klage gegen die Dekoration
Noch nie haben wir uns so sehr mit Dekor umgeben, welches die wesentlichen Dinge nicht ins rechte Licht sondern in den Schatten stellt. Wir müssen über den Computer an den Hochzeitstag erinnert werden, meinen aber, dass die 4 goldenen Schwäne aus Terrakotta vom Baumarkt zu je € 11,92 übersiedelt in unseren Garten, unsere Lebensqualität merklich verbessern – und den vergessenen Hochzeitstag ausbügeln.
- Klage gegen das Layout als Maske
Noch nie war es so leicht Mangelhaftes, Wertloses, Unbrauchbares so professionell vorzustellen. In 7 Farbtönen und mit 13 verschiedenen Schriftarten, Sonderzeichen und Randverzierungen. Das verunsichert uns und es kostet uns Energie, hinter die Kulissen zu blicken und die Hülsen zu knacken.
- Klage Gegen die Entwurzelung
Die Entwurzelung und die Änderung der Gesellschaftsstruktur, des Zusammenlebens, der Dorfstruktur macht uns zu schaffen. Die Post, das Wirtshaus, die Polizei, die Apotheke und der Pfarrhof, das waren ursprünglich die Koordinaten für Gemeinschaft und Gemeinsinn. Wie können wir das Verlorene ersetzen? Was viele nicht wissen: Die Infrastruktur ist eigentlich Kulturauftrag, leider hat bislang das eine mit dem anderen Ressort keinen Kontakt aufgenommen.
- Klage gegen die Wandlung vom Brauch zum Verbrauch
Früher galt die Entstehung des Weihnachtsgebäcks mit der Aufregung und dem Duft im Hause und mit den kleinen gestohlenen Kostproben aus dem Teigvorrat als das eigentliche Erlebnis. Da gäbe es viele Beispiele, die wir nicht mehr zelebrieren und schon Ersatz im Markt gefunden haben. Das Ritual auf den Nagel gehängt…..Könnte sein, dass dies auch für unsere Lieder gilt? Die neueste CD für das Fest gefällig? Dabei ist die Musikkonserve im Vergleich mit dem Selbersingen wie ein Foto vom kalten Buffet. Ein trauriges Bild. Wir lassen uns also besingen.
- Wohin ist die Genügsamkeit entschwunden?
Die Musikversorgung selber in die Hand nehmen, die eigene Stimme erkunden, das Gemeinsame erleben, das ist höchste Qualität, die viele Menschen vermissen, weil für sie die Anlieferung von Fertigware zur Gewohnheit geworden ist. Fest steht, dass wir mehr das Lebensmittel Musik als das Genussmittel Musik bräuchten. Und weil diese Grundstufe der Musik-Versorgung in der Familie stattfindet, könnten wir auch sicher sein, dass diese Musik und Poesie den Klebstoff zwischen den Generationen bildet. Heißt das: Zurück zu den Anfängen, notgedrungen zum Laienhaften? Ist das ein lohnenswertes Ziel? Rufe ich da nur die Genügsamkeit auf den Plan?
Nein, wir brauchen nichts einzubüßen, vom Kostbaren und Einmaligen, von großartiger musikalischer Überlieferung. Aber immer wieder das Werden von Musik mit zu begleiten, die Entdeckung zu zelebrieren sollten wir uns als das Feinste herauspicken. Ja, Genügsamkeit ist eine Disziplin, die dazu angetan wäre, näher an Lebensqualität heran zu rücken. Und die Zeit still stehen lassen, weil sich gerade Töne miteinander zum Klang vermählen. Damit könnten wir in Wahrheit das Leben zum Klingen bringen.
Das Rad der Zeit lenken lernen
Ich hab mir nur 6 Punkte – der Zeitkritik – ausgesucht, nicht als Klage sondern als Teil unseres Arbeitsauftrages – sie können gerne ergänzen. Dass sich der Zeitgeist einschmeichelnd mit uns anlegt, macht ihn geradezu sympathisch. Er gibt uns das Gefühl ganz vorne mit dabei zu sein. Rückstand klingt für uns ja wie der Sollstand am Konto. Bitte keine Kampfansage gegen unsere Zeit und ihre Erscheinungen, wir sollten sie aber in- und auswendig kennen und nicht verdrängen. Dabei geht es auch um die Entscheidung, ob wir uns mit unserem Lieblingskind Volksmusik in das Randgruppendasein begeben wollen, oder ob wir jetzt und hier unser musikalisches Vermögen und unsere Traditionen ins Spiel bringen.
Und ich sage Ihnen: Je schneller die Lebensweise, je mehr Dekoration uns zugemutet wird, je mehr Hülsen wir zu knacken haben, desto größer wird die Sehnsucht nach Sicherheit, nach Begegnung und Griffigkeit. Bewegung und Gegenbewegung – das ist ein altes Prinzip und wenn wir den Zeitenlauf über unsere Lebensdauer erahnen, dann sind Veränderungen keine Katastrophe. Im Gegenteil: In allen vermeintlichen Fehlentwicklungen stecken Chancen, vor allem jene, zu den wichtigen Dingen zurück zu kehren. Beispiele:
Bücher haben sich durch die Einführung des Internet erstaunlich gut behauptet. Der handschriftliche Brief wird trotz E-Mail noch ein Comeback feiern. Das persönliche Gespräch ist derzeit gegenüber dem Telefonat eine Rarität und wird nach seiner Wiederentdeckung umso mehr zelebriert werden.
Die Gefahr durch unsere Spezis
Ja, es geht um größere Zusammenhänge und nicht in erster Linie um Volksmusik. Welch` Zufall: Auch in der vorgetragenen Wirtshausszene ging es nicht um das Singen sondern in erster Linie um das Verweilen in einer angenehmen Befindlichkeit. Musik als die schönste Nebensache. Sehen wir die Menschen als ein besonderes und jeweils anders ausgestattetes Wesen und fördern wir deshalb auch die Freiheit in der Ausübung, ungezählte Varianten und Interpretationen. Die Liebe zur Volksmusik liegt zwar in ihrer klaren Struktur, in ihrer Verschmelzung von Text und Melodie, vor allem aber im jeweiligen Kontext in dem sie für jeden einzelnen steht. Zu solchen Werten kehren die kreativsten Köpfe zurück. Bewahren wir uns bitte diesen Überblick und dieses große Herz als Garant für die Lebendigkeit einer Musikgattung, die es nicht verdient hat, durch gerade lebende Exemplare unserer Spezis eingeengt zu werden. Sie werden sich wundern: Damit meine ich ebenso, dass wir auch der Beharrlichkeit ihr Recht geben sollen. Das Festhalten an Traditionen und der innere Auftrag nichts zu verändern – sei es nun die Tracht, die Mundart oder die Musik – ist bei aller von mir besprochenen Offenheit ein wichtiges Transportmittel. Eine Dosis Engstirnigkeit gehört zum Menü der Kulturarbeit. Ohne diese vehemente Liebhaberei wäre auch Vieles verloren gegangen.
Die Lust an der Gratwanderung
Ich gebe zu: Das ist eine Gratwanderung. Wir sollten diese Gratwanderung genießen, sie ist das eigentliche Vergnügen unserer Berufung. Es geht letztens stets um einen Mehrwert an Lebensqualität, nicht um Volksmusikpflege sondern um Menschenpflege. Wenn Sie mich nun fragen, welche Maßnahmen ich als wichtig erachte, so beginne ich, ohne der Reihung eine Gewichtung zu geben und ohne auf bayerische Befindlichkeiten zu achten mit:
Journalistenkollege
Vieles von unseren Inhalten gehört neu formuliert. Es geht nicht mehr um die wertvolle Volksmusik sondern um den gesellschaftlichen Wert des Singens und Musizieren. Meine Forderung: Ausbildung geeigneter Kräfte in einem Journalistencollege.
Der andere Chorleiter
Chorleiter hätten das Zeug, weit über das Arbeitsprogramm im Ensemble das Singen in den Familien zu fördern. Wie wir wissen, geht’s hier um ein anderes Repertoire und um Teilbereiche wie das Singen von Wiegenliedern, Kinderlieder, Seniorenlieder. Das müsste in Angriff genommen werden – auch im Sinne der Chorgemeinschaften, die zugleich ihren Nachwuchs pflegen könnten.
Ich mache mir mein Liederbuch
Da und dort wurde damit schon begonnen, es könnte aber auch ganz groß aufgezogen werden. Die geeignete Software genügt und wir animieren dazu – wie etwa beim Rezepte sammeln – sich ein eigenes Liederbuch für die Familie zuzulegen. Dass dies nur übergreifend, nämlich Volkslieder, Schlager etc. funktionieren kann ist wohl klar. Dieses Sammeln und für sich selbst bereitzulegen von Liedern, würde deren Wertschätzung enorm steigern.
Musik braucht eine Pause
Niemand würde vermuten, dass hinter der nun schon 5 Jahre alten Forderung nach Pause und Stille eine Musikinstitution gestanden ist. Es ist aber höchst an der Zeit, zur Ehrenrettung der Musik anzutreten. Inzwischen gibt es in Österreich und Deutschland – zuletzt hat sich die Kulturhauptstadt Linz mit eingebunden – mehrere Institutionen und Projekte die sich mit der Forderung nach Stille, zumindest aber mit dem selektiven Musikhören befassen.
Seniorenbetreuung
Wir werden älter, gehen früher in Pension und Musizieren und Singen gewinnen eine neue Bedeutung für diese Altersgruppe. Ich würde einfach dranbleiben und Fachkräfte ausbilden.
Volksmusiklehrer NEU
Wir können eine bisher erfolgreich funktionierende Ausbildungsschiene nicht mehr wegdenken, wir können sie aber mehr an das Leben heranführen. Technische Fertigkeiten und Virtuosität sind schön, liegen aber brach, wenn sie nicht mit Emotion angereichert werden. Dazu bedarf es auch der Reife. Nun bin ich ja der Meinung dass man sich etwas nicht schneller aneignen kann, als es einem zusteht. Der Wunsch aber zu mehr Poesie in der Melodie, zu mehr Praxisnähe wäre sicher angebracht. Ein einfaches Mittel um der Verschulung vorzubeugen, wäre die Feldforschung. Sie ist eine Quelle der Demut und verändert die Wahrnehmung von Musik.
New Games
Wir sollten neue Spiele in den Umlauf bringen. Datenträger mit Standardliedertexten könnten Grundlage für Singpartys sein, die vom jeweiligen Volksliedarchiv bei Bedarf angereichert werden – selbstverständlich über das Volksliedrepertoire hinaus. Schneeballartig breiten sich solche Singinitiativen aus, weil ein Bedarf an Geselligkeit und Singgelegenheit besteht und weil jede Hausfrau einmal zeigen möchte, wie ihr Topfenkuchen schmeckt.
Gastronomieausbildung NEU
Fordern wir die Ausbildung zum Kulturgastronom. Die zukünftige Wirtsgeneration soll nicht nur die Temperatur des Biers im Griff haben, sondern selbst als Veranstalter auftreten, Kunstausstellungen, Kurse, Singabende, Tanz- und Theateraufführungen anregen können.
Interkulturelle Musikbegegnung
Wir sind für das Singen, musizieren und tanzen zuständig und haben es bei vielen Lehrerfortbildungen schon lange Zeit mit Fragen der Integration zu tun. Wenn wir uns nicht Referenten heranbilden, die sich speziell der Musik anderer Ethnien widmen, haben wir später einmal Erklärungsbedarf. Musik war früher und ist auch heute noch ein wichtiger und friedlicher Botschafter. Musiker sind zudem von Natur aus neugierig. Machen wir es doch über die Musik, wenn es über Behörden nicht geht.
Der Jodler – die Chance
Die Erkenntnis ist schon über 20 Jahre alt und seither hat es sich vielfach bewahrheitet: Der Zugang zur Volksmusik ist über das Jodeln um vieles leichter. Es ist Gehörschulung und Stimmbildung zugleich, fördert das Spiel mit den Tönen und weckt schlummernde Emotionen.
Werten Sie bitte meine Prognosen und meine Vorschläge nicht als wissenschaftliche Analyse, sondern als Statement eines Praktikers, der auf Grund seines Werdeganges Frust am Stillstand und Lust an Problemlösungen empfindet.
Und lassen Sie mich zum Schluss kommen:
Ich habe mit einer Wirtshausszene begonnen, um dem Kern der Sache nach zu gehen, habe Ihnen aber auch einige Aspekte zu unser aller Aufgabe näher gebracht. Festvortrag hin und Festvortrag her: Es folgt die Gasthausszene Numero Zwei. Eine, mit steirisch-bayerischem Hintergrund:
Euer und unser Wastl Fanderl – so darf ich sagen, nachdem er vor allem wegen der Mariazeller Musikantenwallfahrt und Freundschaft zu Hans Martschin – uns allen zugetan war, hat seinerzeit meine Einladung angenommen, seinen 75. Geburtstag (auch) in der Steiermark zu feiern. Die Liesl und der Wastl haben zugesagt und ich habe eine illustre Runde ins Gasthof Preiss in Neuhof – das ist der letzte Einkehrgasthof vor der Gleinalm – eingeladen. Allen voran die vielen von Euch bekannte Dr. Gundl Holaubek, meine damalige Vorsitzende, eine Wächterin der Tracht und des echten Volksliedes. Dazu aber auch viele Sänger und Musikanten, vor allem aber die Zwanzger-Musik – eine in ununterbrochener Tradition stehende weststeirische Streich- und Blasbesetzung. Sie verkörperten damals die originale weststeirische Musik und wir befanden uns in Neuhof eigentlich im nördlichsten Teil der Weststeiermark.
Nun muss man wissen, dass die Zwanzger zwar die Geigenmusik von den Vorfahren übernommen haben, aber mit dem Begriff Volksmusik nicht viel anfangen konnten. Sie waren Musiker, die bei der Blasmusik eine Rolle spielten, ebenso am Wochenende die Tanzmusik bei Hochzeiten und Bällen stellten und am Sonntag am Kirchenchor ihren Dienst versahen. Musiker mit einer handwerklich – künstlerische Einstellung.
Und selbstverständlich hielten sie so wie ihre Vorfahren nach Neuem Ausschau, denn die vielen schönen Salonstücke, wie „Abenteuer in Wien“, „Studentenlaune“ etc. haben ja, so wissen wir heute, durch die Militärmusik Einzug in das ländliche Repertoire gehalten. Und später wanderten Melodien anders zu uns. Wer die Weststeiermark kennt, weiß ja, dass die Grenze zu Slowenien nur ein paar Autostunden entfernt zu erreichen ist. Und obwohl den Menschen in der Nachkriegszeit eine unkomplizierte Aus- und Einreise verwehrt war, ist die Musik aus Oberkrain ganz ungehindert über die Grenze gekommen. Warum ignoriert Musik den Stacheldraht? – so könnte man fragen…
Zurück zum Geburtstag von Wastl Fanderl: Jedenfalls haben wir gut gegessen und die Wirtsleute haben sich schon auf einen musikalischen Abend gefreut, zudem sie selber einiges, auch Musikalisches beitragen konnten. Die Seniorwirtin hat noch den Liedersammler Viktor Zack als Schulmeister erlebt und fand im Wastl einen aufmerksamen Zuhörer. Bald aber haben sich die Zwanzger Musikanten aufgestellt, um dem Jubilar ein Ehrenstück vorzutragen. Ich selbst habe nicht gewusst, was sie vorhaben und es lag mir fern, in die Programmgestaltung einzugreifen. Wastl ist also ganz Ohr und die Musiker singen:
Zum Geburtstag alles Gute, Glück und langes Leben…
Slavko Avsenik 1929 in Begunje in Slowenien geboren, hat wahrscheinlich nicht geahnt, welch durchschlagenden Erfolg sein Werk haben wird. Weihnachtslieder braucht man ja nur einmal im Jahr, aber Geburtstagslieder haben immer Saison. Er ahnte auch nicht, wie sehr sein Lied zu einem Rituallied werden würde, wie etwa „Ein Prosit der Gemütlichkeit“. Wastl ertrug die in echten Volksmusikkreisen damals so verpönte Volkstümlichkeit mit einem Lächeln, während die Hautevolee der Volksmusikpflege mich als verantwortlichen Zeremonienmeister mit Blicken zu vernichten drohte. Der letzte Ton war verklungen – ich habe aufgeatmet. Doch kaum war das Ständchen vorüber, wendeten sich die Musiker der Liesl zu, denn offensichtlich hatten sie auch ein Lied im Repertoire, welches für die Partnerin des Jubilars gerade recht sein sollte. Kaum hatte sich das Publikum vom slowenischen Schock erholt und sich mit der Verarbeitung des vermeintlichen Ausrutschers in Sicherheit gewiegt, intonierten die Musiker für die Liesl einfühlsam und herzergreifend:
Sag Dankeschön mit roten Rosen…
„Sag Dankeschön mit roten Rosen“ war der einzige durchschlagende Erfolg des Andreas Hauff, mit bürgerlichem Namen Paul Zach. 1944 in Pressburg geboren, wuchs er in Linz auf und besuchte das Bruckner Konservatorium. Er komponierte fleißig und es gelang ihm mit besagtem Lied der Durchbruch. Hauff lebt heute in München. „Sag Dankeschön“ hat er 3,5 Millionen Mal verkauft. Ich kann die Statistik ergänzen: Nur ein Mal wurde es für Liesl Fanderl gespielt. Wastl meinte in die entstandene Stille hinein: „Das kann mir in Bayern nicht passieren…..“. Was immer man aus dieser Wortmeldung heraushören möchte, es wird stimmen. Und er meinte später verschmitzt: „Die Lieder kamen aus ganzem Herzen“. Das war ihm also wichtig und ich plädiere seither dafür, den fließenden Übergang zur Volkstümlichkeit zu beachten, den augenblicklichen Wert zu messen.
Wie las ich es im Wirtschaftsteil eine Tageszeitung – und ich war bass erstaunt: Die Headline lautete: Zurück zu alten Werten… Für das Bankenwesen bedeutet dies: Jeder Schuldenstand sollte im Gegenwert abgesichert sein. Für uns bedeutet dies: Die leichte Aneignung, die Brauchbarkeit in den Vordergrund stellen, den Menschen in den Vordergrund stellen, der sich das Notwendige stets zuerst zu Eigen macht. Notwendigkeit – das ist ein wichtiges Wort. Es ist nämlich ein Glück, wenn man die Not abwenden und auf die Substanz zurückgreifen kann. Die Welt der Notwendigkeiten macht das Kraut schon fett genug – so würde ich sagen.
Lieber Erich Sepp! Liebe Freunde „von und in Bayern“! (Ich hoffe, damit herzöglich korrekt formuliert zu haben.) Am Schluss überbringe ich Grüße aus der Steiermark. Ich weiß es aus vielen Begegnungen, dass viele von Euch mit verklärtem Blick, die Steiermark als Paradies betrachten. Anders herum: Ihr blickt sehnsüchtig nach dem Land zwischen Dachstein und südlichen Weingärten. Ihr verehrt das Steirische in der Annahme, dass bei uns die Volksmusikwelt noch in Ordnung ist, Ihr seht in uns die Exoten, vielleicht sogar die Steiermark als Sonderfall. Ihr könnt beruhigt sein: Uns geht`s mit Euch nicht anders…
Festvortrag anlässlich der Verabschiedung des Leiters der Abteilung Volksmusik des Bayerischen Landesvereins für Heimatpflege Dr. Erich Sepp in Herrsching am Ammersee, 11/2008; Veröffentlicht in: Volksmusik in Bayern, 25. Jahrgang Heft 2 München, 2010; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.