Musik beherrscht unser aller Denken, so dass wir, geblendet vom Mythos der Kunst der Künste, dem Fundament, nämlich der Umwandlung von der Befindlichkeit ins Klangereignis kein Augenmerk schenken. Die Kunstmusik lebt auch vom Flair der prachtvollen Häuser und dem Präsentieren der ausgewählten Garderoben. Und die Volksmusik?
Auf dem Weg zum Erklingen gibt es so etwas wie das Verweilen im Foyer. Und weil wir das Singen in den Mittelpunkt gerückt haben: Singen erfolgt, nachdem wir uns alles gesagt haben. Es ist eine Erhöhung des kommunikativen Tuns und immer eine Folge von etwas. Ich gebe den guten Rat, zunehmend für diesen Teil der Ouvertüre zum Singerlebnis Persönlichkeitsbildung anzustreben, den Mitarbeitern zu lernen mit allen Sinnen die Startbahn anzulegen auf der Musik abheben kann.
Das Verstandesmäßige als Trugschluss
Es wird in der Menschheitsgeschichte immer wieder zum Irrglauben kommen, dass man sich etwas schneller aneignen kann als es einem zusteht, dass man Prozesse der Entwicklung umgehen könne. Diese Ungeduld ist Schuld daran, dass wir uns selbst aus der Bodenhaftung lösen, um uns absichtlich, in der Hoffnung auf Beschleunigung, dem Verstandesmäßigen zuzuwenden bzw. das Verstandesmäßige keiner weiteren und über lange Zeit andauernden Überprüfung unterziehen. Die Verschriftlichung und Verbildung unseres Lebens endet damit in einem spürbaren Abstand zur Realität. Mit intellektuellem Gehabe wird versucht, diese Kluft zu überwinden. Instinkt und Imagination führen dagegen ein verkümmertes Dasein, denn: Der Bildungsweg ist nach wie vor das allgemein gültige Rezept und es werden immer modernere und effizientere Methoden erfunden, um möglichst rasch jenen Bildungsstand zu erreichen, der uns eine Position in der Gesellschaft beschert und die Unebenheiten auf dem Wege zur erlebten und zeitraubenden Erkenntnis ausgleicht.
Es ist das Auseinanderklaffen dieses Bildungsniveaus zur brauchbaren Lebensreife, die zu kritisieren ist. Dies trifft wohl auch auf andere Lebensbereiche zu. Im Musikbereich geht es um die hörbare Variante dieses Zustandes. Die Menschen haben für die in Ungeduld entstandene Abkoppelung des Geistes ausdrucksvolle Worte erfunden: Sie reden von Halbgebildeten, Obergescheiten oder von Kopflastigkeit.
Nicht vergessen: Die Lehre daraus ziehen
Was die Fachsprache mit Fächer übergreifend, bzw. mit interdisziplinär beschreibt, ist das Bemühen die Bildungseinbahn nicht zuzulassen und sich mit anderen Perspektiven den Über – Blick zu verschaffen. Unser Bildungssystem hat es übrigens notwendig, solche Programme des Zusammenwirkens von Erfahrungen und Erkenntnissen zu formulieren. Hingegen war in früheren Epochen der Menschheitsgeschichte und bis heute in Bereichen der selbsterwählten Einsiedelei die Vernetzung aller neuen Erkenntnisse mit jenen bereits gewonnenen, die enge Bindung zwischen Lebensweise und Lebensumfeld, zwischen Neigungen und Notwendigkeiten eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Überleben schlechthin. “Die Lehre daraus ziehen” war das einzige Bildungskonzept und im Gegensatz zu heutigen gesetzlichen Verordnungen ein ungeschriebenes Gesetz.
Es gibt also auch eine Bildung, die nicht auf dem vorgefertigten Bildungsangebot fußt, sondern dem Zusammenleben entspringt, Situationen durch die man hindurch muss, Erfahrungen die man gemacht haben muss und Dinge für die man Lehrgeld bezahlt haben muss. Wesentlich dabei ist nicht sosehr das angehäufte Wissen, sondern die dabei gemachten Fehltritte, die ständigen Korrekturen für die wir nach und nach einen Tastsinn entwickeln. Es seien hier genannt: Jene Herzensbildung, die der Abhängigkeit voneinander und der Begegnung entspringt und jene Bildung, die die Summe der Lebenserfahrung darstellt. Aber auch alles Sinnliche, die Klugheit, handwerkliche Fertigkeiten und künstlerische Ausdruckskraft können uns auch das Leben lehren, wenn wir uns einlassen, es zulassen dürfen, wollen oder in besonderen Situationen einfach müssen.
Die höhere Ebene für die Volksmusik-Lehre
Ich erinnere mich an Gewährsleute die auf die Frage nach dem Grund ihrer Singerei meinten: „I woas nimma wia des zuagångan is, då bin ich einigschupft wordn“. Das Leben lehrt uns also vieles, wenn wir auch eine Zeitspanne als Lehrzeit einplanen dürfen. Um auf unser Tagungsthema einzugehen: Es steckt keineswegs nur ein Wortspiel sondern Erkenntnis dahinter, wenn der Veranstalter die Lehre mit der Leere in Verbindung bringt. Wir befinden uns mit diesem Hinterfragen der Entwicklung der Volksmusik allerdings in einem Nachziehverfahren, denn die Lehre hat im Bereich der Volksmusik – Vermittlung längst Einzug gehalten. Gemeint ist natürlich nicht jene Lehre, in die ein junger Musikant geht, der längere Zeit mit einem alten Musikanten zusammen spielt. Nein – es geht um die Vermittlung über Lehranstalten, die – auch zur Freude der Volksmusikfreunde – eine höhere Ebene für die Volksmusik-Lehrjahre eingerichtet haben. Und da gibt es viele Stimmen dafür und dagegen, logische und extreme Standpunkte, existentielle Gründe und eitle Hintergründe.
Ich habe meine Bedenken zur Verschulung der Volksmusik schon vor Jahren formuliert, habe seinerzeit einen Kommentar über einen solchen Volksmusik – Studienplan – so aus dem Bauch heraus – abgegeben. Heute erfahren wir, dass die damals geäußerten Bedenken gerechtfertigt waren. Gleichwohl: Den Modellen der traditionellen Überlieferung hat man ein Ausbildungsschema dazugestellt, das sich an jenes der Kunsthochschulen anlehnt und natürlich unterordnen muss. Man ist zwar bemüht, den Lebensgesetzen der Volksmusik wird dabei aber kaum Rechnung getragen.
Die Salonfähigkeit und Vereinheitlichung
Die Frage ist daher durchaus berechtigt: Was hat uns dieser Weg gebracht? Den Zugang zur Volksmusik über den Bildungsweg und damit auch den besseren Zugang zu den Medien, denn wir spielen jetzt professionell Volks. Die Salonfähigkeit der Volksmusik ebenso wie die Vereinheitlichung, die Reduzierung auf Musik, auf ein Genussmittel, dessen Üppigkeit und ständige Präsenz uns noch einmal nach einem eigenen Gattungsbegriff rufen lassen wird. (Etwa nach „Freizeitmusik“) Dieses ganze Volksmusik – Bildungssystem ist – auch wenn dieses Ziel nicht angestrebt wurde und wird – unweigerlich, nämlich von seiner schulinternen Konzeption her, darauf ausgerichtet zu spezialisieren und zu verfeinern, in die Öffentlichkeit zu treten, dem Konzertbetrieb Nachschub zu liefern, über Qualität und Quantität ein „Mehr“ an Volksmusik zu erreichen. Dies ist auch gelungen.
Wo bleibt da die andere Qualität von Volksmusik, die unserem Leben und dem Erleben dient, die uns nicht vordergründig sondern selbstverständlich, quasi als Lebensmittel unsere Spanne des Daseins bereichert? Die uns eine abendfüllende Möglichkeit bietet gleichsam im eigenen Tongemälde die Hauptrolle zu spielen, das Miteinander und die Zuneigung selbst zur Virtuosität zu steigern? Die uns ohne Etikette und ohne Volksmusiker sein zu müssen den spielerischen Zugang zu jeder Art Musik erleichtert. Es ist nicht purer Pessimismus der mich hier verleitet, gegen die Verschulung der Volksmusik aufzutreten. Die Leere, die mancherorts entstanden ist, soll uns eine Lehre sein…
Der Schutz des Laienhaften
Dieser Rundumschlag verlangt nun aber auch nähere Betrachtung, denn die pauschale Infragestellung von Bildungseinrichtungen, die ihrerseits natürlich als endlich erreichter höherer Standard gelten, kann leicht als Selbstschutz des Laienhaften entlarvt werden. Warum aber soll – so frage ich mich – das Laienhafte nicht auch schutzbedürftig sein? Ist das nicht die Aufgabe der Pfleger? Ist nicht gerade im Bereich der brauchtümlichen und auch handwerklich betriebenen Musikausübung der Laie der eigentliche und gefragte Spezialist? Was hat der Pfleger eigentlich zu tun, wenn es schon fünf Profi – Volksmusik – Ensembles im Ort gibt? Gibt’s da nicht doch auch Herrn und Frau Normalverbraucher mit musischen Bedürfnissen die klingen wollen?
Notwendig ist in diesem Zusammenhang die Betrachtung der historischen Entwicklung der Musikausbildung, das Hinterfragen ob die Volksmusik – Lehrplan – Inhalte mit den Lebensgesetzen der Volksmusik einigermaßen übereinstimmen, ob die Volksmusikpflege – als deren Vertreter wir hier angetreten sind – von der Bildungsschiene bereits abgelöst wurde ? Vielleicht ist es aber ganz anders: Vielleicht ruft der solchermaßen beschrittene neue Bildungsweg noch mehr als bisher die Volksmusikpflege auf den Plan, um den einstudierten musikalischen Fertigkeiten eine Verknüpfung mit den Lebensnotwendigkeiten anzubieten.
Die Verknüpfung mit den Lebensnotwendigkeiten
Es lohnt sich auch, – ohne unsere Volksmusik immer im Blickwinkel zu haben – die Entwicklungsgeschichte des Bildungswesens zu studieren und sich mit der Geschichte der Kritik an diesem Schulsystem zu befassen. Es gibt erstaunliche Parallelen zu unserem Problem und immer wieder wird in Frage gestellt, ob vorgegebene schulische Normen immer geeignet sind, um einem besseren Leben und Zusammenleben zu dienen. Es fällt auf, dass vor allem nach 1968 mehrere Reformer mit Publikationen in Erscheinung treten. [1] Ich zitiere einige Kernsätze: „Bildung ist nicht Schulbildung“, „In keinem heiligen Buch steht, dass Erziehung in einem Raum mit Stühlen stattfinden muss“. Und ein anderes Zitat: „Kurzum – wir können die Schule abschaffen oder wir können die Kultur entschulen“. Die Buchtitel alleine sind auch aussagekräftig: „Das Ende der Erziehung“ „Bildung ohne Schule“ „Entschulung der Gesellschaft“; und neueren Datums: „Schaffen wir die Hauptfächer ab“. Den Pädagogen werden diese Ansätze nicht unbekannt sein. Sie sind allerdings auch nicht der Weisheit letzter Schluss!
Was Not tut, ist nicht sosehr das Überbordwerfen des Bildungssystems mit allen seinen humanistischen Vorsätzen, sondern das Einsetzen von Augenmaß und das Abschiednehmen von der Vorstellung des flächendeckenden Verbesserns dieser Welt mittels Bildungskonzepten. Gefordert ist ein Augenmaß zwischen Lernprozessen die in Semestern messbar sind und jenem Lernprozess, der in Jahren – wenn sie wollen in „Sylvestern“ – die Fülle an Lebenserfahrung darstellt.
In Anbetracht der bereits ausführlich behandelten historischen Hintergründe des Volksmusik – Ausbildungswesens möchte ich eher die Lebensgesetze der Volksmusik ins Spiel bringen und zugleich versuchen, die Diskrepanz aufzuzeigen, warum die Zielrichtung von Kunsthochschulen mit der Förderung der Volksmusik nicht harmonieren kann.
Volkskunst und Hochkunst
Ich gehe ins Detail: Volksmusik hat von ihrer Struktur her eigene Gesetzmäßigkeiten in Abgrenzung zur Musik der Hochkunst. [2] Volksmusik und die Musik der Hochkunst schließen einander nicht aus, sondern benötigen die gegenseitige Existenz. Beurteilungs- und Wertmaßstäbe, die an die einzelnen Musikgattungen anzulegen sind, differieren und sind bei seriöser Betrachtung und Behandlung entsprechend zu berücksichtigen. Hauptunterscheidungsmerkmal zur Hochkunst liegt auch in der Überlieferung der Musikgattung Volksmusik. Die vorwiegende Mündlichkeit bewirkt großen Variantenreichtum der einzelnen Subgattungen, es kommt zu mehr oder weniger ausgeprägten Regionalstilen. Dass die mündliche Tradierung zunehmend von der Schriftlichkeit abgelöst wird, tut dem keinen Abbruch, weil die brauchtümliche Verwendung Adaptierungen fördert. Besonders die Tatsache, dass Volksmusik im Kontext von Brauch bzw. Funktion zu sehen ist, unterscheidet diese von der Musik der Hochkunst. Klischeehafte Behandlung von Volksmusik, wie etwa die Behauptung, sie müsse falsch, fehlerhaft oder mangelhaft interpretiert sein, aber ebenso Erscheinungen von vordergründiger Virtuosität entsprechen nicht den Lebensgesetzen von Volksmusik, sind ihr vielmehr abträglich.
Aufgrund der anders gelagerten Voraussetzung von Volksmusik und insbesondere deren Vermittlung, ist ihre Einbeziehung in das klassische Schulmusikprogramm mehr als problematisch. Freiheit und Vielfalt wird bereits durch Uniformierung des Unterrichtsplanes stark eingeschränkt. Durch den im Unterrichtsplan vorgeschlagenen oder festgelegten Weg besteht die Berechtigung von der Gefahr zu sprechen, dass es zu einer Nivellierung in der Volksmusiklandschaft kommt, in deren Folge traditionelle volksmusikalische Elemente und Formen verdeckt oder neue Entwicklungen behindert werden. Umgekehrt trägt auch im Vergleich mit pädagogischen Studien anderer Instrumente ein „Studiengang für Volksmusiklehrer“ nicht gerade zur Hebung des musikalischen Niveaus bzw. des Gleichheitsprinzips bei: Die mitzubringenden Voraussetzungen zum Studium eines Streichinstrumentes sind ungleich höher als jene für Knopfharmonika oder Hackbrett. Bei diesen fehlt selbstverständlich das breite Literaturspektrum, das etwa beim Violin- oder Klavierstudium zu beherrschen ist.
Es geht um die Lebensgesetze von Volksmusik
Meines Erachtens werden Idee und Konzeption einer höheren Lehranstalt, wie sie die Konservatorien und Kunsthochschulen darstellen, somit untergraben. Die Konsequenz aus diesen Gedanken und ein Kompromiss mit dem Wunsche nach mehr Kenntnis von Volksmusik unter den Musiklehrern kann bestenfalls die Schaffung eines Schwerpunktstudiums sein, in dessen Rahmen Volksmusikinstrumente mit studiert werden. – aber vor allem Verständnis und Kenntnis von Volksmusik gesteigert werden. Dies geschieht sicher nicht durch die Erstellung von Lehrwerken für Volksmusikinstrumente, sondern durch intensives Studium der Strukturen und Lebensgesetze von Volksmusik. Meines Erachtens erübrigen sich aber eigene Lehrgänge, wenn die Kenntnis von Volksmusik in ausreichendem Umfang und mit besonderem Respekt vermittelt wird.
Da es sicherlich zwischen den österreichischen und deutschen Lehranstalten Unterschiede gibt, ist es nicht sinnvoll alle Teilbereiche der Studienpläne auszubreiten. Einige Anmerkungen sind mir aber erlaubt:
1) Ein Studiengang für Volksmusiklehrer darf nicht nur auf bestimmte, derzeit beliebte Instrumente abzielen. Es müssen auch Instrumente wie Violine, Klarinette, Trompete etc. als Hauptfach belegt werden können, wobei die Gattung Volksmusik als eigene stilistische Richtung gesehen werden muss, wie z.B. Streichmusik aus Barock und Romantik.
2) Meist wird eine Aufsplitterung auf viele Instrumente angestrebt. Dies erscheint zwar im Sinne der Vielfalt der Volksmusik sinnvoll. Die Grundkonzeption der Hochschule sieht jedoch eine profunde Kenntnis zumindest eines Instrumentes vor, das im Hinblick auf Historie sowie Anwendung in allen Stilrichtungen unterrichtet wird. Das müsste nach sich ziehen: Die Ausbildung auf der diatonischen Harmonika müsste auch das Erlernen der Spieltechniken des Akkordeons, der Concertina, der chromatischen Knopfharmonika u.s.w. beinhalten.
3) Der Begriff „Volksliedchor“- im Studienplan und Studienziel – bekommt oftmals einen unbegründeten Stellenwert. Chöre können Volkslieder zwar interpretieren oder imitieren. Das Volkslied ist aber grundsätzlich kein Chorlied. Es unterscheidet sich nicht nur im Repertoire, sondern auch in der Singtechnik und vor allem durch den Gebrauch. Ein Beispiel: Niemand würde im Streichquartett gespielte und klassisch interpretierte „Steirische Tänze“ im Fach „Volksmusik“ akzeptieren. Deshalb sind, was das Volkslied betrifft Unterrichtsblöcke wie etwa „Das Volkslied, der Jodler in Kleinstgruppen“, der Einbau von Gewährsleuten in den Unterricht, Transkription von Feldaufnahmen, Übung mündlicher Liedvermittlung gefordert.
4) Es fehlt meist das Wort „Feldforschung“ in den Unterrichtsplänen und damit das Vermitteln von Respekt vor dem Vorhandenen und der Kenntnis des Vorhandenen. Dasselbe gilt für die Akzeptanz anderer Stilrichtungen und Entwicklungen. Eine im Unterrichtsplan vorgeschlagene Abgrenzung der „echten Volksmusik“ von der „unechten Volksmusik“ kann nicht Aufgabe eines solchen Lehrganges sein. Es muss vielmehr die Absicht sein, die Musikgattung Volksmusik aus einer Überschau erkennbar zu machen. Themen wie „Der volkstümliche Schlager“ oder Folkmusik“ gehören im Unterrichtsplan behandelt und nicht aussortiert.
5) Um den Einstieg in den Gebrauch von Musik zu ermöglichen fehlen Hinweise auf „Musik im Brauch“, praktische Übungen (Neujahrlied, Hochzeitslied, Gstanzl etc.) Weitgehend wird dem instrumentalen Können Vorrang gegeben. Zum geselligen Anwenden muss der Gesang zur Harmonika, zur Geige, zur Zither etc. unterrichtet werden.
6) Musik zum Tanz und nicht nur zum Anhören ! Die mir bekannten Konzeptionen sehen zwar eine starke Verbindung zwischen Volksmusik und Volkstanz vor, dies geht bis zur parallel möglichen Ausbildung zum Tanzleiter. Die gegenwärtige Volkstanzpflege kann natürlich ein Thema sein. Trachtenpflege und Volkstanzpflege in Zusammenhang mit volksmusikalischen Fertigkeiten zu sehen, basiert aber auf veralteten wissenschaftlichen Grundlagen, dienen der Pflege historischer Formen in künstlicher Beharrung. Es müsste uns gehen um: Kenntnis des funktionalen Ablaufs vergangener und gegenwärtiger Tanzsitten sowie um das wichtige Thema „Tanz als Kommunikationsmittel“ Der Zusammenhang zwischen Musikerzeugung und Körperbewegung muss hergestellt werden. Veranstaltungskultur könnte ebenso ein Thema sein. Künftig „gelehrte“ Volksmusikanten müssen befähigt sein, den Bedarf an Geselligkeit abzudecken, Musik im Leben einzubauen, dies hieße auch, die jeweilige Musik ihrer Zeit spielen zu können. Eine Spezialisierung auf Grundtänze, auf historische Aufzeichnung ist nicht sinnvoll.
Wem verdanken wir das musikalische Erbe?
Das Ansinnen, einen bis vor wenigen Jahrzehnten ausschließlich von Laien spielerisch betriebenen Vermittlungsprozess in die Bildungsschiene einzubauen ist vermessen. Die Einmaligkeit des heute erlebbaren musikalischen Erbes dokumentiert durch unzählige Sonderformen und Regionalstile verdanken wir dem instinktmäßigen Umgang der Menschen mit ihrer Musikalität, der personellen Eigenheiten, den Zufällen, der regionalen Gepflogenheit, einem außerhalb des musikalischen Bildungsweges entstandenen hochentwickelten Dilettantismus.
Nun mögen die Konzepte der Ausbildungsschienen durchaus verschieden sein. Ein Teil der Wesenszüge der Volksmusik bleibt auf der Strecke, wenn auf der anderen Seite Virtuosität und Interpretation zum alleinigen Inhalt werden. Die Selbstzufriedenheit der Volksmusikpflege in Anbetracht der Einschaltziffern, der tausendfachen Tonproduktionen, der Konzertangebote ist angesichts der Reduzierung der einst so großartigen lebensnahen Volksmusik auf Musik alleine nicht angebracht. Es gibt immer mehr Pflicht erfüllende Notenumsetzer, alles wird nur mehr gedacht und nicht mehr gefühlt. Die entstandene Leere lässt den Ruf nach mehr Sinnlichkeit laut werden.
Was sind die neuen Maßstäbe?
Es wird von der Verhirnung der Musik gesprochen – zwar in der Kunst und Popularmusik, doch wäre dies für die Volksmusik eine noch größere Katastrophe. Die Annäherung der Volksmusik an die Kunstmusik bewirkt, dass Volksmusik keiner unmittelbaren, d.h. lebensnahen Kritik mehr ausgesetzt ist. Maßstäbe sind nicht mehr die Brauchbarkeit, Verfügbarkeit, Kenntnis der regionalen Eigenheiten. Man überlässt den Wettbewerbsjuroren oder den CD-Verkaufsziffern das Urteil, vielfach entfällt Kritik und niemand wird daran erinnert, wo der eigentliche Wettbewerb für Volksmusik stattfindet. Volksmusikwettbewerb müsste heißen: Wie viele Lieder kannst Du, wie viele kann ich, wie viele können wir gemeinsam, dann haben wir gewonnen.
Sie wollen wissen, was mit Lebensmittel und Genussmittel im Titel dieses Referats gemeint ist?
Lebensmittel: Die Reduziertheit auf das notwendige Maß an musikalischen Fertigkeiten, und doch die eindrucksvolle Ausprägung der so entstehenden Musik, vor allem aber die Bedeutung dieser klingenden Alltagssprache im Leben selbst. Als Lebensmittel bezeichne ich diesen Gebrauch von Volksmusik deshalb, weil hier auch die Bedeutung zurechtgerückt wird. Sie – die Volksmusik spielt eine untergeordnete Rolle, sie wird nicht zum alleinigen Inhalt, zur Lebensphilosophie einer Neigungsgruppe, sie wird nicht zum Accessoire. Sie ist der schönere Alltag.
Beim Genussmittel stehen das Klangergebnis im Vordergrund und damit auch die Karriere der Interpreten, die ihre Absichten auch artikulieren. Es entstehen, Wertungen, Wettbewerbe, krampfhafte Verpflichtung dem Original gegenüber oder aber krampfhafter Zwang zur Veränderung. Hier ist auch der Ansatzpunkt für alle ideellen und ideologischen Nuancen.
Was sind die künftigen Aufgaben der Volksmusikpflege?
Nun ist natürlich das gegenseitige Ausspielen zwischen dem Genussmittel und dem Lebensmittel nicht ganz richtig. Auch Lebensmittel gereichen zum Genuss, wenn die elementaren Bedürfnisse nicht anders übersättigt wurden. Und auch Genussmittel sichern, wenn ausschließlich nur sie zur Verfügung stehen, das Überleben. Im Raum steht aber die Frage nach den künftigen Aufgaben der Volksmusikpflege. Vermehrt muss sie sich um die Vermittlung von Lebendigkeit, um das Lebensmittel bemühen und ich empfehle hier einige Grundregeln zu beachten:
Der Wettbewerb findet im Leben statt. Anerkennung und Ablehnung sind eine Frage der Begegnung und nicht einer Jury zu überlassen. Musikant werden ist ein Prozess.
Alles Geniale auf diesem Gebiet entsteht aus dem Respekt vor dem bisher geleisteten. Es ist dafür zu sorgen, dass durch Öffentlichkeitsarbeit, bibliographische Darstellung und Hervorheben der künstlerischen und handwerklichen Alltagsleistung dieser Teil der eigenverantwortlichen Gestaltung des Lebens mehr beachtet wird. So wie dies im Rahmen dieser Tagung durch die Exkursion zu den Musikanten geschehen ist.
Das Wort Volksmusik bedarf einer Entzauberung. Dabei ist die Liebe zum Alten, das Bekenntnis zur Überlieferung zur gewohnten Klangwelt zu respektieren. Die Volksmusikpflege soll aber Abstand davon nehmen, zu verklären, die bessere Musik anzubieten, den Kreis zu schließen und soll seine Rolle lieber in einem gesamt-kulturellen Kontext sehen.
Das Spiel mit dem Feuer zulassen…
Um zum Schluss zu kommen: Das Gesagte ist zwar eine eindeutige Stellungnahme gegen die Eingliederung der Volksmusik in das Bildungssystem und damit gegen eine kopflastige Hinwendung zur Volksmusik. Zugleich aber auch eine Stellungnahme für die Freigabe der Entwicklung, für mehr zweckgebundene Musik. Dies bedeutet aber auch Eingehen des Risikos, das Spielen mit dem Feuer, das Zulassen von Ungewissheit wie sehr sich Volksmusik verändern und entwickeln kann. Hier leisten die Institute für Volksmusikforschung und die Volksliedarchive einen hervorragenden Beitrag. Und nun noch ein Beispiel, das meine grundsätzliche Kritik an der Bildungsschiene Volksmusik untermauern soll:
Auch im Bereich der Mundartdichtung ist es gänzlich ausgeschlossen, dass unsere Dorfdichter künftig von der Germanistik ausgebildet werden. Und wenn wir das Sprechen des Dialekts fördern wollten: Auch hier sind das regionale Umfeld, die elterlichen Sprachgewohnheiten, die vorerst im Hause und im Gegenüber erlebte Poesie, die Neigung zum Spiel mit der Sprache ausschlaggebend, dass wir die mundartliche Färbung eines Menschen als ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal erkennen und als Facette des Lebens schätzen.
Lieder haben ist eine Form von Lebensqualität
Es ist beglückend wie sehr sich der verjüngte Kreis der Volksmusikpfleger seit den letzten 15 Jahren aus einer Verstrickung mit nicht mehr existierenden Lebensumständen gelöst hat. Es mag vorerst als Verwässerung angesehen werden, wenn hier gleichsam alle Maßnahmen zur Förderung musikalischer Volkskultur unter dem Titel „Vielfalt“ belobigt werden. In diesem Bereich des außergewöhnlich engen Zusammenschlusses von Wissenschaftlern, Liebhabern und beamteten Pflegern ist aber die Gesprächsbereitschaft ein wertvolles Kapital und der Ausgangspunkt für einen Weg der kleinen Schritte. Für die Musik selbst ist ein allgemein gültiges Rezept nicht zu formulieren. Schon gar nicht für jenen Bereich der Volksmusik, da wir ja einer Generationen-übergreifenden Sicht nicht fähig sind. Zentraler Inhalt unserer Arbeit wird daher stets und immer wieder neu formuliert der Hinweis auf die Notwendigkeit sein, Fertigkeiten mitzuteilen, sie so quasi dem nächsten aufzudrängen, sie aus der eigenen Obhut zu entlassen, zu erkennen, dass Lieder haben eine Form von Lebensqualität bedeutet. Schutzräume und Kühlschränke erscheinen mir wenig geeignet, das Lebensmittel Volksmusik vor dem drohenden Ablaufdatum zu bewahren.
Für diesen Beitrag wurden Teile eines Referates verwendet, das ich anlässlich des Symposion „Vermittlung von Volksmusik in Musikschulen, Konservatorien und Musikhochschulen“; Schloss Mageregg, Kärnten im November 1997 gehalten habe.
[1]
Hiezu einige Literaturangaben:
Weber, Erich (Hrsg.): Der Erziehungs- und Bildungsbegriff im 20. Jahrhundert. Klinkhardts Pädagogische Quellentexte. Verlag Julius Klinkhardt – Bad Heilbrunn/Obb. 1976.ISBN 3-7815-0303-8
Buckmann, Peter (Hrsg.): Bildung ohne Schulen, Kösel-Verlag München. Copyright 1973 by Peter Buckmann, 1974 by Kösel-Verlag München. Übersetzung aus dem Englischen: Helmut Lindemann ISBN 3-466-42040-7
Illich, Ivan: Entschulung der Gesellschaft. Mit einem Vorwort von Hartmut von Hentig. 2. Auflage 1972. 8.-12. Tausend. Kösel-Verlag München, Übersetzung aus dem Englischen: Helmut Lindemann ISBN 3-466-42030-X
Postmann, Neil: Keine Götter mehr. Das Ende der Erziehung. Aus dem Englischen von Angelika Friedrich. Berlin Verlag. 2. Auflage 1995: 18. Bis 27. Tausend. ISBN 3-8270-0170-6
Killy Walther: Bildungsfragen. Beck’sche Schwarze Reihe, Band 76. Verlag C. H. Beck München 1971. ISBN 3-406-02476-9
Kadelbach Gerd (Hrsg.): Bildungsfragen der Gegenwart. Kritiken, Modelle, Alternativen. Athenäum Fischer Taschenbuch Verlag GmbH & Co., Frankfurt am Main. 1974. ISBN 3-8072-3001-7
[2]
Für die folgenden Passagen, die wir gemeinsam für eine Stellungnahme an die Abteilung V, Musikpädagogik der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz formuliert haben, ist Herrn Dr. Rudolf Pietsch (Institut für Volksmusikforschung, Wien) zu danken.
Referat anlässlich der Jahrestagung „Gelehrte“ oder „geleerte“ Volksmusik? des Bayrischen Landesvereins für Heimatpflege e.V. 3/1997; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.