Fürchtet Euch nicht

Der Weltuntergang – so wie wir ihn uns vorstellen – hat ob seiner unvorstellbaren Potenz und der Endgültigkeit schon beinahe etwas Schönes und wegen unserer mangelnden Vorstellungskraft auch etwas Poetisches. Ich erinnere mich gerne an jenen Schlager, den meine Mutter trällerte: Am 30. Mai ist er Weltuntergang, wir leben nicht mehr lang, wir leben nicht mehr lang…“ (siehe Anmerkungen). Das Lied entstand 1954 und war eine Parodie auf unser Ende.

Er – der Weltuntergang – hat also etwas Erheiterndes und Befreiendes an sich, vielleicht, weil wir uns nicht alleine zu fühlen brauchen, sondern alle mitsamt untergehen in Bausch und Bogen. Und: Weil kein Platz bleibt für die Schuldfrage – und schon gar nicht für die üble Nachrede…

Der Weltuntergang – ein köstliches Ende

Was veranlasst mich aber, vom Weltuntergang geradezu zu schwärmen? Die richtige Antwort heißt: Weil er das wirklich humane Ende bedeutet, eine Welt-Wirtschaftskrise ohne Jongleure beendet, die UNO nicht um Zustimmung bittet und sich der Klimawandel freundlich in die Apokalypse verabschiedet. Die Alternative wäre, die Menschheit sich selber ausrotten zu lassen, die doch so menschlichen kriegerischen Auseinandersetzungen an der Oberfläche des Trabanten am Köcheln zu halten und die Grauslichkeiten weiter an die Spitze zu treiben. Es ist ja schon immer ein Abschlachten, ein Niedermetzeln gewesen, aus dem wir mühsam auferstanden sind, um wieder in selber Weise neuerlich aufeinander loszugehen.

Das Fürchten ist schlechtgeredet worden

Also sollte uns der Weltuntergang um einiges lieber sein. Aber ist es gerechtfertigt, sich vor beiden Alternativen gar nicht zu fürchten? Mir scheint das Fürchten ist schlecht geredet worden, weil es gerne vor dem Wahlgang als Gespenst verkleidet auf Tour geschickt wird.

Und das gefällt mir nicht, denn ich schätze das Fürchten als Gegenspieler der Zuversicht und des Vertrauens, sowie ich das Dunkle gerne mit dem Hellen (es ist nicht die Biersorte gemeint), das Bittere mit dem Süßen und das Schlechte mit dem Guten ringen sehe und für mich in Einklang bringen möchte. Was wäre das Leben ohne die Pole die sich einmal anziehen und einmal abstoßen?

„Fürchtet Euch nicht“ ist nicht genug

„Fürchtet Euch nicht…“ ist aber ohne Nachsatz wenig hilfreich wie etwa „Komm mir nicht zu nahe“ oder „Sei doch einmal still“ oder Laß mich in Ruhe“. Immer verlangt es nach einem Nachsatz, einer Begründung und zumal – wenn es um „Fürchtet Euch nicht“ geht – um eine erlösende Erkenntnis oder ein ehrenhaftes Versprechen.

Etwa so: „Fürchtet Euch nicht“ denn…siehe, ich bin bei Euch (Aus dem Alten Testament), oder „Fürchtet Euch nicht“ denn…wir schaffen das (Angela Merkel), oder „Fürchtet Euch nicht“ denn…ihr habt mich gewählt und ich nehme diesen Auftrag ernst. (Diese Worte lege ich den Politikern in den Mund, bislang habe ich sie noch nicht gehört), oder ich selbst: „Fürchtet Euch nicht“…denn die Musikerinnen und Musiker werden diese Welt retten.

Die Musik ist auch keine heile Welt

Das klingt weit hergeholt, gutgemenschelt, hochtrabend und beinahe weltfremd, denn unter dem Deckmantel der Musik kann sich auch das Grausliche abspielen. Wahrscheinlich gibt es auch korrupte Trommler, betrügerische Cellisten und mordende Oboisten. Ich weiß es nicht – räume aber die Möglichkeit ein. Wie meine ich es dann?

Nein, ich bin auch kein Freund des politischen Kabaretts, wo die Lachmuskeln sehr einseitig beben, wo das Religiöse immer eine angepatzte Hauptrolle spielen darf und offensichtlich auf die nächste Wahl hingearbeitet wird. Dennoch: Ein dreifach Hoch der Narrenfreiheit der Kunst und dem Wert des Provozierens. Kabarett ist aber nur dann gut, wenn den politischen Kontrahenten wechselweise die Leviten gelesen werden. Dann ist es nicht nur gut, sondern auch köstlich und bewegt den Zeitgeist und den eingerosteten Geist der Lacher…

Böse Menschen und ihr Singenthaltsamkeit

Und dann gibt es noch das Sprichwort: Wo man singt … denn böse Menschen haben keine Lieder. Gefällt mir schon lange nicht mehr. Wäre ja zu einfach und falsch, die Bösen an der Singenthaltsamkeit erkennen zu müssen. Ja schlussendlich: Musik lässt sich auch instrumentieren in Richtung Gehorsamkeit und Drill, sie kann auch fundamental aufrührerisch und aggressiv sein. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Buchtitel „Musik als Waffe? von Helmut Brenner.

Ich bin ein Herbeiredner des Längsfälligen

Und dennoch bestehe ich darauf, dass die Musikerinnen und Musiker diese Welt retten werden. Ja, ich bin ein unverbesserlicher Optimist und Herbeiredner des Längstfälligen! Mag sein, dass es sich um eine gewagte Hypothese handelt. Es werden – so meine Botschaft – nicht die Politiker sein, auch nicht die Soldaten und auch nicht die Oberhäupter der Religionen sein, die dem Grauslichen auf dieser Erde Einhalt gebieten.

Ja, es werden stattdessen die Musikerinnen und Musiker sein, die an der Rettungsleine ziehen, wie am Blasebalg der Dorfkirchenorgel. Es sind Heerscharen mit ihren Instrumenten und Stimmen, die zur Rettung antreten. Ihre Munition sind die endlosen Melodien, die uns nicht treffen sondern berühren werden.

♥ Auch wenn sie unterschiedliche Sprachen sprechen – es wird sie die Partitur zusammenführen.

♥ Auch wenn sie an verschiedene Götter glauben, Sie werden ihrem Instrument ergreifend Himmlisches abverlangen.

♥ Ihr gemeinsames Pianissimo wird kein unterdrücktes und ihr gemeinsames Fortissimo kein brutales sein.

♥ Und gerade weil die Musikerinnen und Musiker aus aller Herren und Frauen Länder sehr unterschiedliche Mentalitäten an den Tag legen, ihre gegenseitige Fremdheit erst fusionieren müssen, wird ihre Musik beseelt sein von der Idee der weltweiten Übereinstimmung.

Das allerwichtigste Argument aber…

♥ Niemand kann so professionell mit Dissonanzen umgehen, wie es die Musikerinnen und Musiker zustande bringen.

Fürchtet Euch nicht – das Ende dieses Statements ist nahe…

Musik ist vieles, im negativsten Falle dient sie der Endlosbeschallung des Alltags – und verkommt dort zu akustischen Müll. Im positivsten Falle schafft sie es, die deutlichsten Botschaften zu formulieren, die einem klingenden Friedenskonzept zum Durchbruch verhilft. Das ist übrigens der Grund, warum wir hier nach Mariazell gekommen sind. Eine schöne Idee: Der Weltfrieden als Auftragswerk für uns alle.


Anmerkungen zum Lied: “Am 30.Mai ist der Weltuntergang“
Im Jahr 1954 wurde das Lied „Am 30. Mai ist der Weltuntergang“ des Golgowski-Quartetts zu einem Nummer-1-Hit in Deutschland (Melodie: Karl Erpel (Pseudonym von Will Glahé), Text: Bert Roda (Pseudonym von Karl Golgowsky). Es war eine parodistische Würdigung einer damals einigen Presserummel verursachenden Prophezeiung.

Anmerkung zu Kompositionen: „Der Weltuntergang“
Das Lied Der Weltuntergang des Liedermachers Franz Hohler beschreibt, wie in unserer heutigen Welt das Aussterben einer einzigen Käferart ausreichen könnte, um den Weltuntergang herbeizuführen; nämlich, indem auf mehreren Ebenen der sprichwörtliche Tropfen genügt, um das Fass zum Überlaufen zu bringen. Die Schlussfolgerung Hohlers war: „… ich selber habe mich anders besonnen, ich bin sicher, der Weltuntergang, meine Damen und Herren, hat schon begonnen.“ Dieses Lied, das er bereits 1974 geschrieben hatte, wurde 1997 zum Preislied der Liederbestenliste gekürt. Auch unzählige zeitgenössische Death-, Thrash- und Black-Metal-Bands befassen sich mit dem Thema Weltuntergang in verschiedensten Varianten. 1981 veröffentlichte Udo Lindenberg das Lied Grande Finale, in dem er ein Weltuntergangsszenario nach einem Atomkrieg beschreibt. Im Lied Eiszeit von Peter Maffay aus dem Jahr 1982 geht es um den letzten Menschen, der das Ende der Welt mitansehen muss. Das 1987 veröffentlichte It’s the End of the World as We Know It (And I Feel Fine) von R.E.M. orientiert sich vage an verschiedenen Endzeitszenarien. Der Titel ist im Deutschen zum geflügelten Wort  geworden und wurde in diversen Artikeln, Büchern und Filmen aufgegriffen. Weitere Lieder und Kompositionen sind im Internet zu finden, z.B. auch unter www.tonspion.de

Anmerkung zum Buch: Helmut Brenner „Musik als Waffe?“ Theorie und Praxis politischer Musikverwendung, dargestellt am Beispiel der Steiermark 1938-1945; Herbert Weishaupt-Verlag, Graz 1992 ISBN 3-900310-58-0


Statement aus Anlass des gleichnamigen Symposions zur Musikantenwallfahrt Mariazell 2018. Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.