Lieber Gerhard Krajicek!

Wir beide danken Dir nochmals für diese schöne Ehrung und ich im Besonderen, denn es gab ja schon eine sehr freundschaftliche Beziehung zwischen dem Fritz Frank und meinen Eltern. Vielleicht ist es gut, wenn ich meine etwas stümperhafte Rede hier nochmals wiedergebe und ergänze:Ich bin etwas beschämt, dieses Ehrenzeichen zu bekommen, denn ich habe all die Zeit nur das getan, was mir Freude gemacht hat und was mir zur gegebenen Zeit zugefallen ist. Ende der Siebzigerjahre fand ich ein Vakuum vor, in das ich zufällig geschlittert war. Die Volkstanzpflege war ja vorbildlich und sehr rege, das Volksliedarchiv fand ich damals in einem Besenkammerl vor.

In dessen Umfeld lagen sich Gundl Holaubek, Rudolf Schwarz, Lois Steiner u.a. in den Haaren. Eine Ausnahme bildete Hubert Lendl, der mein Mentor geworden ist. Sobald ich im Landesdienst aufgenommen war, bekam ich von Kurt Jungwirth den Auftrag, auf das Volksliedarchiv aufzupassen, gemeint war, den Schlüssel zu verwalten. Er wurde von Gerlinde Haid kontaktiert und über die Wichtigkeit aufgeklärt. Dennoch glaube ich, dass er nicht damit gerechnet hat, dass das Volksliedarchiv jemals öffentlich zugänglich sein wird, wie mir dies erstmals, mit Jungwirths Hilfe, 1986 gelang.

Schon aus dieser Einleitung ist zu sehen, dass ich ja keineswegs als Nachfolger von Fritz gegolten habe und dass unsere Arbeitsgebiete bei aller Nähe der Themen getrennt waren. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn von Seite des Landesbetriebes eine Nachfolge angestrebt worden wäre – dies war aber nicht der Fall.

Alles andere – meine Arbeit betreffend – war aus purem Zufall passiert und ist zudem auch der Tatsache zuzuschreiben, dass ich keinen Auftrag – außer dem inneren – dazu hatte. Narrenfreiheit nennt man das! Von meiner Seite war Neugierde, Erfindergeist vorhanden und Ausdauer. In der Kulturarbeit bedarf es eines langen Atems. Schon deshalb sind die heute üblichen Evaluierungen hinderlich. Kein Geigentag, kein Musik beim Wirt, kein Büro für Weihnachtslieder und kein Vierzeiler hätten entstehen können, wenn gleich darauf die Frage nach der Effizienz gestellt worden wäre…

Ja, und weil es mir so gut dabei gegangen ist mit der Narrenfreiheit und der wenig effizienten Behinderung durch das Beamtentum, deshalb bin ich beschämt über diese Auszeichnung. Sagen wir es noch einmal im Kurzen: Mir ist eine Aufgabe zugefallen, das Vakuum war vorhanden, ich strebte auch nie einen höheren Posten an, wollte nur – und das ist ja eh ein bisserl unbescheiden – möglichst viel erreichen.

Und nun bin ich aber auch stolz, diese Fritz Frank – Nadel erhalten zu haben. Der Fritz hatte etwas, was ich nie haben werde und wofür ich ihn stets bewundert habe: Eine ansteckende Fröhlichkeit, einen Vorschuss an Machbarkeit für jedes Vorhaben. Durch ihn habe ich viele Länder bereisen und mich auch als Musiker bewähren können. Nie und nimmer wäre dies für mich finanzierbar gewesen.

Und selbstverständlich bewundere ich ihn wegen seiner ganz frühen Kontakte über den Eisernen Vorhang hinweg. Damals als es noch Berührungsängste in der Politik gab, waren die Chöre, Tanzgruppen schon unterwegs, um die Grenze zu überwinden. Und damit kann jenen der Wind aus den Segeln genommen werden, die dem Fritz eine braune Vergangenheit umhängen wollen. Es zählt letztlich sein ganz großes Engagement im Umgang mit den Nachbarländern und überhaupt seine Initiativen für ein Nachkriegs-Zusammenleben in unserer Heimat. Das war seine Form der Vergangenheitsbewältigung.

Wir hatten niemals Streit, wenngleich ihn sicherlich meine unkonventionelle Herangehensweise gestört hat. Die Gesprächsbereitschaft ist immer erhalten geblieben. Was wir gemeinsam hatten – er schon viel früher und ich halt später – das war die schon erwähnte Narrenfreiheit. Er galt ja innerhalb der Beamtenschaft als Spinner, der seinem Privatvergnügen frönte. Wie falsch er eigentlich eingeschätzt wurde, nur weil er etwas getan hat, für das er keinen Auftrag hatte. Er war schon froh, dass man seine Intention geduldet hat. Und genau das hat sich bei mir wiederholt.

Lieber Gerhard! Ich habe auf ein Detail vergessen: Ich erwähnte bei meinen Dankesworten meine Ablehnung des Begriffs „Volkskultur“. Das war nicht wirklich verständlich, was ich da in Eile angedeutet habe. Daher diese Ergänzung:

Freilich war mir ab 1982 der Begriff eine Hilfe und er war auch geeigneter als „Volkstumspflege“ – wie unsere Budgetpost (Frank/Härtel) im Landesbetrieb geheißen hat. Also bin ich selbst der Schuldige für das Hofieren dieses Begriffes und für die letztlich gegen meinen Willen eingeführte Trennung von Kultur und Volkskultur, zuerst im Budget des Landes mit eigener Zuständigkeit, später leider auch in den Köpfen.

Ich brauche nicht dazu sagen, dass „Volkskultur“ im Bereich der wissenschaftlichen Volkskunde out ist. Das hat damit zu tun, dass sich das Fach jetzt Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie nennt und sehr stark im Bereich der Sozialwissenschaft angesiedelt ist. Nicht ohne Grund, war doch zuvor die „angewandte Volkskunde“ das non plus Ultra, weil sich lange Zeit Wissenschaft und Praxis zu sehr nahe gekommen sind. Sichtbare Zeichen waren Gundl Holaubek (stets mit Goldhaube) und Hanns Koren (Wetterfleck) u.v.a. Dieser Richtung warf man Unwissenschaftlichkeit vor, weil die persönliche Betroffenheit/ Liebhaberei/Anteilnahme einer unbeteiligten, wissenschaftlichen Beobachtung im Wege stand. Und weil die „Pflege“ keine Aufgabe der Wissenschaft sein kann. Das zu sagen ist berechtigt, denn es gibt auch Beispiele für Verkrampfung, Stagnation und künstlich am Leben erhalten, wo doch jeder weiß, dass Traditionen sich im Flusse der Überlieferung verändern, erneuern.

Ich habe die alten Volkskundler dennoch verehrt (Horak, Holaubek, Moser etc.), weil sie in einer Zeit des Umbruchs eine gewaltige Forschungsarbeit geleistet und ermuntert haben.

Den nachkommenden Volkskundlern unterstellte ich in einem Vortrag, dass sie gerne beim Sterben des Volksliedes dabei sein würden… (typisch Härtel) Und denke, dass Ferdl Zwanzger oder Gretl Steiner so einem Wissenschaftler niemals ihr ganzes Lebenswerk aufgetischt hätten.

Warum ich aber so auf die Abschaffung oder die Verabschiedung des Begriffs „Volkskultur“ dränge, hat zwei weitere Gründe:

Sobald die Politik das Wort Volkskultur in den Mund nahm, war mir bewusst, dass es sich um eine Abgrenzung von Kultur handeln wird. Und da hatte ich recht. Als einer, der mit klassischer Musik aufgewachsen ist, hatte ich ab sofort komische Gefühle und ich sollte Recht behalten. Fortan war Kultur ROT und Volkskultur SCHWARZ und das war der Beginn einer neuen Engstirnigkeit und auch der Beginn meines Ausscheidens. Hier wurde eine künstliche Polarität geschaffen, die mir als Forscher und Kulturarbeiter ganz zuwider lief. Ich erinnere an dieser Stelle an den Wagnerianer Fritz Frank.

Der letzte Grund, warum ich Volkskultur als Begriff eliminieren würde, ist die nunmehr zeitlich errechenbare kulturelle Veränderung Österreichs. Was unsere gewachsene Kultur betrifft, so wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Andere Ethnien werden schon in 30 – 40 Jahren ebenso ihr Traditionen einbringen. Das ist von mir keine Wehklage aber: Wenn das ohne kriegerische Auseinandersetzung geht, müssen unsere Enkel hoch zufrieden sein. Der Begriff Volkskultur ist spätestens mit diesem Wissen ein Schimpfwort geworden, eine Kampfansage an anstehende Veränderungen.

Kultur aber wird den Mantel der Vielfalt behalten und da hat auch Traditionelles aus den alten Zeiten wieder eine Chance.

So, und nun bedanke ich mich nochmals und auch dafür, dass ich bei Euch nach meinem Auszug aus Liezen eine erste Arbeit in Graz bekommen habe. Als Unternehmersohn hätte ich mich geniert Arbeitslosengeld zu bekommen. Vor der Stelle bei Dir arbeitete ich kurz bei der Fa. Schmölzer als Kohlenschaufler.


Brief an Gerhard Krajicek, anlässlich der Verleihung der Fritz-Frank-Nadel an Ingeborg und Hermann Härtel, 2017;  Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.