Es ist nichts schlimmer, als der Lärm um Nichts

Inzwischen müssen wir stille Räume aufsuchen, wenn wir einmal eine Ohrpause einlegen möchten. Und es ist ein wahrer Genuss, irgendwo am Berg dem Geräuschpegel entkommen zu sein, dem Luftzug über die Almwiesen lauschen zu können, ohne dass dabei eine Tür zugeschlagen wird. Man möge mich für einen Träumer halten, Ärzte aber meinen, dass wir uns von Zeit zu Zeit an der Stille erbauen sollten, noch bevor wir sie unerträglich finden, weil sie uns beunruhigt – ausgerechnet die Stille.

Bei der Lärmplage geht es ja nicht um den Geräuschpegel des pulsierenden Stadtlebens, um das Rollgeräusch des Verkehrsnetzes, um das Rauschen der Mur, das Hämmern an den Baustellen, das Schlagen der Kirchenglocken und das Heulen der Sirenen rasender Einsatzfahrzeuge. Nein – der Stadtsound ist uns ans Herz gewachsen, er ist der Puls unserer Stadt, gleich unseres eigenen, den der Arzt nur hört, wenn er uns das Stethoskop an die Brust legt.

Nichts gegen den Sound der Stadt

Freilich möchten wir auch diesen Lärm im Griff haben und planen Umfahrungen auf diversen Gürteln und steckten schon vor Jahren den Hauptlärm in einen Tunnel. Zugleich aber möchten wir eine Stadt sein, eine sympathische, liebreizende, eine freundliche und fröhliche.

Im Managementjargon „bespielt“ man heute Plätze, sorgt für leckere Happen, kühle Drinks und laute Sprecher. Wenn die Kabel gelegt sind, schießt der Sound hindurch und erreicht nicht nur unsere Ohren, sondern auch unsere Bauchdecke, ebenso aber zahlreiche erzitternde Fensterscheiben der Innenstadt. Noch steht ja nicht fest, um welchen Inhalt es bei der Veranstaltung geht, um welche Musik es sich handelt, was gefeiert oder verkündet wird, aber das scharfe ß der Schprechprobe „ Eins, Eins Eins“ verkündet eine Wichtigkeit, die den ganzen Platz, die Nebengassen, die oberen Stockwerke, die tiefen Keller, die Schlafzimmer und das „Stille Örtchen“ betreffen müssen. Die hohen Herren am Regler sind die Meister des Tones und vertilgen die den lästigen Puls der Stadt wie Staubsauger ihre Milben.

Ja, bei der Kritik an der Lautstärke ist es gleichgültig, um welche Musik es sich handelt, ob die großen Meister oder die großen Stümper am Werk sind. Auch die beste Absicht, die beste Ansage und die allerbeste Musik mutiert zur unhaltbaren Lawine, so wie man auch im besten Quellwasser ertrinken kann. Den Verantwortlichen ins Stammbuch geschrieben:

Lautstärke ist noch nicht Stimmung

Diese Grundformel betrifft nicht nur die Konzerte auf Grazer Plätzen sondern auch die vielen Märkte und Feste, bei denen mit Musik Aktivität und Stimmung suggeriert wird. Im Gegenteil: Eine permanente Geräuschkulisse verhindert die Entwicklung von Stimmung.

Musik entsteht aus der Pause

Bei vielen Konzerten wird vor dem Beginn, in der Pause und nach dem Konzert Musik eingespielt. Dabei handelt es sich um eine respektlose und unerträgliche Ablenkung von den gerade agierenden Künstlern und vom aktuell vorgetragenen Musikstil. Ich weiß, die Technik macht`s möglich, die Technik ist aber a Hund, den man auch „ruhig“ heißen kann.

Flächendeckende Beschallung ist Tonmüll

Der Appetit macht Hunger, die Strecke macht den Durst, die Pause macht Lust auf Musik. Permanente Beschallung ist wie permanentes Knabbern und daher ungesund. Viele Gaststätten haben dies bereits erkannt und wissen, dass es sich bei der Zwangsbeschallung um eine weit verbreitete Unsitte handelt.

Kultur ist es, zu wissen wann es reicht

Brot und Spiele sind inzwischen Dauerbrenner, die Destination GRAZ schlägt sich in Nächtigungszahlen nieder. Erfolgsgeschichten haben stets das Machbare im Sinn, welches andere erst einmal aushalten müssen. Ein liebenswertes Graz sollte auch lebenswert sein und deshalb braucht Graz dringend ein Metronom, denn Takt haben heißt zu wissen, wie weit man zu weit gehen kann. Dabei sind eine Kontrolle der Lautstärke ebenso gemeint, wie das sinnvolle Einrichten von Auszeiten, in denen der Grazer Puls seine ganze Sympathie entfalten könnte.

Zitate zum Thema

Much ado about nothing (Viel Lärm um nichts); William Shakespeare (1564-1616)

Das schlechteste Rad am Karren macht den größten Lärm; Deutsches Sprichwort

Lärm macht nichts Gutes, Gutes macht keinen Lärm; Sprichwort

Lärm beweist gar nicht. Die Henne, die ein Ei gelegt hat, gackert, als sei es ein Planet; Mark Twain (1835-1910)

Nicht jeder laute Vogel zwitschert schön; Hermann Lahm (geb 1948)

Wenn ein Mensch aus früheren Jahrhunderten an meinem offenen Fenster säße und horchte auf den Lärm, der hereindringt, er würde sagen: Es ist Krieg!; Emanuel von Swedenborg (1688-1772)

Kann man hier denn nicht mal in Ruhe Krach machen?; Quelle unbekannt

Ich habe meine Aufgabe immer darin gesehen, die Musik vor dem Lärm zu schützen; Andrés Segovia (1893-1987), spanischer Gitarrist

Man macht Lärm und glaubt sich zu unterhalten. Man macht Grimassen und glaubt sich zu verstehen; Thomas Stearns Eliot (1888-1965)

Der Mensch braucht Stille, aber der Fortschritt gab ihm Lärm; Phil Bosmans (1922-)

Es gibt vielerlei Lärm. Aber es gibt nur eine Stille; Kurt Tucholsky (1890-1935)

Großstadtbewohner sind Menschen, die die Stille oft mehr aus der Ruhe bringt als der Lärm; Werner Mitsch (1936-)

Früher brachte der Lärm die Menschen aus der Ruhe. Heutzutage ist es die Stille; Ernst Ferstl (1955-)

Jeder Dackel gönnt sich nach der Jagd und nach dem Bellen eine Pause. Daran könnte sich das permanente Grazer Spektakel ein Beispiel nehmen; Hermann Härtel (geb.1949)


Für das Grazer Stadtblatt, kpoe-graz, stark gekürzt erschienen 9/ 2015; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.