Die Magie des Jodelns

Als die Menschheit zu jodeln begann, war sie am besten Weg die Sprache zu erfinden…

Diese mutwillige Umkehrung der Schöpfungsgeschichte erweckt den Anschein, alsob es darum ginge, dem Jodeln einen urzeitlichen Stellenwert zu verpassen. Zugegeben, es handelt sich um eine Überzeichnung. Dennoch aber harmoniert sie mit unser aller Erfahrung: Kaum haben wir miteinander gesungen, ist das Zugetansein eröffnet und wir sind plötzlich mitteilsamer als zuvor. Das veranlasst mich, den gesungenen Tönen mehr als den sprechenden den Vorzug zu geben. Viel mehr dazu ist im ersten Band dieser Jodelschule, nämlich in der Hausübung I zu erfahren, die im Jahre 2010 erschienen ist.

Replik auf „Wir lernen jodeln“ Hausübung I

Sie enthält viel Wissenswertes zum Jodeln, ebenso die ehrenvolle Nennung unserer Lehrmeister und viele treffende Zitate zur bemerkbaren Renaissance des Jodelns in unserer Zeit. Die darinnen enthaltene Auswahl an Jodlern dient dem vergnüglichen Einstieg in eine vokale Erlebniswelt.

Diese 2. Hausübung enthält zwei ausgesuchte Fachbeiträge zur Verwendung unserer Stimme, eine nieder geschriebene Ehrerweisung gegenüber unseren Lehrmeisterinnen und Lehrmeistern, die Anleitung zum Gebrauch dieser Jodelschule und eine weitere, bunt gemischte Jodler-Auswahl mitsamt der hilfreichen Jodel-Lern CD.

Ein Blick über den alpinen Garten hinaus

Vom Apennin bis Wien zieht sich die Spur des Jodelns mit regional sehr unterschiedlichen Färbungen. Ebenso vielschichtig sind die Anlässe, vom Jodeln auf den Almen als Teil der alpinen Lustbarkeit, vom Jodeln in eigens eingerichteten Vereinen mit ihren Wettbewerben bis hin zu jodelnden Gruppen, die auf Bühnen auftreten und in den CD-Regalen vertreten sind.

Die Verwendung aber des hörbaren Registerwechsels als vokales Ausdrucksmittel reicht schon ins alte China zurück und ist in vielen anderen Ländern Teil einer spezifisch stimmlichen Ausdrucksform. Da wären Korea, Thailand, Kambodscha, Palästina und Melanesien zu nennen. Eigentümliche Töne hört man auch bei den Inuit und den Pygmäen. Schweden und Lappen kennen die Technik ebenso, sie nennen es Kulning und Joik. Den Rundblick über den alpenländischen Zaun beschließt die Erwähnung der „Yodeling Cowboys“ mit ihrem gejodeltem Jazz in den USA.

Von wem haben wir das Jodeln gelernt?

Das ist wie mit der Grippe – plötzlich hat man sie. War es bei einem Almausflug oder gar anlässlich eines Gipfelsieges oder einfach beim Grabenwirt drinnen? Es ist ein seltsames Phänomen, dass sich gerade die melodiös-emotionalen Erinnerungen zwischen den Gedächtnislücken nur mangelhaft verstecken.

In meiner Kindheit spielte das Jodeln wenig Rolle, denn meine Eltern hatten selten einmal einen Jodler auf den Lippen, vielleicht dann und wann den Häi ti und den Andachtsjodler. Der Musikunterricht und der Schulchor in der Hauptschule Irdning sind mir aber unvergesslich. Und damit die Verbundenheit – bis zum heutigen Tag – mit meiner Lehrerin Berta Runge (1919-2014), die unter anderen auch den Irdninger Nacheinand jodelte.

Das waren die schönsten Stunden meiner Schulzeit, weil das Singen meine sonst schwachen Leistungen zu kompensieren vermochte. Ich erinnere mich auch an ein Jodel-Wochenende in den 60er Jahren mit Hermann Derschmidt (1904-1997), dem oberösterreichischen Altmeister des Volksliedsingens. Seine uns mit Enthusiasmus auferlegte Verantwortung für den Jodler, war für mich jungen Suchenden mehr belastend als dem Jodeln förderlich. Das Erlebte war aber prägend:

Ich suchte eine lustvollere Methode des Jodelunterrichts, ließ die Altehrwürdigkeit weg und entschied mich für Menschenpflege anstatt Volksliedpflege.

Wie so oft aber bedurfte es des eigenen Entdeckens und der ersten Herausforderung in den Siebzigern. Zusammen mit Rudolf Pietsch war es mir ein Anliegen, zu den Südtiroler Schwegelwochen ein paar Jodler mitzubringen, vor allem Südtiroler Jodler aus den Archiven auszugraben, um sie den vielen jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern weiter zu geben.

Die Steinerin und der Heli Gebauer

Wirklich nachhaltig zündend waren aber die Begegnungen mit Franz Zöhrer (1938-2012) und dem Ramsauer Urgestein Gretl Steiner (geb. 1924) und Heli Gebauer (1926-2007). Ein vom Land Steiermark finanziertes Forschungsprojekt führte mich über acht lange Jahre immer wieder in die Ramsau, um deren Repertoire zu erlernen und zu erheben.

Hatte man das Glück neben den beiden zu sitzen, geriet man unweigerlich ins Epizentrum eines musikalischen Erdbebens. Das Ansingen eines Jodlers war jedes Mal ein Naturereignis: Die Sitzbank erbebte und Heli schleuderte die ersten Töne von einer markanten Mimik und Gestik begleitet in den Raum. Die Gretl setzte glockenklar darüber, ihren Gspåhn nicht aus den Augen lassend. Jedes vorherige Klangereignis, ob Wirtshausunterhaltung, Chormusik oder Trompetengebläse wurde in den Schatten gestellt, wenn die beiden Stimmen in den Raum schnitten. Da blieben kein Winkel und kein Ohr unbeglückt. Diese Verschränktheit von Melodie und Sprache sind ein Beleg archaischen Musikkultur in den Alpen. Die Stimmen und die Liebenswürdigkeit der beiden haben mich sehr beeindruckt und nachhaltig in meinem Tun bestärkt.

Wegen dem Singen und Jodeln verblieben…

Darüber hinaus aber waren es deren viele, die meinen Lebensweg und jenen meiner Frau Ingeborg gekreuzt haben, die mit uns ein Stück gegangen sind, die mit uns auf der Sonnenseite gesessen haben. Josef Zenz aus Übelbach war einer, dessen Lied vom Moosbichl und Moosbachl samt dem langsamen Jodler uns noch im Ohr liegt. Ebenso Maria und Walter Jansenberger aus Bärndorf bei Rottenmann. Da bleibt einem die Gastfreundschaft ebenso im Gedächtnis wie deren eigentümliche Zweistimmigkeit die eine Sonderform darstellt. Der Landwirt Otto Kraft vulgo Poldlbauer und der Gastwirt Roland Engleitner, beide aus Mitterbach bei Mariazell wiederum kennen wir von stimmungsvollen Abenden auf der Gemeindealm und von den langen tönenden Wanderungen durch die Ötschergräben. Gleich zwei Gewährsleute sind hier aus dem Johnsbachtal im Gesäuse genannt: Der Holzkencht Franz Seebacher, dessen Pipi be poba – Jodler inzwischen von vielen Kindern gesungen wird. Josef Wolf vulgo Wolfbauer aber war uns mit seiner hohen und klaren Überstimme ein Mitstreiter bei vielen Jodeltagen. Er war einer, der nicht genug kriegen konnte von der impulsiven Zweistimmigkeit, von der Kopfstimme, wo die Lustbarkeit zuhause ist.

Die Leidenschaft des Weitergebens

Das ist eine, die nach Methoden sucht und diese auch findet. Die Idee das Erlernen der Jodler mittels Nachsinge-CD zu unterstützen, stammt von Hans Martschin aus Greith bei Mariazell, der solchermaßen die Überlieferung seiner Jodler aus dem Mariazellerland mit einer eigenen Jodel Lern-CD wesentlich unterstützt.

Das breite Interesse aus allen nur erdenklichen Gesellschaftsschichten, vor allem aus dem Kreise der bislang selbsternannten Nichtsänger überrascht uns immer wieder. Es zeigt deutlich, dass es sich um keinen Insiderfokus handelt und sich der Kreis nicht schließt. Das ist gut so! Inzwischen hat sich „Wir lernen jodeln“ bestens bewährt, im Selbststudium ebenso und als praktische Übungshilfe nach einem unserer Jodelkurse. Mag sein, dass schon nach nur wenigen Jodlern Unsicherheit aufkommt, weil so viele Melodien und Texte Verwirrung stiften. Darauf sind wir vorbereitet, es bedarf des Wiederholens ebenso wie einer ausgeprägten Artikulation. Dieses Gedächtnistraining sollte durchaus als therapeutischer Ansatz gewertet werden. Dem Vorjodeln und Nachjodeln – ganz ohne Notenblatt – haben wir aber auch mit einer weiteren Methode unter die Arme gegriffen: Wir verwenden im Unterricht Elemente der Gebärdensprache. Diese Hilfestellung führt zu einem schnelleren Erfolg.

Ein Höhenflug ohne Landeerlaubnis

Kaum begonnen, springt der Funke über, lassen sich Hemmschwellen überbrücken und es stellt sich eine Freude am Klang und an der vehementen Artikulation ein. Es bleibt nicht nur bei der Entdeckung der eigenen Stimme, die für manche Überraschung sorgt. Nein, es kommt zu einer Leidenschaft, sich der gerade gefundenen Stimme zu bedienen, sie zu entwickeln und deren Schwingung zu genießen. Das Ineinanderfließen aber der eigenen mit einer anderen Stimme, das Ausreizen der engen Zweistimmigkeit mit dem gurgelnden Kippeffekt und das unwillkürliche räumliche Zusammenrücken zu einem verwickelten Knäuel, kommt einem Höhenflug gleich. Ein Höhenflug ist es, bei dem uns die Landeerlaubnis gestohlen bleiben kann.


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