Das Täterprofil zeigt eindeutig auf ein dunkles Kapitel

Liebe Streicher! Damit sind nämlich alle hier im Saal gemeint, jene die tatsächlich eine Geige in der Hand haben um hier festlich aufzuspielen, alle jene, die in Anbetracht der eingebrochenen Konjunktur einige Vorhaben auf ihrem Einkaufszettel streichen müssen und die Frau Landeshauptmann, die – es geht ja nicht anders – in diesen Zeiten so manche Förderung gestrichen hat.

Im Journalismus- Jargon nennt man das: Sie setzte zu einem Streichkonzert an. Was für eine schöne klingende Negativmeldung. Also:

Liebe Streicherinnen und Streicher!

Der langen Anrede kurzer Sinn: Danke, dass Sie alle gekommen sind, um mit uns beiden (Rudi Pietsch und Hermann Härtel) das Fest der Preisübergabe zu feiern. Seit dem November, der offiziellen Entscheidung und dem heutigen Tag hat man beflissentlich Wochen vergehen lassen, um den beiden Geehrten die Gelegenheit zu geben, in sich zu kehren. Das haben wir ausreichend getan. Herr Rudolf Pietsch wird sich dazu gesondert melden, nun aber zu mir:

Wenn jemand behauptet, jeder auf dieser Welt könne Geige spielen – und das im Lande der Wiener Philharmoniker, wenn jemand alles in Bewegung setzt, um möglichst vielen Leuten eine Geige in die Hand zu drücken mit der Aufforderung „Spiel doch – Du kannst es“, wenn jemand all das in die Wege leitet, was heute Prof. Walter Deutsch hier erwähnt hat und sich 30 Jahr lang einer solch schier endlosen Aufgabe gewidmet hat.

Der kulturelle Amoklauf

…dann kommt das einem kulturellen Amoklauf gleich. Es ist erwiesen – wenn man so wie ich ein Täterprofi erstellt – dass solch reaktionäre Täterschaft meist auf frühe, traumatische Ereignisse zurückzuführen sind. Sie haben mich für die Entzauberung des Geigenspiels ausgezeichnet, für einen Feldzug für das Volksmusikinstrument Geige, für ein Geigenspiel auf der Wiese, auf dem Almboden, am Tanzboden und im Wirtshaus. Die Frage ist also berechtigt: Was ist da in meiner Jugendzeit passiert? Und so nebenbei:

Geigenunterricht muss noch keine Kindesmisshandlung sein, kann aber.

Ich habe in den dunklen Kapiteln meines Lebens nachgesehen und möchte Ihnen die Details nicht vorenthalten. Ich lernte 7 Jahre lang bei Frau Prof. E.M. Geige

(für sie gilt die Unschuldsvermutung) Frau Prof. E.M. war schon über 70 Jahre alt und hatte stets Dauerwellen, die per Haarnetz zusammen gehalten wurden — wie dies heute auch mit den Mandarinen im Supermarkt gemacht wird. Frau E.M. hatte eine Doppelkinn und Falten auf der Stirn, die ich als junger Musiker sogleich für Notenzeilen gehalten habe. Ich lernte also ohne besondere Begeisterung 7 Jahre lang Geige. Dann war die Frau Professor tot.

Meine Frau Professor war tot

Sie haben leicht schmunzeln. Ich war damals sehr jung und habe tatsächlich eine Zeit lang daran geglaubt, sie umgebracht zu haben. So lange, bis andere Musiklehrer eines natürlichen Todes gestorben sind, ohne dass ich Unterricht genommen hätte. Verzeihen Sie mir bitte die Pointe, die in die Nähe der Tragik gerückt ist.

Aber: Darüber spreche ich heute zum ersten Mal: Ich habe Frau Prof. E.M. weder auf ihrem letzten Weg begleitet, noch habe ich jemals das Grab gesucht und besucht. Dafür aber habe ich 30 Jahre lang versucht, das Geigenspiel zu entzaubern. Den Respekt vor der Geige auszumerzen. Und Sie hier in Salzburg sind schuld daran, dass ich dieses Kapitel meines Lebens nun endlich abschließen konnte.

Das Grab, welches ich heute in der Früh besucht und auf das ich im Aufflammen einer späten Dankbarkeit einen Blumenstrauß gelegt habe. Ich würde heute sagen: Es gibt auch eine Schuldigkeit, für die man dankbar sein muss.


Dankesrede anlässlich der Preisverleihung „Tobi Reiser Preis 2012“ an Rudolf Pietsch und Hermann Härtel in der Stiegl Brauwelt, Salzburg, 3/ 2012; Tobi Reiser Preis 2012 an Rudolf Pietsch und Hermann Härtel; Herausgegeben vom Verein Freunde des Salzburger Adventsingens, Salzburg 2012, Seite 24-41; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.