Brauchen wir in unserer Zeit noch Tradition und Brauchtum?

Wenn in diesen dunklen Tagen der Nikolaus und der Krampus bei uns an die Tür klopfen, dann gibt es mehrere Möglichkeiten:

Wir müssen uns ganz schnell entscheiden:

  1. Wir sind gerade nicht da, weil die Tochter auf einen Italien-Aufenthalt eingeladen hat, der Anfang Dezember im Reisebüro günstig zu haben war.
  2. Wir sperren die Tür zu und verdunkeln die Fenster, weil wir das Geknalle nicht aushalten, sehen uns dafür einen Brauchtumsfilm an.
  3. Wir sind leider nicht zu Hause, weil wir auch den alljährlichen Rummel am Marktplatz mit Glühwein und wilden Krampuslauf genießen.
  4. Wir sind selber als Nikolo unterwegs und sind Teil des schönen Brauches. Oder:
  5. Wir ordnen uns dem wiederkehrenden Ereignis unter, sind zu Hause und öffnen die Tür, denn das gleichzeitige Erscheinen von Nikolo und Krampus (Bartl), ist eine alte und lehrreiche Gegenüberstellung des Bösen und des Guten, wobei wir dabei erfahren, dass das Gute siegt.

Meine Damen und Herren !

Die Frage „Brauchen wir Brauchtum?“ beantworte ich – und ebenso Sie – mit einem eindeutigen Ja. Wie das Beispiel aber zeigt, ist Brauchtum ganz und gar in unseren Händen, wir selbst sind die Gestalter und das möchte ich Ihnen heute nahelegen. Die Klage „Es ist nichts mehr so wie früher“ möchte ich nicht mitheulen, denn Menschen, Zeiten und Brauchtum sind in einem steten Wandel begriffen, der uns erst zum Menschen macht und uns vom Datenträger unterscheidet. Also keine Angst vor dem Untergang. Dinge die uns entschwinden, sind nicht irgendwem entschwunden, sondern uns selbst. Sie haben ihre Zeit gehabt und sind uns nicht mehr wichtig, werden aber wiederentdeckt werden, wenn wir einen Bedarf haben oder werden durch neue Bräuche ersetzt.

Bräuche sind fließendes Vermögen

Bräuche stehen also im Zusammenhang mit unserer Lebensweise, mit Lebensentwürfen, mit Arbeitsabläufen und sind wegen ihrer tiefen archaischen Wurzeln ein Gegenstück zur realen Welt. Brauchtum unterliegt vielen Spannungsfeldern, dabei spielen Generationenkonflikte ebenso eine Rolle wie Lebensstil und Konsumwelt, Arbeitswelt und Schnelllebigkeit samt Vermarktungs-Tendenzen für den Tourismus. Es ist ein vielschichtiges und komplexes Thema, weil Brauchtum kein stehendes sondern ein fließendes Vermögen ist.

Mythos und Glaube werden aber von den nackten Tatsachen bald einmal in den Schatten gestellt. Mitunter wandelt sich das eigene Brauch-Bedürfnis in einen touristischen Bedarf. Das große Thema Brauchtum ist also nicht einmal in 4 Stunden halbwegs übersichtlich abzuhandeln und ich möchte deshalb Schwerpunkte setzen. Es wäre außerdem ein leichtes gewesen, Sie mit schönen Bildern durch den Brauchtums-Jahreslauf zu geleiten. Welche Anmaßung wäre das aber: Ihnen, den eigentlichen Trägern von Traditionen (Bauernstand) etwas vormachen, was sie alle in kleinen Portionen tagaus und tagein leben.

Nachdem ich also gebeten wurde, mit Ihnen zusammen den Wert des Brauchtums und der Rituale heraus zu streichen und Ihnen Anregungen zu geben, wie wir manch schöne Dinge wider den Zeitgeist auf Schiene bringen, lenken farbenfrohe Brauchtumsbilder nur von dieser Kopfarbeit ab. Zuallererst möchte ich eine kleine Vorausschau geben, damit Sie wissen worauf Sie sich mit mir als Vortragenden eingelassen haben. Ich bitte also um Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, weil sich in dieser knappen ½ Stunde Ihre Erfahrungen mit meinen Worten vermengen sollen.

Was habe ich mit Ihnen vor?

1) Ich teile das Brauchtum in Jahres-, Lebens-, Kirchenfestkreis, dies kann helfen, den Überblick zu wahren.

2) Ich möchte mit Ihnen die wichtigsten Heiligen durchgehen, ihre Attribute und Ihre Beschützerrolle.

3) Ich möchte ein paar Vorschläge machen, wie sie selbst manches Selbstverständliche tiefer empfinden können, bzw. was Sie tun können, um Ihre Kenntnisse an die nächste Generation weiter zu geben

4) Ich möchte nicht weggehen, ohne mit Ihnen ein Lied gesungen zu haben.

Kleine Einteilungen /Jahres-, Lebens-, Kirchenfestkreis, die helfen können, den Überblick zu bekommen:

Der Jahresfestkreis   Es geht um den Frühling, Sommer Herbst und Winter. Sie kennen alle den Maibaum als Fruchtbarkeitssymbol und viele weitere Feste und dabei geht es immer um den Jahreszyklus und um das Werden und Vergehen.

Der Lebensfestkreis    Von der Wiege bis zur Bahre…sagt man und selbst bei diesem immer wieder kehrenden Thema gibt es permanente Veränderungen. Die Geburt: Da und dort sieht man heute einen Storch im Vorgarten. In manchen Gegenden mehr, in anderen überhaupt nicht. Was steckt dahinter? Früher waren wir von Kindern gesegnet – das Kinderkriegen gehörte mehr zum Leben als heute. Die Ankunft im Hause/ die Taufe / die Godl/ Diese Patenschaft war damals eine wichtige Versicherung, falls das Kind einmal in Not gerät. Heute ist Kinderkriegen, weil Ein- oder Zweikindfamilien vorherrschen, ein Ereignis, das mehr im Vordergrund steht, mit dem freudigen Zeichen (Storch) nach außen, dem Abschluss einer Lebensversicherung, der Eröffnung eines Sparbuches. Dass früher Kinder einfach auf die Welt gekommen sind, dass sie heute aber geplant werden, möchte ich nicht zum Thema machen. Wie man sieht, zeigt sich aber eine Änderung im Brauchverhalten. Fazit: Weniger Kinder, umso mehr Bedeutung und Begrüßung.

Welchen neuen Brauch können wir aufzählen? Z.B. Die Einführung der Tischmütter bei der Vorbereitung zur Erstkommunion – ein Ritual das sehr schnell und gerne übernommen wurde.

Und bis zur Bahre? Ja, da haben wir echte Verluste zu verzeichnen. Ähnlich wie bei der Geburt- von der Hausgeburt zur Krankenhausgeburt -, ist auch das Sterben nicht mehr so unmittelbar zu erleben. Die Hausaufbahrung gibt es nur mehr selten und nur durch Umgehung der Gesetzeslage. An ihre Stelle ist die Aufbahrungshalle getreten, noch schlimmer die Anlieferung des Leichnams aus dem Krankenhaus kurz vor der Beerdigung. Warum ist es so gekommen? Nicht nur durch die gesetzlichen Regelungen, sondern vor allem durch die Auflösung der bäuerlichen Strukturen und der zusammenlebenden Großfamilie. Was verlieren wir aber? Die Hausaufbahrung war Teil einer ganz wesentlichen Schmerzbewältigung. Den lieben Angehörigen noch 2 Nächte im Haus zu haben, ist eine Hilfe, sich mit dem Endgültigen abzufinden. Heute erleben wir schmerzliche Zusammenbrüche, weil uns diese Zeit unter dem gemeinsamen Dach nicht mehr gegeben wird.

Das waren in aller Kürze der Jahres- und der Lebensfestkreis, ohne die einzelnen Brauchtumshandlungen aufzuzählen. Der Unterschied zwischen diesen beiden: Der Lebensfestkreis dauert 7-9 Jahrzehnte, der Jahresfestkreis nur 1 Jahr. Da wir in eine Unendlichkeit hineingeboren sind, benötigen wir für unser Lebensgefühl Stationen und portionieren somit unser Dasein: Dazu zählen runde und halbrunde Geburtstage, aber auch Ehe- und Vereinsjubiläen.

Wir kommen zum kirchlichen Festkreis –

beginnend mit dem höchsten Kirchenfest, dem Osterfest. Hier merken Sie nun das erste Mal, wie sehr alle bisher besprochenen Festkreise miteinander verwoben sind. Die christlichen Feste können wir zwar gesondert betrachten, spielen aber im Jahres- und Lebenslauf mit hinein, ja sogar eine große Rolle. Das hat auch seine Gründe: Das Christentum hat im Laufe der letzten zwei Jahrtausende viele bestehende, vor allem heidnische Kulthandlungen verchristlicht. Einer der großen Zusammenführer der schon bestehenden Kulthandlungen mit den christlichen war der im 6. Jahrhundert lebende Papst Gregor. Ein Beispiel: Allerheiligen steht in Zusammenhang mit einem vorchristlichen Totengedenken u.v.a.m

Nach den Festkreisen müssen wir aber auch an Traditionen denken, die mit den Arbeitsabläufen in Verbindung stehen (etwa das Weinlesefest)

Wobei ich hier den Heiligen Urban (25. Mai ist ein wichtiger Lostag) nenne. Bei dem Thema Arbeitsabläufe denke ich daran, dass die abgeschlossene Holzarbeit, die Feldarbeit, der Stadlbau zu kleinen Anhaltepunkten führen z.B. Erntedank, Gleichenfeier. Ich denke aber vor allem an die den Ritualen folgende Kulinarik, die uns geläufig sind und fast wie Kulthandlungen genossen werden:

Der Faschingskrapfen
Die Weihnachtsbäckerei
Der Allerheiligen Stritzel
Das Abziehen des Mostes zu Lichtmess

Ebenso kennen wir die Verbindung zwischen der Volksmedizin und unserem Kräutergarten zum christlichen Jahreskreislauf – durch die wieder neu belebte Kräuterweihe. Und ich denke auch an Brauchtum, welches mit der häuslichen Arbeit aber auch mit dem Bedarf an Geselligkeit zusammenhängt und zugleich keinen bestimmten Termin hat: Das Sauschädelstehlen. Dieser Brauch ist mit dem Rückgang der Hausschlachtung weitgehend abhanden gekommen. Das ist mitunter der einzige Diebstahl der uns abgeht…

Was für ein Sinn steckt aber dahinter? Es ist ein Bedarf nach Geselligkeit, nach Darstellung gewisser hochrangiger Rollen (Polizei, Richter) mit der Vorfreude und der Absicht, auch etwas vom Schwein abzubekommen – für den Magen.

Nun möchte ich mit Ihnen einige wenige Heiligen durchgehen, ihre Attribute und wofür sie stehen.

Da sind einmal die 14 Nothelfer, die auch heute noch angerufen werden, der Christopherus (gegen das plötzliche Unglück) ist uns Autofahrern bekannt. Und es gibt die Lostage, die im bäuerlichen Bereich eine große Rolle spielen. Lostage sind feststehende Tage im Kalender,die nach altem Volksglauben Vorhersagen über die Wetterverhältnisse ermöglichen, den günstigsten Zeitpunkt verschiedener landwirtschaftlicher Tätigkeiten oder Prognosen über die Ernte erlauben. Im Gegensatz dazu sind die sogenannten Schwendtage oder verworfene Tage zu sehen, die als Unglückstage gelten. Der Volksglaube rät deshalb, an Schwendtagen bestimmte Tätigkeiten zu unterlassen.

Bezeichnung Datum Bedeutung
Heilige Drei Könige 6. Januar Hat sich bis zu diesem Tag kein stabiles Winterwetter (Hochdrucklage) eingestellt, so wird mit großer Wahrscheinlichkeit der Winter zu mild und meist auch feucht.
Lichtmess 2. Februar Wird dieser Tag sonnig, gibt es im Februar und März eine erhöhte Anzahl von Frosttagen (Treffsicherheit: 67 %).
Gregor 12. März „Gregor zeigt dem Bauern an, ob er im Felde säen kann.“

Manche Heilige haben für Sie als Bäuerinnen größere Bedeutung, etwa der

Heiliger Leonhard
Attribute: Kette, Abtstab, Ochsen und Pferde, Gefangene, die er befreit oder an der Kette hält. Er beschützt: Bauern, Bergleute, Fuhrleute u. Stallknechte u.v.a.m.

Heiliger Florian
Attribute: Lanze und Banner, Mühlstein, Wasser und Kübel. Er beschützt uns vor: Feuer- und Wasserschaden, er ist der Patron der Kaminkehrer, Schmiede und Bierbrauer.

In aller Kürze noch ein paar Heilige:

Heilige Gallus – Patron der Hühner und Gänse
Heilige Fridolin – Patron für schönes Wetter
Heilige Georg – beschützt Haustiere, Vieh vor Seuchen
Heilige Hubertus – Patron der Förster, Jäger, Wildschützen
Johannes der Evangelist – Wetterpatron, schützt vor Hagel
Heiliger Leopold – Schutzheiliger der Winzer
Heilige Margareta – schützt die Hirten und Senner
Heilige Notburga – schützt vor Viehkrankheiten

Andere Heilige haben dann für Sie Bedeutung, wenn Ihre Pfarrkirche einem der Heiligen geweiht wurde oder weil – wie beim Heiligen Martin – das Martinigansl uns an den Heiligen erinnert. Pfarrfeste orientieren sich an Ihrem Patron und sie kennen sicher die dazu gehörenden Kirtage.

Ich verweise auf einschlägige Bücher zu diesem Thema, wie überhaupt ein Brauch- und Heiligenbuch in jedes Haus gehört. Sie werden staunen, wie umfassend das Brauchthema ist und wie spannend sich die Geschichte darstellt.

Gleich eine Empfehlung: Tragen Sie Ihre wichtigsten bäuerlichen Festtage im Kalender ein, halten sie diese Tage frei vom Alltäglichen. Ebenso: Zünden Sie eine Gedächtniskerze im Herrgottswinkel an. Kredenzen Sie eine besondere Speise zum Festtag. Decken Sie den Tisch mit dem besseren Tischtuch. Vergessen Sie nicht auf ein Tischgebet. Damit heben Sie den Festtag aus dem Alltagsleben heraus, ohne dass Sie ihn zu einem häuslichen Event inszeniert haben. Das sollte es ja auch nicht sein.

Verselbständigen und tiefer empfinden

Nun möchte ich noch ein paar Vorschläge machen, wie sie selbst manches Selbstverständliche tiefer empfinden können, bzw. was sie tun können, um Ihre Kenntnisse an die nächste Generation weiter zu geben. Ich werde Probleme aufzeigen und sie kommentieren, zugleich aber auch Anregungen dazu liefern.

Das erste Problem welches sich dem Brauchtum entgegenstellt: Die schnelle Zeit, Arbeitswelt, die Unrast. Es geht heute um die Maximierung der Leistung, des Wohlstandes – zugleich erleiden wir einen Verlust an Verinnerlichung. Das Wort Völlerei haben wir früher für die unkontrollierte Gier beim Essen verwendet. Heute gibt es eine Völlerei an Eindrücken, Ablenkungen, an Möglichkeiten die Zeit zu verbringen vor allem eine Völlerei des Zeitverbrauchs schlechthin und: Die Unrast hat uns vom Puls des Lebens entfernt.

Lösung:
Entgegensteuern. Da heute viele Bauern ihren Betrieb im Nebenerwerb führen, sind bäuerliche Festtage in Gefahr. Ich schlage jedoch vor, sich etwa für den Lichtmesstag (Wechsel der Dienstleute) Urlaub vom Zweitbetrieb zu nehmen. Aus Prinzip und weil man sich für diesen Tag Nachbarschaftsbesuche vornehmen kann und anderes mehr. Zurück zum bäuerlichen Puls – einen Versuch ist es wert. Und: Ordnen Sie sich der Zeit unter.

Einfaches Beispiel:
Den allwöchentliche Kaffeetratsch in der Bezirksstadt, bei der Sie immer ihre Schwester zu Kaffee und Kuchen per Handy ins Kaffeehaus einladen, könnte ein Fixpunkt werden, nämlich ein zeitlicher und örtlicher. Bislang haben Sie es wie die Manager getan. Sie haben Ihre Schwester auf gut Glück angerufen, wenn Sie in der Stadt waren. Nun ändern Sie Ihre Strategie und machen diesen Treffpunkt zur Gepflogenheit.

Vorgangsweise:
Sie treffen sich jeden Donnerstag 11.00 Uhr in einem bestimmten Kaffee, an einem bestimmten Tisch. So er frei ist. Eine solche Unterordnung unter die Zeit werden Sie als angenehm empfinden. Es ist auch ein Beitrag zum Umweltschutz: Legen Sie auch die Arztbesuche und die Einkäufe auf den Donnerstag. Noch einmal: Sich der Zeit unter zu ordnen ist die Devise, nicht, sich irgendwann die Zeit zu nehmen. Das ist dann auch ein völlig anderes Lebensgefühl, eines, das unsere Vorfahren nicht anders kannten.

Das nächste Thema ist das Generationenproblem

Während Kinder noch alles mittragen, wandelt sich das Interesse in der Jugend, des heranwachsenden Menschen während der Partnersuche, der Berufsausbildung und während des Existenzaufbaus merklich. Brauchtum und Rituale verlieren an Priorität.

Lösung:
Haben Sie Geduld und bleiben Sie beharrlich bei Ihren Abläufen, wie Sie es bisher gewohnt waren. Sie sind jetzt Träger von Wissen und müssen einen langen Atem zu haben. Die späte Entdeckung von Tradition durch die Jungen ist heute legitim, während Ihre Eltern noch keinen langen Atem brauchten, weil sich das Leben in der Großfamilie abspielte. Heute haben sich die eigenen Kinder auch räumlich vom Brauchtum entfernt. Also: Geduld haben. Die Sehnsucht nach Tradition kommt früher oder später (z.B. mit den eigenen Kindern, also Ihren Enkelkindern) zurück.

Ein Hindernisgrund für Brauchtum ist das Hinterfragen und der Respekt vor dem Original

Wir leben nun einmal in einer Zeit, in der wir unser Tun hinterfragen, – leider auch mit der Fragestellung: Was bringt mir das? – entgegengesetzt früherer Zeiten, wo man einen Brauch ausgeübt hat ohne ihn zu hinterfragen. Weils immer scho so war. Mitunter erleben wir heute Verhärtungen, weil es nie mehr so sein wird wie früher und dieser und jener Brauch heute ganz falsch ausgeübt wird – so die Besserwisser etc.

Lösung:
Die Geschichte zeigt eine unglaubliche Leichtigkeit mit Veränderungen fertig zu werden. Während wir uns nämlich streiten, wie unsere Vorfahren das oder jenes gemacht haben, müssen wir wissen, dass es davon landauf und landab tausende Facetten gibt. Ich plädiere dafür, zu Ihrer persönlichen Variante zu stehen, auch Veränderungen nicht zu scheuen, nämlich jene, die den tieferen Sinn stärker in den Vordergrund stellen.

Nun zum Spannungsfeld Lebensstil – Konsumgesellschaft

Sie kennen das: Der Faschingskrapfen ist nichts mehr Besonderes, seit es ihn das ganze Jahr über gibt, er ist entzaubert. Die Ostereier gibt es gefärbt am Markt und ich spare mir die Patzerei mit den Farben. Das ist ebenso mit dem Lebkuchen und mit vielen anderen Dingen auch. Wir machen sie zur Dekoration eines Brauches, anstatt zum Inhalt unserer Festlichkeit.

Und zum Inhalt der Festlichkeit gehört ebenso die bunten Farben an den Händen und der Schütze, der Duft aus dem Backofen und der Stolz auf das selbst Kreierte.

Lösung:
Laden Sie Ihre nicht mehr im Hause wohnenden Töchtern ein, den Lebkuchen oder die Faschingskrapfen gemeinsam zu backen. Spielen Sie an einem Nachmittag Ihr Hausrezept in die Köpfe der nächsten – und wenn die Enkelkinder dabei sind – in die übernächste Generation.

Wir kommen zur Vermarktung – auch durch den Tourismus

Heute findet Brauchtum im Supermarkt statt. Der Trend geht hin zu: Alles und Jedes jederzeit in allen Farben und Formen zu haben, um damit Konsumenten und Touristen anzulocken. Heute werden die Krampusse, die Perchten und die Monster gemeinsam vorgeführt. Das Fürchterliche begegnet aber leider nicht mehr dem Guten – nämlich dem Nikolaus. Das Hässliche als Event im Zeichen der Maximierung von Umsätzen. Das war nur ein Beispiel und daraus resultiert die Angast, dass uns das Brauchtum abhanden kommt.

Lösung:
Dafür sorgen, dass Bräuche in Ihrem Dorf und Ihrer Gemeinschaft eine kleine aber feine Rolle spielen. Fördern Sie Zusammenkünfte, bei denen es nicht um Umsätze sondern nur um den Zusammenhalt der Gemeinschaft und Nachbarschaft geht. Maiandacht, Singen auf der Almhütte. Das Wesentliche nicht aus den Augen verlieren und durchtauchen, denn auch im Tourismus wird Brauch früher oder später verbraucht sein. Sie können dann auf Ihre Überlieferung zurück greifen und letztlich stolz darauf sein.

Ich komme zum Schluss

Wir brauchen Rituale und Bräuche, fixe Zeitabläufe. Das Negativbeispiel sind ja die Schichtarbeiter, deren innere Uhr sich ständig umstellen muss. Was im Kleinen schon ungesund ist, kann uns für große Zusammenhänge hellhörig machen. Bräuche sind Haltegriffe durchs Leben. An diesem Geländer durch das Zeitgefüge müssen wir aber auch ständig Besserungen vornehmen, manches aufgeben oder auch hinzufügen. Wir sind ja Meister im Kreieren neuer Ereignisse: Sie wissen ja, dass wir dazu neigen, nach drei Veranstaltungen schon von Tradition zu sprechen, nach 5 Ereignissen sagen wir: Das war immer schon so. Offensichtlich entsteht dies aus einem Bedürfnis nach Überschaubarkeit

Noch eine Empfehlung:
Lassen Sie kleine Kinder bei allen Anlässen immer dabei sein, denn Kinder fotografieren heute und entwickeln morgen.

Noch eine weitere Empfehlung:
Fotografieren Sie alle rituellen Anlässe, jedes Brauchtum und alle Gewohnheiten in Ihrem Umfeld und Haus. Stellen Sie eine Sammlung zusammen und Sie werden staunen, wie viele Ereignisse es im Jahr sind, vom Weihrauch tragen, Sauerkraut stampfen, Geburtstag feiern, Eier färben, Palmbuschen binden, Barbarazweige einfrischen, Selchen, Faschingtreiben u.s.w. Ich selbst bin auf viele Ereignisse gekommen, obwohl unser Hauhalt kein bäuerlicher ist. Eine solche Sammlung ist gleichzeitig ein Kapital zum Weitergeben an die Nachkommen. Viel wichtiger ist es aber, nach und nach selbst zu erleben, wie vielfältig Ihr Jahresablauf ist. Es wächst damit die Wertschätzung. Ich kann Ihnen gerne helfen, zusammen mit Ihrer Bäurerinnenvertretung einen Raster für diese Sammlung zu entwickeln. Fangen Sie morgen damit an…

Und zu guter Letzt

Ich hoffe, ich konnte Ihnen frei von wissenschaftlichem Anspruch und fern von jeder Brauch-Untergangsstimmung einige Anregungen mitgeben. Vieles werden Sie selbst schon in die Hand genommen haben. Manches braucht nur einen kleinen Anstoß.

Lassen Sie nicht locker, Kulthandlungen weiter zu tragen. Ohne diese Beharrlichkeit kommen wir im Leben nicht aus. Machen Sie Brauchtum und Rituale zu Ihrem kulturellen Auftrag. Diese Dinge sind nicht gesetzlich und werden nie gesetzlich geregelt werden, Sie sind – meine Damen – die eigentlichen Ministerinnen des Brauchtums.

Wie ist das mit dem Sauerkraut?

Zum Schluss zwei eigene Erfahrungen, die ich Ihnen weitergebe: Als meine Frau noch das Sauerkraut selbst machte, war uns schon klar, dass wir dieses vitaminreiche Wintergemüse auch ganz billig beim Bauernmarkt bekommen konnten. Da waren aber die Kinder, die alljährlich im November mit nackten Füßen auf der Küchenbank saßen und abwarteten, bis jeder einmal in den Bottich steigen durfte. Es ist zum alljährlichen Ritual geworden. Das Vergnügen war ihnen anzusehen. Das ist alles längst vorüber. Heute sind die Kinder aus dem Haus und wir besorgen unser Sauerkraut am Bauernmarkt. Ist wirklich alles vorüber? Die zwei Töchter in Wien besorgen sich das Sauerkraut vom Naschmarkt, behaupten aber am Telefon, dass jenes zu Hause immer noch das Beste war. Sie können sich an das Gefühl vom Sauerkrautsaft zwischen den Zehen bestens erinnern und behaupten, dass diese Erinnerung für sie ein Stück Heimat ist.

Kinder möchten gerne daran glauben

Zurück zum Heiligen Nikolo und zur Frage, ob die nächsten Generationen der Geheimnisse und Gleichnisse aus alter Überlieferung überhaupt noch bedürfen. Ja, ich denke schon.Denn meine eigenen Kinder – heute schon im Studentenalter – streiten vehement ab, dass sie all die Jahre ein verkleideter Nikolaus aufgesucht hätte. Sie behaupten fest und heilig, dass bei uns zu Hause stets der echte gute alte Nikolaus aus und eingegangen ist.


Festvortrag anlässlich Bäuerinnentagung in der Landwirtschaftlichen Fachschule Haidegg bei Graz 12/2008; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.