Volksliedwerk – Musik als Lebensmittel

Überlieferte Musiktradition – Lieder sammeln und sie zurückgeben

Überlieferte Musiktradition ist ein Lebensmittel. Sie nur deshalb aufzuzeichnen, um sie für die Nachwelt zu konservieren, hieße, deren Ablaufdatum festzulegen. Lieder sammeln und sie zurückgeben, das ist dagegen eine edle Aufgabe.

Musik als Lebensmittel

Es gibt keine seriöse Schätzung zum tatsächlichen Leben des Liederschatzes im Lande. Insider vermuten aber, dass der Bereich der Ereignisse mit überwiegend eigener musikalischer Gestaltung (Volksmusik, Volkslied, Schlager in Geselligkeit etc.) bei weitem alle sonstige Veranstaltungskultur überflügelt. Die mangelnde Wahrnehmung dieses Verhältnisses entsteht aus der doch einseitigen Präsenz: Was nicht am Plakat und nicht in der Zeitung steht, ist offensichtlich nicht. Das vordergründig transportierte Bild von Kultur bedarf der medialen Unterstützung und der öffentlichen Kulturdiskussion – hier ist Ankündigung und Berichterstattung ein Teil des Konzeptes.

Die musikalische Gebrauchswelt aber, hat ihren eigentlichen Wert im Gebrauch und im Brauch, da bedarf es keiner PR-Schiene, keine Promotions-Tour und keiner großen Kulturausschüsse. Sie pulsiert durch ihre selbst verordnete Aufgeladenheit. Dennoch lebt sie nicht isoliert, sondern orientiert sich permanent am täglichen plätschernden Musikfluss. Die Eigendynamik der permanenten Musiküberlieferung und Musikäußerung im geselligen Alltag unterliegt also keiner Marktstrategie, sie entspricht dafür aber den Lebensgesetzen dieser Musikgattung.

Aus diesem Grunde ist die Förderung dieser Kulturüberlieferungen stets auch eine Operation am lebenden Körper und entsprechend risikoreich. Was wurde nicht schon alles künstlich am Leben erhalten oder gar zu Tode gefördert? Deshalb ist die Wechselwirkung zwischen Kulturkonsumation und „Kultur haben“ (also besitzen und leben) stets im Auge zu behalten, um der Isolation im Kulturkämmerlein entgegen zu steuern. Wenn Kultur als Lebensmittel begriffen wird, ist dies eine Basis, auf der sich jedes Kulturverständnis und die notwendige Neugierde aufbauen lässt.

Das Steirische Volksliedwerk

Das Steirische Volksliedwerk ist eine Einrichtung des Landes Steiermark, gestützt durch einen Förderverein und einen angegliederten Wirtschaftsteil, die Volksliedwerk-VerlagsgesmbH. Die Aufgaben spannen sich von der Verwaltung, Betreuung und Auswertung des wertvollen Volksliedarchivs, über Forschungsaufgaben, Begegnungen, Kulturvermittlung, Initiativen zur Förderung der Gebrauchsmusik und Serviceeinrichtungen. Dazu gehören auch der Internationale Liederdienst mit seinem Weihnachtsliederbüro, die Schulaktion „einfach – lebendig“, Agenden der Volkstanz ARGE Steiermark, publizistische Aufgaben und viele andere Impulse. Zuletzt sind der mobile Tanzboden und die Initiative „Selektives Musikhören“ genannt.

Kultur ist es, wenn wir sie nicht in den Griff bekommen, so meine ich. In einer auf Events und Verbrauch abgezielten Welt bedarf es allerdings Haltegriffe um an die eigenen Fähigkeiten wieder anknüpfen zu können. Die rasche Veränderung der Lebensentwürfe bedarf einer beiseite gestellten Kontinuität. Reizvolle Alternativen zum Konsumverhalten sind gefragt nebst Hilfe zur Selbsthilfe. Der moderne Mensch nämlich, möchte heute alles gleichzeitig: Im Trend bleiben, sich mit den Hits treiben lassen und ebenso das Leben in die Hand nehmen, sich selber Rituale und Feste gestalten. Menschen die sich solchermaßen selber ins Spiel bringen, brauchen Impulse und ein Maß an Sicherheit und sei es durch das Gefühl, mit diesem Wunsche nicht alleine gelassen zu sein.

Kompetenz birgt neue Chancen

Seit 1905 bestehend, ist das Volksliedunternehmen von einer Forschungseinrichtung in allen Kronländern zu einem kulturellen Impulsgeber weiter entwickelt worden. Der „Arbeitsausschuss für das Steirische Volkslied“ wurde 1905 ins Leben gerufen, der Reichsratsabgeordnete Dr. Josef Pommer (1845-1918) zum Obmann bestellt. Ihm – einem gebürtigen Mürzzuschlager verdanken die Steirer eine der wertvollsten Sammlungen zur überlieferten Volksmusik. Wenn sich das Volksliedwerk heute als Kompetenzstelle präsentiert, so ist dies auf das Wissen um die stete Veränderung anhand der damals und heute gesammelten Belege zurück zu führen. Darin äußert sich eine Gestaltungskraft, die es wert ist angefacht zu werden.

Das Steirische Volksliedwerk hat in einem vorher vielfach belächelten Kulturbereich Initiativen gesetzt und damit bewirkt, dass sich heute viele junge Menschen mit den Traditionen des Landes auseinandersetzen und damit spielen können. Besonders erfreulich: Die langjährige vorbildliche Öffentlichkeitsarbeit, insbesondere die Breitenwirkung der Zeitschrift „Der Vierzeiler“ hat dazu beigetragen, Engstirnigkeiten im Bereich des Brauchtums und der traditionellen Musik abzubauen. Das Volksliedwerk ist damit auch ein Garant für eine Kulturarbeit die weder ins Museale, noch in die touristische Vermarktung und auch nicht in die Blut- und Boden Ideologie abdriftet.

Beispiel: Auf Liedersuche an der slowenisch-steirischen Grenze

„Lange wurde sie von der Volksmusikforschung nicht beachtet, – die südsteirische Region -, die heute an der slowenischen Grenze liegt, aber noch vor knapp neunzig Jahren ein Teil der Untersteiermark war, die bis weit ins heutige Slowenien hinein reichte. Ihr wurde eben keine musikalische Ergiebigkeit zugeschrieben, was vielleicht nur daran gelegen haben mag, dass keiner der früheren Forscher hier seine Sommerfrische verbrachte. Aber genau diese Zufälle haben ja schon oft den Lauf der Welt (mit)bestimmt“ so beschreibt die Volksmusikforscherin Mag. Eva Maria Hois den Inhalt der Tonproduktion „Klangbild Südsteiermark“. Diese CD ist ein hörbares Ergebnis dieses Forschungsunternehmens. Mag. Hois war zur Projektzeit die Leiterin des Steirischen Volksliedarchives und damit auch des beschriebenen Forschungsprojekts.

Gründe, sich um eine musikalische Bestandsaufnahme an der Grenze zu kümmern, gab es deren viele: Vordringlich genannt ist die bisherige Vernachlässigung durch die Volksmusikforschung, gleich gefolgt vom starken Interesse dieser Institutionen: Steirisches Volksliedwerk; Österreichisches Volksliedwerk, Wien; Institut für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie (mit speziellem Minderheitenschwerpunkt) der Musikuniversität, Wien; Institut für Musikethnologie der Musikuniversität Graz. Die Verwirklichung des Vorhabens war letztlich erst durch eine entsprechende Förderung innerhalb des EU-Interreg II-Projekts der Steiermärkischen Landesregierung möglich.

Die Forschungsfahrten

Im Jahre 1999 gab es bereits zwei Exkursionen und ihnen folgten drei weitere – bis in den Spätherbst 2002. Die oben angeführten Institutionen rekrutierten Arbeitsteams – bis zu 13 Personen, die sich mit den entsprechenden technischen Geräten ausgerüstet, in kleinen Gruppen ins Feld begaben. „Feldforschung“ nennt man das Aufsuchen von „Gewährsleuten“ und die damit verbundene Befragung und Dokumentation vor Ort.

Jeweils eine Woche lang bereisten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – teilweise mit Slowenisch-Kenntnissen – das südsteirisch-slowenische Grenzland. Der Arbeitsaufwand – mitsamt den Nachbefragungen – war enorm zeitaufwendig. Dass es hierbei zu berührenden Begegnungen und anhaltenden Freundschaften gekommen ist, sei ebenso erwähnt, Die noch aufwendigere Arbeit stellte aber die spätere Katalogisierung der Tonaufnahmen (etwa 150 Stunden), des Foto (etwa 1.500 Fotos) – und Filmmaterials (7 Videofilme) dar. Die Transkription vom Hörbeispiel auf ein Notenblatt ist dabei besonders zeitaufwendig. Die gesammelten Tonaufnahmen, Fotos, Notenmaterial, Filmmaterial (Liedern, Instrumentalmusik und Brauch) umfassen etwa 3000 Belege.

Weitere Aktivitäten und Publikationen

Es ging auch darum, die musikalisch-geselligen Fähigkeiten zu wecken, Gelegenheiten zum Singen und Musizieren zu schaffen. Touristische Ziele waren nicht vordergründig im Spiel. Die Initiative sollte aber dazu beitragen, dass sich die Bewohner des südsteirischen Grenzlandes mitsamt ihren musikalisch- brauchtümlichen Handlungen auch gegenüber Besuchern der Region als besondere Kulturlandschaft präsentieren können.

Zeitgleich zur Forschungstätigkeit wurden deshalb musikalische Initiativen gesetzt. Hier wären die Harmonikakurse für Weinbauern ebenso genannt wie Jodelkurse, Harfenkurse, Dudelsack- und Drehleierkurse und die ab 1999 über sieben Jahre erfolgreiche musikalische Begegnung „Klassik trifft Volksmusik“. Ebenso zeitgleich etablierte sich das auf die Initiative von OSR Josef Ertl, Gamlitz zurückgehende „Lust auf Singen“ in Gasthäusern und Weingärten. Heute sind es etwa 150 Begegnungen jährlich, die eine neue Form der musikalischen Betätigung darstellen. Zuguterletzt wurden die im selben Zeitraum erstellten Publikationen im Kreise der Gewährsleute jeweils mit einem rauschenden Fest präsentiert – und damit wieder zurückgegeben.

Das Volksliedwerk widmete zwei Ausgaben seiner Reihe „meine Lieder-deine Lieder“ dem südsteirisch-slowenischen Grenzgebiet (Deutsche und slowenische Lieder aus Schlossberg; Slowenische und deutsch Lieder aus der Bad Radkersburger Gegend), ebenso eine Ausgabe der Zeitschrift „Der Vierzeiler“ (Grenzenlos tanzen…) und die Tonproduktion „Klangbild Südsteiermark“. Zuletzt erschien das überaus beliebte Liederbuch „Singen im Buschenschank“.

Kulturpolitische Dimension

Unsere Initiative zielte auf Nachhaltigkeit ab. Es ging darum, den Bewohnern der Südsteiermark die eigene Musikkultur ausgraben zu helfen, sie wieder erlebbar zu machen. Nach Ablauf unserer Hilfestellung und der Publikationstätigkeit sollen die Impulse nachwirken. Da genügt es durchaus, wenn eigenes, musikalisches Brauchtum und die gelebten Rituale wieder an Wert gewonnen haben. Mag sein, dass damit auch ein touristischer Bedarf abgedeckt wird. Musik und Brauch gehören ja ebenfalls zu den regionalen Schmankerln, das Hineinschlüpfen in die Rolle des originalen Gastgebers ist aber zu wenig. Wer selbst mit seinen Traditionen auf gleich kommt und seine Aufgabe im Überlieferungsprozess wahrnehmen kann, ist mitunter das noch überzeugendere Original. Die Rolle der Volksliedforschung geht also über die Materialsammlung weit hinaus: Das Entdecken der eigenen Besonderheiten durch Menschen (Forscher) von außen, ist oftmals heilsam für das Erkennen der schon immer vorhandenen Werte.

Die Frage, ob in der allgemeine Globalisierungs-Tendenz eine solche von rückwärts aufgerollte musikalische Initiative Sinn macht, muss mit „Ja“ beantwortet werden. Bettenauslastung, Weinprämierung, Sendeminuten und Rekordumsätze samt Evaluierung der Fördersummen können es nicht alleine sein. Es sind immer die emotionalen Bindungen, der Zuspruch aus dem Bauch heraus und spontane Sympathie, die Standortfragen und Lebensqualität gleichermaßen bestimmen. Es gibt also auch ein Kapital außerhalb der Bankenwelt, dann nämlich, wenn sich die Bewohner an der südsteirischen-slowenischen Grenze auf der Hausbank noch etwas zu sagen haben. Heimat ist inzwischen ein kitschiges Wort, nicht aber der Sinn welcher dahinter steckt. Man kann auch ohne jedes Wort und ohne jede Sentimentalität auskommen, indem man gemeinsame Lieder hat. Um im Weinland-Jargon zu sprechen: Die bislang vorliegende Ernte könnte man noch ausbauen…

Verwendete Literatur
Aus der Südsteirischen Feldforschung I. Deutsche und slowenische Lieder aus Schlossberg. meine Lieder – deine Lieder. Steirisches Volksliedwerk, 4. Jahrgang, Blatt 2, Graz 2000.

Gremo na Štajersko. „Gehen wir in die Steiermark“ Lieder aus der Südsteirischen Feldforschung 2. Slowenische und deutsche Lieder aus der Bad Radkersburger Gegend.

meine Lieder – deine Lieder. Steirisches Volksliedwerk,  5. Jahrgang, Blatt 1, Graz 2001.

Hemetek, Ursula. Mosaik der Klänge. Musik der ethnischen und religiösen Minderheiten in Österreich. Schriften zur Volksmusik Bd. 20. Böhlau, Wien – Köln, Weimar 2001.

Hois, Eva Maria. Klangbild Südsteiermark. Vorwort zur CD. Steirisches Volksliedwerk, Graz 2006.

Hemetek, Ursula. Feldforschung im Grenzland. Ein Bericht über die Feldforschung in der Südsteiermark aus der Sicht des Instituts für Volksmusikforschung und Ethnomusikologie. In: Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes 52. Wien 2003, S. 146 – 156.


Steiermark: Innovation, Leykam Graz, 2007, Seite 73-75; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.