Liebe Menschen!
Es mag ungewöhnlich sein, dass ich mich mittels Leserbrief an Euch wende. Jetzt, nachdem nun mein Namenstag wieder vorbei ist, habe ich Zeit, diese Zeilen zu verfassen.
Als ich, nach meinem Tod im Jahre 345 vor allem innerhalb der griechischen Kirche verehrt wurde, war ich schon einigermaßen überrascht, weil ich mit meinen Taten keine Geschichte schreiben wollte. Da es aber das Böse gegeben hat, wollte ich mit gutem Beispiel vorangehen. Dass mit meinem Namen ein Nikolo-Siegeszug um die ganze Welt entfacht würde, hätte ich mir nicht träumen lassen.
Viele Jahrhunderte später wurde mir der Krampus – mit dem ich zuvor keine freundschaftlichen Kontakte pflegte – an die Seite gestellt. Was diese Inszenierung betrifft, muss ich der Menschheit ein Kompliment aussprechen: Das Böse dem Guten gegenüber zu stellen, war ein wirkungsvolles Signal. Die alten Nikolospiele legen die Zerrissenheit der Menschenseele bloß und lassen stets das Gute über das Böse siegen. Generationen von Menschen haben diesen Sieg als Leitbild für sich selber angenommen und weiter getragen. Heute vermeidet Ihr diese Gegenüberstellung, alsob das Abbild des Bösen nicht mehr zumutbar wäre. Ich, der keine Mühe hatte, sich gegenüber dem Krampus zu behaupten, teile nur mehr Süßigkeiten aus. Versteht Ihr die Worte eines alten, weisen Mannes?
Ich wollte keinen Rummel um meine Person. Bald aber fand ich mich auf Lebkuchen und auf Schokolade abgebildet und da musste ich lächeln, denn in mir regte sich eine Spur von Eitelkeit. Weltweiter Marktführer zu sein, das setzt einem zu. Für eine gute Sache aber, so dachte ich mir, kann ich mich auch den Marktstrategien unterwerfen. Alles, was der Menschheit wichtig erscheint, bekommt ein Logo mit eigenem Schriftzug und kreierten Farben und natürlich auch eine Homepage, ob es sich um Lebensmittel, um Kleidung oder um einen Fußballklub handelt. Warum soll also nicht auch das Konterfei des Heiligen Nikolaus als Sinnbild für das Gute stehen, um zumindest einmal im Jahr daran erinnert zu werden, dass es noch etwas zu tun gibt: Etwas Gutes!
Dass mich einige von Euch aus Kindergärten verbannen wollen – mein Gott, das berührt mich wenig, wenn ich dafür in den Familien und in den Herzen der Kinder einen guten Stand habe. Vielen Dank aber, dass sich viele von Euch so mutig für mich – also für das Gute – eingesetzt haben. Schreibt es Euch hinter die Ohren: Behördlich-amtliche Verordnungen sind zwar ebenso wichtig, Herzensangelegenheiten lassen sich aber nicht verordnen, die muss man stets selbst in die Hand nehmen.
Presseabteilung Hl. Nikolaus
(Der Hl. Nikolaus ist nach dem Diktat – für ein Jahr – verreist …)
Leserbrief an mehrere Zeitungen, 12/2006; erschienen leicht verändert in der Kronen Zeitung, 6.12.2015; zugleich Textentwurf für „Das Nikiolo Geheimnis“, Verlag Weishaupt, Gnas, 2016; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.