Stimmung und Alkohol

Von der lustvoll-gefährlichen Gratwanderung zur entrückten Nacherzählung

Bislang habe ich schon viel zum Thema erlebt, nicht nur als Beobachter, sondern auch als Testperson. Ich habe aber nichts darüber gelesen. Im Brockhaus kommt der Rausch als solcher nicht vor und die Rauschunterdrückung bezieht sich auf  Dolby-Filtersysteme für Tonaufnahmen.

Eher enttäuschend also – und schließlich: Auf der Suche nach der Trunkenheit im Internet finde ich nur die Problematik des Alkoholmissbrauchs, aber nicht die Stufe zwischen schlechter Stimmung und guter Stimmung, die ja oftmals mit dem ersten Glaserl überwunden scheint. Demnach ist `s ein Tabu-Thema, dessen Verletzung – nach Brockhaus – als frevelhaft bezeichnet wird. Soll ich oder soll ich nicht? Vielleicht mag jemand anderer das Thema übernehmen?

Kein Fest ohne Gastlichkeit

Dabei ist es so simpel: Kulturhistorisch spielt bei jeder Begegnung und jedem Fest die Gastlichkeit eine Rolle, eine gute Mischung aus musikalisch und kulinarischen Genüssen und eben auch der Trink- und Prostkultur – ob da nun Alkohol im Spiel ist oder nicht. Meist ist er im Spiel. Es liegt also nahe, dass die Dinge miteinander zu tun haben und dass es hier um ein sensibles Zusammenspiel geht, auch um eingespielte Rituale und vor allem um das Verhalten jedes Einzelnen. Und um es gleich vorweg zu nehmen: Man kann auch von sympathischen Menschen, von der Abendstimmung, einem Blüten- oder Parfumduft, ebenso aber auch von schönen Augen berauscht sein. Also, auch ohne!

Gestürzt und vom Kollektiv aufgenommen

Aber zurück zum gesellschaftlichen Ritual mitsamt seinem edelsten kellerkühlen Tropfen: Erst die Steigerung vom Maßhalten zum „ein wenig mehr aus den eigenen Ufern treten“, kann das Gefühl der Stimmung erzeugen und daraus kann auch ein kollektives Empfinden werden. Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist heute das sinnlose Besäufnis mit handfesten Auswüchsen eher selten. Bald einmal aber beherbergt heute ein solches Fest auch jemanden, der zu tief ins Glaserl geschaut hat. Auch hier gibt es ein kollektives Mitnehmen und Dulden. Das tut der Stimmung keinen Abbruch, denn jeder einzelne möchte im Falle seines eigenen Falles ebenso gut mitgenommen und geduldet werden. So nehme ich an!

Wenn der Mutterwitz erst entbunden wird …

Damit bin ich aber schon gehörig in das Reich des Maßlosen abgedriftet. Ich bitte also, mit mir einen Gedankensprung zurück zu rudern: Gemeint ist also jener Pegel, der uns noch nicht umhaut, uns aber mehr und lauter reden, singen und lachen lässt. Jene, die in Gesellschaft so und so zu dieser Offenheit neigen, werden nun sagen, dass sie dazu keinen Alkohol benötigen. Einspruch angenommen! Im selben Augenblick aber erinnern Sie sich und ich mich auch an das endlich köstlich aus sich Herausgehen von Leuten, die bislang kaum geredet und gesungen haben, deren Mutterwitz bislang zwar angeboren, aber eben noch nicht entbunden war. Die berühmte Schwelle ins Reich des alles-Gestern-und-Heute-Vergessens und des sich-gehen-lassen- Könnens. Bleiben wir also auf dieser Stufe, weil die nächste Schwelle ausreichend im Internet unter Alkoholmissbrauch zu finden ist. Und lassen Sie mich richtig stellen: Diese Niederschrift ist nicht der Weisheit letzter Schluss, schon gar nicht wissenschaftlich, dafür aber wissentlich locker angedachter Einstieg in ein Thema, welches ich als Musikant und Veranstalter, andere wiederum als Publikum, Arzt oder Drogenberater sehen können. Nicht zu vergessen der jeweils leidtragende Ehepartner der durch des anderen überheftigen Barbezug den Paarbezug gefährdet sieht. Sie alle dürfen und so auch ich!

Das Ritual wird zum Klischee

Ist es tatsächlich frevelhaft sich gedanklich an dieser Gratwanderung entlang zu tasten? Auf alle Fälle ist es für mich gefährlich: Spiele ich den Moralapostel, fragen Sie mit Recht, ob mir dieses Amt zusteht. Fröne ich aber dem Suff, machen Sie mir berechtigte Vorwürfe. Ein Glaserl JA, ein Glaserl zuviel NEIN! Seien Sie bitte ehrlich: Haben Sie allzeit die Gratwanderung unbeschadet überstanden? Es handelt sich also um reinen Selbstschutz, wenn ich mich am Schluss dieser Betrachtung auf die dritte Ebene begebe, auf die der Nacherzählung.

Ja, nur die Wirklichkeit des Rauschs ist hässlich, während ihm verbal wiederholt, die ganze Schärfe genommen wird. Im Moment sterbenselendig, mutiert er im nachhinein zur Belustigung,  bekommt durch die dichterische Ader etwas durchaus Heroisches. Während die Wirklichkeit alle Facetten zwischen Nüchternheit und Trunkenheit spielt, wird durch die Legendenbildung aus dem Ritual das Klischee. Erkennbar an den saloppen Sprüchen und Geständnisse, die den König Alkohol zu legitimieren versuchen: Ich brauch zuerst ein Bier, sonst kann ich nicht lustig sein…, Der singt ja nur so gut, weil er schon ein paar Achterl intus hat…, Der ist nur ein guter Musikant, wenn er ein paar Glaserl zuviel hat…. und so weiter..

Belustigung am Beinahe-Kollaps

Ja, es entgleitet uns die Wirklichkeit und wächst mit jeder Wiederholung unweigerlich zum Quadrat. „Der hat einen sitzen gehabt“, enthält ja tatsächlich eine breite Spannweite von Möglichkeiten. Da wird ein unsicherer Schritt gleich so ausgelegt, als sei man getorkelt, ein undeutliches Wort wird zum Lallen, aus 4 Achterl wird 1 Liter. Selbst die Wortkargen unter uns tragen da ordentlich auf und werden zu Dichtern. Sie belustigen sich am herbeigeredeten Beinahe-Kollaps. Das ist auch eine Form des Rauschs – ist das nicht ernüchternd?


Zeitschrift „Vierteltakt“, Oberösterreichisches Volksliedwerk, 2004.  Ähnlicher Beitrag: Bayerische Sänger- und Musikantenzeitung, München, 2004;  Ähnlicher kurzer Beitrag: Die Steirische, Wie das Leben so spielt…; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.