Der Volkskundler Dr. Hubert Lendl

Im Dezember des Vorjahres verstarb der steirische Volksbildner Hubert Lendl, der viele Jahre lang im Steirischen und damit auch im Österreichischen Volksliedwerk Funktionen innehatte. Er war von 1972 bis 1991 Vorsitzender des Steirischen Volksliedwerkes und in jenen Jahren als Vertreter der Steiermark im Vorstand des Österreichischen Volksliedwerkes tätig. Zuletzt war er Ehrenvorsitzender des Steirischen Volksliedwerkes.

Kindheit, Schule und Berufsweg

Am 27.12.1912 wurde Hubert Lendl im böhmisch Budweis geboren. Seine Eltern waren der k.u.k. Berufsoffizier Franz Lendl und dessen Frau, eine Weinhauerstochter aus der Retzer Gegend. Lendl verbrachte die Kindheit in Wien, maturierte am Humanistischen Gymnasium Wien – Kundmanngasse und studierte von 1931-1938 Landwirtschaft an der Hochschule für Bodenkultur und Nationalökonomie. Hubert Lendl – er hatte zwei weitere Geschwister – wurde bereits in seiner Gymnasialzeit Vollweise. Und in dieser Zeit hatte er ersten Kontakt zum Bund Neuland. Im Volksbildungsheim Hubertenhof trafen sich unter der Leitung des Priesters Leopold Teufelsbauer ein am Studium der Lebensverhältnisse des Landvolkes interessierter Freundeskreis. Dieses Gedankenfeld hat Hubert Lendl scheinbar nicht mehr losgelassen, denn auf seinem weiteren Lebensweg widmet er sich forthin der Vermittlung von Bildung. Teufelsbauer war übrigens ein weitschichtig Verwandter Lendls und sein Einfluss dürfte den weiteren Weg des jungen Maturanten bestimmt haben: Studium an der Hochschule für Bodenkultur im Hinblick auf eine spätere Tätigkeit in der bäuerlichen Bildungsarbeit.

Er wurde 1936 zum Diplomingenieur graduiert und schloss sein Studium im Jahre 1938 mit der Arbeit „Sozialökonomische Struktur der burgenländischen Landwirtschaft“ bei Othmar Spann mit dem Doktorat ab. Er unterzog sich dann freiwillig einem Studium generale neben Othmar Spann beim Literaturhistoriker Josef Nadler, dem Historiker Heinrich von Srbik und dem Anthropogeographen Hugo Hassinger. Seine Studien in ost- und südosteuropäischer Wirtschaftsforschung setzte er in Leipzig, Berlin und Königsberg fort. Als er seinen Berufsweg beginnen wollte – es wurde ihm eine Stelle in Bukarest angeboten – begann der Krieg. Hubert Lendl zog sechs Jahre in den Krieg und kehrte erst nach weiteren viereinhalb Jahren russischer Gefangenschaft im Jahre 1949 zurück.

Ehe, Familie, Steiermark

Lendl heiratet 1939 seine Frau Michaela geb. Schindler, die in Erdberg beheimatet war und ebenfalls dem Bund Neuland angehörte. Die beiden schenkten sieben Kindern das Leben. Hubert Lendl versuchte sich in der damals schwierigen Zeit als Agraringenieur im Reichsnährstand, in der Landesbauernschaft Donauland Linz, als Arbeiter in einer Großweinkellerei und als Geschäftsführer des Österreichischen Jugendherbergswerkes, bevor es ihn in die Steiermark verschlug.

1952 ernannte ihn der damalige Kulturreferent der Steiermark Tobias Udier über Vorschlag von Franz Maria Kapfhammer zum Leiter des Bildungshauses Retzhof bei Leibnitz. Forthin nahm im Bildungshaus eine rege, experimentierfreudige und vielseitige Bildungsarbeit ihren Weg. Lendl zeichnete sich vor allem durch seine Vielseitigkeit aus. Den vielen berufsorientierten Inhalten stellte er die Herzensbildung als ständigen Begleiter hinzu. Kunst, Literatur und Musik, ebenso Politik, Kirche, Geschichte waren nicht nur Retzhofer Anliegen, sondern auch die Themen für seine Vorträge in allen Bezirken, in fast allen Ortschaften der Steiermark.

Ab 1965 war er Bundesstaatlicher Volksbildungsreferent, später auch Vorsitzender des Forums Volkskultur. In diese Zeit fällt vor allem sein Engagement für das Büchereiwesen, denn er war ein Literaturkenner und ermunterte gleichsam Literaten, wie er auch jungen Menschen die Sinne für den Wortschatz schärfte. Sein Bildungshaus war offenbar eine Oase des Menschseins. Noch heute sind unter dem Ehrentitel „Retzhofer“ jene Menschen gemeint, die in Lendls Bannkreis gerieten und Zeit ihres Lebens die Begegnungen in jungen Jahren als Impuls für das Meistern aller Hürden und das Ergreifen vieler kleiner Chancen mitnahmen.

Lendl erhielt zahlreiche Auszeichnungen, so den Berufstitel Professor, den Hanns Koren Kulturpreis des Landes Steiermark, das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich und das Große Goldene Ehrenzeichen des Landes Steiermark mit Stern.

Ruhestand? Volksliedwerk!

Nach seiner Pensionierung im Jahre 1977 war Lendl noch viele Jahre als begehrter Ratgeber tätig, begleitete Bildungsreisen, betreute die seinem Wohnhaus naheliegende Pfarrbücherei Graz-St.Peter und hielt zahlreiche Vorträge. Seine besondere Zuwendung galt jedoch dem Steirischen Volksliedwerk. Ich erlebte dies gegen Ende der Siebzigerjahre, als ich Hubert Lendl in einem kleinen Kreis kennenlernte, der sich seit der Nachkriegs-Neugründung des Volksliedunternehmens, nunmehr „Steirisches Volksliedwerk“, um seine Wiederbelebung annahm. Ich traf dort die Volkskundlerin Dr. Gundl Holaubek-Lawatsch, die Musikerzieher Dr. Rudolf Schwarz, Prof. Emil Seidl, Mag. Sepp Spanner, Prof. Karl Frießnegg und Dr. Alois Mauerhofer. Lendl betreute bereits als Bundesstaatlicher Volksbildungsreferent die Anliegen des Volksliedwerkes, war seit 1960 mit der Volksliedsache vertraut. Sein diesbezügliches Interesse war naheliegend: Lendl war wie auch seine Frau und die im Bildungshaus aufgewachsenen Kinder – stets dem Singen zugetan. Da schließt sich auch der Kreis zwischen seinem frühen beruflichen Interesse an der Lebenswelt der Menschen und seinem späteren Engagement, was die Musik dieser Menschen betrifft. Er war ein Kenner der „Musik von unten“, ein Verehrer der Naturtöne. Er kannte wohl auch die hohe Kunst der Musik, Inhalt und den Weg der zahlreichen Singgemeinschaften. Er war demnach musikgebildet, wenngleich er selbst seine aktive Musikbetätigung in den Schatten stellte. Poesie und Melodie – so aus dem Bauch heraus – machten ihm besondere Freude, weil sie ohne Herzensbildung keinen Bestand hätte. Bildung und Herzensbildung aber, waren seine Berufs- und Lebensinhalte.

Lendl und Härtel

Hubert Lendl hat mir den von mir gewählten zweiten Berufsweg zu einem Bildungsweg gemacht. Mein Engagement war stets auch eines, das aus seinem Geist begründet war. Aus der Privatwirtschaft kommend, hatte ich so meine Probleme mit den verkrusteten Strukturen des Amtes. Lendl mochte sie nicht, die Bürokratie und er mochte auch keine oberflächlichen Worthülsen. Er hatte einen feinen Sinn für Geradlinigkeit und brachte alles gleich auf den Punkt. Seine Sprachkenntnis machte die umfangreiche Publikationstätigkeit des Steirischen Volksliedwerkes überhaupt erst möglich. Kaum ein Tag, an dem Hubert Lendl nicht in unser Büro pilgerte. Er liebte die jungen Leute und das Zupacken.

Die Jahre seiner Obmannschaft und damit intensiven Zusammenarbeit dienten auch der Verkettung mehrerer Denkweisen. Da waren mein Hang zur Präzision, meine kaufmännische Ader und musikantische Leidenschaft. Und da waren seine Kenntnisse als Volksbildner, seine humanistische Einstellung, seine Literaturleidenschaft, seine sprachliche Begabung und seine religiöse Haltung. Alles in allem ergab dies eine besondere Mischung, die dem Thema Volksliedpflege das Fragezeichen nahm. Da ging es plötzlich um mehr als um eine von gestern stammende Musik. Es ging um das Band zwischen den Generationen, den Wert von Bewährung, um Nachbarschaft und Notwendigkeit, um die Freude am Versuch und letztlich um die vielen Fertigkeiten, die es galt im Menschen zu wecken.

Hubert Lendl war ein großer Denker, vor allem ein positiv Denkender. Er hat mich und uns stets ermuntert, hat kritisiert aber nicht demoralisiert, hat reguliert aber nicht unterbunden, hat gratuliert aber nicht lobgehudelt. In den vielen Jahren seiner Obmannschaft und meiner Geschäftsführertätigkeit war er einem zugetan. Das mag ein Wort sein, welches heute schon wenig Verwendung findet. Es ist aber kein anderes schöner einzusetzen als dieses „zugetan“. Darinnen hat sein fröhliches Gemüt ebenso wie sein stets fundierter Rat seinen Platz.

Sobald er seinen Hut und Mantel abgelegt hatte, öffnete er seine Aktentasche. Er nahm gerne eine Tasse Kaffee an und scherzte dann liebend gerne über eine Passage in der gerade erschienenen Tageszeitung, indem er zwei drei Sätze zitierte. Bereits diese Ouvertüre seines Besuches war Lehrveranstaltung und es entspann sich dann bald auch so manche Diskussion. Dann kramte er in seiner Tasche und zog ein Manuskript hervor, welches er zuvor als Heimarbeit mitgenommen hatte. Wie sehr seine langjährige Tätigkeit am Retzhof auch die Eheleute Lendl zu einer Lebens-Zusammenarbeit schmiedeten, zeigte sich auch später wieder und so auch in diesen Minuten. „Schau“, meinte er, „diesen Satz würde ich weglassen, er enthält nichts Positives und nichts, was Du nicht schon davor gesagt hättest. Er ist Makulatur, meine Frau lässt Dich grüßen, sie meint dasselbe“.

Verwendete Literatur: Dorothea Lendl. Hubert Lendl – ein Leben als Volksbildner, Diplomarbeit, Graz 1992.


Der Vierzeiler, 2002; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.