Unsere Vorbilder-Rückgriff auf den Reichtum des Bewährten

Ob es sich nun um gute oder schlechte handelt, – wir brauchen Vorbilder.

Die ersteren genauso wie die letzteren, denn es bedarf der vielfältigen Eindrücke, um daraus das eigene Lebensbild zu schmieden. Dass dabei nicht alles wie nach Plan oder gar Bildungsplan läuft, liegt in der Natur der Sache. Da werden wir einerseits krampfhaft von schlechten Vorbildern ferngehalten und manchmal wird einem – gerade vom größten Vorbild – der Weg gehörig verbaut. Das ist der Hürdenlauf, dem wir uns stellen sollten, denn Mitläufer zu sein, wäre die schlechtere Alternative.

Nichts Neues, werden Sie sagen und mir doch zustimmen, dass neben allen anderen Bildungsschienen, das Heranziehen der unmittelbaren Vorbilder das lehrreichste Lehrreich schlechthin darstellt. Das sage ich nun nicht nur salopp dahin, sondern unter dem Eindruck der heute am Fließband gemachten Idole, des aufgebauschten Schnickschnack, der mit Rhythmuseffekt unterlegten Schlagzeilen, die alles transportieren, nur nichts Wesentliches.

Abkupfern aber nicht nachplappern..

Nein – keine Untergangsstimmung ist angesagt, es bedarf in Anbetracht der Hoffähigkeit des Nebensächlichen und der Konstruktion immer neuer Lebensentwürfe – wie man heute sagt – doch immer wieder der Beachtung des Unmittelbaren, der überlieferten Bewährungen, denen wir immer noch das Meiste abkupfern können. Nicht kritikunfähig, nicht Abkupfern im Wortsinn von Nachplappern! Dabei macht ein intensives Familienleben, mit all seiner sinnlichen Geborgenheit und seinen scheinbar sinnlosen Kämpfen, Sinn. Da werden die ersten Signale ausgegeben, das Austeilen und Zurücknehmen erprobt.

Von der Auswahl seiner Eltern…

Oberflächlich gesehen, sieht es ja so aus, alsob es nur darum ginge, sich die Vorbilder auszusuchen. Zuallererst werden wir aber fremdbestimmt – in der Familie. Dieses Faktum der undemokratischen Unterordnung pflegte mein Vater gekonnt zu kommentieren: „Man kann bei der Auswahl seiner Eltern nicht vorsichtig genug sein“. Fazit: Das Leben beginnt nicht als Schnupperkurs, herzlich willkommen am steinigsten aller Bildungswege.

Herkömmlichkeit und Bekömmlichkeit…

Unser Plädoyer für die Achtsamkeit gegenüber Vorbildern ist aber nichts anderes als der Aufruf, das Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu gestalten, die musische Ader miteingeschlossen. Letztendlich geht es ja dabei nicht um unser eigenes Lebensziel, sondern um die Rolle die wir einst spielen werden für andere – die Rolle des Weiterreichens nämlich.

Wenn Sie unsere Zeitschrift lesen und unsere Absichten kennen, dann werden Sie feststellen, dass wir einen Großteil unserer Arbeit diesem Leitziel widmen. Die Fachwelt spricht von Entschleunigung, wir meinen, dass es neben der Sucht nach immer Neuem auch die Sehnsucht nach Tradition gibt, nach der Sicherheit Generationen übergreifender Kenntnisse und Gepflogenheiten, nach dem Spiel mit dem Althergebrachten, nach der Gratwanderung zwischen Herkömmlichkeit und heutiger Bekömmlichkeit.

Der Vierzeiler hatte kein Vorbild!

Stop – unser Vierzeiler hatte kein Vorbild. Dass uns das Bemühen um ein neues Verständnis für überlieferte Traditionen gelungen ist, daran sind auch Sie, unsere Leserinnen und Leser beteiligt. Es ist die breite Zustimmung, die uns beflügelt und ermuntert hat, kulturpolitische Signale auszusenden. Glauben Sie uns, es macht uns Spaß, Ihnen vierteljährlich unsere Überlegungen und die Erkenntnisse zahlreicher Autoren vorzulegen. Dass wir dabei zwischen Wissenschaft und Praxis, aber auch zwischen Hochkunst und Volkskunst hin und herpendeln, mag nach Wechselbad aussehen, oder sogar nach Sammelsurium. Gerade aber diesem Wagnis, nämlich den ungewöhnlichen Wechselbeziehungen nachzugehen, ist eine unserer Lieblingsbeschäftigungen. Solange uns diese redaktionelle Aufgabe so viel Energie abverlangt und so viel Spaß macht, solange bleibt Der Vierzeiler – vorbehaltlich Ihrer Zustimmung – Vorbild im Volkskulturblätterwald.


Der Vierzeiler, Leitartikel Zum Titelbild und Thema, Jahrgang 22, 1/ 2002; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.