Gaumenfreuden und Ohrenschmaus…

20 Jahre „Musik beim Wirt„

20 Jahre „Musikantenfreundliche Gaststätte„ – eine Kooperation zwischen der Gastronomie und dem Steirischen Volksliedwerk, das gehört gefeiert. Nicht aus Prinzip, sondern weil dahinter ein kulturpolitisches Konzept steckt, das sich herzeigen lässt. Zudem bedarf es auch des Rückblickes und des Dankes und einiger Anmerkungen zur Achse Kultur – Wirtschaft.

Kulturaufgaben auf dem Prüfstand

Das Steirische Volksliedwerk ist eine Kulturinstitution, eine Denkwerkstatt und ein wissenschaftliches Institut, vor allem aber ein Verfechter der Eigenverantwortung, wenn es um Traditionen geht. Nicht verordnen, sondern Wege ebnen, heißt unser Motto. Dazu muss angefügt werden, dass Volksmusik – und Traditionen überhaupt – vordergründig weder künstlerischen noch Originalitätsprinzipien zu folgen haben. Volksmusik ist wie eine Knetmasse. Die Zutaten sind Traditionsbewusstsein, Beharrlichkeit, Notwendigkeit und zuweilen auch Innovation und Imagination. Volksmusik braucht Bedingungen wie Begegnung, Brauch, Lebensumfeld – Kommen und Gehen.

Neben vielen anderen Aufgaben ist unser Volksliedwerk seit seiner Gründung im Jahre 1904 auch der Pflege und Förderung von Volksmusik und Volkspoesie verpflichtet. Diese Aufgabe ist eine schwierige, wenn man den Gestaltungswillen der Menschen ernst nimmt und wenn man an den wesentlichen Fundamenten fließender Traditionen nicht kratzen möchte. Denken sie an die gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen und medialen Errungenschaften des vorigen Jahrhunderts, dann wird es Ihnen nicht schwerfallen, die Problematik zu erkennen. Viel lebendiges Volksgut ist der Musealisierung anheim gefallen oder hat auf der Bühne seine Lebendigkeit eingebüßt. Medien, Fremdenverkehr aber auch die geänderten Lebensverhältnisse haben alte Strukturen vielfach aufgelöst. Wie und womit ist nunmehr der musikalischen Tradition unseres Landes geholfen? Wo gibt es den Ausweg aus der musealen Pflege, aus dem Abtriften zum Accessoire? Längst war die Suche und Sucht nach dem Originalen, Echten, nach Vorschriften zum Fußklotz geworden. Der Respekt vor jeder Tradition, die Angst vor dem Falschmachen saß so tief, dass sie einer freien Entfaltung entgegenstand, den spielerischen Umgang beeinträchtigte.
Zusätzlich bewirkte die Volkshaus-Hysterie der Siebzigerjahre und die damit verbundene Ausschaltung bewährter Dorfwirte einen Niedergang der Gastlichkeit, ein neues Bühnengeschehen abseits der eigentlichen Kommunikationszentren. Kurz und gut: Das Kulturhaus Wirtshaus ist nicht gewürdigt worden, denn auch die Einrichtung und damit Einteilung in Kojen und Nischen, hat dazu beigetragen, dass jene besondere Konstellation  zwischen Gastlichkeit, Kulinarium und Unterhaltungswert gelitten hat.

Auf der Suche nach der Volksmusik-Bildungsstätte

Zurück zur Volksmusik: Da gab es auch eine Entwicklung, die den Lebensgesetzen von musikalischer Überlieferung entgegenstand: Die Reinigung der Texte durch die Musikpädagogen, der vordringlich theoretische Zugang zu Volksmusik – anstatt über die Emotionen – und die damit  verbundene Vereinheitlichung, sowie die Beliebigkeit in Auswahl und Interpretation. Kurz:  Spielmusik statt Volksmusik. Zuweilen hat sich aber eine Volksmusikszene etabliert und sich in Szene gesetzt. Sollte man da nicht begeistert sein?

Nein, denn Volksmusik heißt eigentlich: Leben mit Musik, denn Volksmusik ist mehr Lebensmittel als Genussmittel. Volksmusik brauchte immer und braucht heute ebenso ein Spielfeld ohne Beckmesserei, die unmittelbare musikalische Verbindung mit dem Publikum, Begegnung mit den Nörglern, den Besserwissern, den Verehrern, den Zahlern, den Tänzern und den Sängern. Volksmusik braucht auch die Begegnung zwischen den Könnern und den Anfängern, zwischen den Impulsiven und den Gemütsmenschen, braucht die Begegnung mit den anderen Musikgattungen. Ja, sie braucht das Spannungsfeld zwischen Beharrlichkeit und Erneuerung, zwischen Kopie und Erfindung. Volksmusik braucht die Mischung aus Notwendigkeit und künstlerischem Werken.

Hochschule zum Goldenen Hirschen

Als verantwortliche Institution für Volksmusik haben wir uns – damals vor 20 Jahren – gefragt: Wo kann man der Volksmusik diesen Nährboden bieten? Dabei kamen uns wichtige Wortmeldungen zu Hilfe, wie „Das Wirtshaus ist die Hochschule der österreichischen Volksmusik“. Wenn diesen Satz Hans Moser gesagt hätte oder auch Hanns Koren, dann wäre es nicht verwunderlich gewesen. Beide –  der eine Volksschauspieler, der andere Volkskundler – könnten einen solchen Satz mit Überzeugung gesagt haben. Es war aber der Musiktheoretiker Franz Eibner – der so seine Überzeugung vom Wert der Weitergabe durch milieuspezifisches Verhalten ausgedrückt hat. Das ist sehr wohl beachtenswert, weil damit auch klargestellt wird, dass nicht alles auf dieser Welt dem Bildungsweg zu überantworten ist. Und gleich noch ein Zitat, das mit unserem Thema zu tun hat, nämlich jenes des Publizisten DDr. Günther Nenning, der dem musikalischen Tun einen gehobenen Stellenwert beimisst, indem er meint: „Kultur ist selber singen…„

Dem Steirischen Volksliedwerk war es daher ein Anliegen, neue Wege in der Förderung von Volksmusik und Volkspoesie zu gehen und es ist uns gelungen, die zuvor genannten Erkenntnisse umzusetzen. Vielmehr noch: Die Rückführung der Volksmusik in das Milieu des Wirtshauses, die Entlassung in viele kleine unabhängige Zellen des Singens und Musizierens um den Wirtshaustisch, hat zu ähnlichen Initiativen im Inland und im benachbarten Ausland geführt. Jahrelang waren wir die Berater für neue Ansätze in fast allen Bundesländern und haben unser Wissen und unsere Erfahrung in den Dienst dieser musikkulinarischen Spezialität gestellt.

Das Bildungshaus Wirtshaus wiederentdeckt

Ja, wiederentdeckt, denn das lebensfrohe Wirtshaus, in dem dann und wann gesungen und musiziert wird, gab es natürlich bereits. Zahlreiche Gastwirte haben Jahrzehnte der Musikförderung hinter sich – ohne den Wert ihres Engagements zu erahnen. Ihre Aktivitäten entstammen aus einer ganz persönlichen Begeisterung für Musik. Wir haben aber die Partnerschaft zwischen Volksmusik und Gastwirtschaft zum Prinzip erhoben, unsere steirische Volksmusik-Förderung bei ihnen, liebe Wirtinnen und Wirte – und sie sind rund 120 an der Zahl – verankert.

Mit der Rückführung der Volksmusik haben nicht alle eine Freude gehabt. Verdiente Musikpädagogen fürchteten einen Qualitätsverlust der Volksmusik, viele eingefleischte Volksmusikanten wünschten sich einen würdigeren Rahmen für ihre Tätigkeit, die Verantwortlichen für unsere Landesdienststelle sahen diese Kulturarbeit im Dunstkreis einer vernebelten Gaststube nicht immer positiv.

Wir haben uns mit Beharrlichkeit durchgesetzt und die Idee war auch sogleich ein Anliegen der Wirtschaftskammer. Zu Beginn war es der Fachgruppenvorsteher KR Josef Thewanger, später KR Franz Grabner, heute unser Freund Karl Wratschko, die sich mit uns zusammen engagieren. Ich erinnere auch daran, dass wir stets bemüht waren, die musikantenfreundlichen Wirte zu beraten und zu unterstützen und ihnen sogar Berater ins Haus geschickt haben. Zuallererst habe ich diese Betreuung wahrgenommen, später waren es Frau Heidi Wiedner, Edeltraud Hofrichter, Georg Frena und nun Herr Mag. Herbert Krienzer, der den Kontakt zwischen uns und unseren Partnern aufrecht hält, neues Werbematerial entwirft und Ihnen, meine Damen und Herren, heute sogar ein Wirtshausliederbuch in die Hände gibt.

Ein kulturpolitisches Konzept greift

Was ist „Musik beim Wirt“ aber im Besonderen? Es ist eine Achse zwischen Kultur und Wirtschaft! Dieses Zusammenspiel ist zwar schnell formuliert, endet jedoch meist bei der Vermarktung von Kultur. Dies degradiert aber nicht nur die Kultur selbst zur Ware, sondern auch den Menschen zur Kalkulationsposition. Beim Zusammenspiel zwischen dem Wirt und der Musik ist eine andere Kalkulation vonnöten, denn das Produkt aus Kulturarbeit ist vorderhand unkalkulierbar. Niemand kann Wohlbefinden und Lebensqualität auf die Waage legen und sie mit dem getätigten Aufwand messen. Deshalb bedarf es überall dort, wo sich – wie in unserem Falle – wirtschaftliche Interessen mit jenen der Kultur treffen, eines größeren Bogens der Denkweise, einer Freude an der eigenen Berufung, einer Zuneigung zu jenen Menschen, für die man Tür und Tor öffnet. Hier verschmelzen zwei Bereiche zu einem Ganzen und daraus erblühen Essenzen einer besseren Lebenswelt, die Leben und leben lassen zu einer brauchbaren Formel aufwertet.

Musikantenfreundliche Wirte verbinden die Gaumenfreuden mit dem Ohrenschmaus, sie bereiten damit ein Menü der Behaglichkeit und haben nicht zuletzt auch einen Anteil daran, dass Lieder, Jodler und Musikstücke im Zustand des Köchelns an eine nächste Generation weitergegeben werden. Ja, steirische Musik wird bei uns in einer sehr lebensfrohen Art weitergegeben. Dieser völlig unverkrampfte Umgang mit unseren musikalischen Traditionen, der Facettenreichtum steirischer Musik, ist mit ein Verdienst der Musikantenfreundlichen Gaststätten. Es ist Ihnen und uns mit viel Engagement und ganz persönlichem Einsatz, vielen Einzelgesprächen und Öffentlichkeitsarbeit gelungen, eine klingende Erlebniswelt zu etablieren, die kein Anzeichen von Gleichförmigkeit oder Uniformiertheit aufkommen lässt. Das ist es: Größtmögliche organisatorische Unterstützung und präzise Organisation ist hier gekoppelt mit einer uferlosen Freiheit, was das musikalische Geschehen betrifft. Das muss uns einmal jemand nachmachen und dazu die Geduld, eine solchen Kulturarbeit 20 Jahre lang mit überzeugtem Optimismus aufzubauen, immer wieder darauf zu pochen, dass die kleinste Zelle der musikalischen Kommunikation im Gegenüber am Wirtshaustisch, die aus dem Hut gegriffene Poesie, das klingende Erinnerungsvermögen, die Erfindungsgabe, die Eingebung des Augenblicks eine kulturelle Dimension bedeuten.

Das ist im Musikland Österreich einigermaßen schwer zu erklären, dass es Menschen gibt, die alle ihre Gefühle in die kleinen Werke stecken, in der Darstellung ihrer Lieblingsgesänge ihre gesamte Empfindsamkeit auf den Punkt bringen. Drehen wir den Spieß um: Ohne diese großartige musikalische Erlebniswelt Volksmusik kein Musikland Österreich!

Ihnen gebührt Dank und Anerkennung!

Lassen Sie sich, meine lieben Wirtinnen und Wirte, ehren: Bei ihnen gibt es noch das Spielfeld der Musik, die Matte auf der sich Lust und Frust deklarieren und kleine Melodien in großen Emotionen entladen können. Lassen Sie sich auch bedanken meine Damen und Herren von der Wirtschaftskammer: Sie haben unserer Idee vom Kulturgasthaus zum Durchbruch verholfen. Der Erfolg gibt uns allen recht: Etwa 450 Einzelveranstaltungen in der ganzen Steiermark sind der Beleg für den Bedarf musikalisch-gastlicher Geselligkeit, rund 60 Anträge um Aufnahme in den erlesenen Kreis der musikantenfreundlichen Wirte sind für uns Anlass, diese Kulturarbeit mit viel Freude gemeinsam mit der Gastronomie fortzusetzen.


Festrede anlässlich 20 Jahre „Musikantenfreundliche Gaststätten“, in der Wirtschaftskammer Steiermark, Graz, 12/2001; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.