Der Geigentag – Paradebeispiel für Veranstaltungskultur

Gute Unterhaltung! Welch ein Wunsch – so leicht kommt er über die Lippen und wie schwierig ist er zu erfüllen.

„Gute Unterhaltung“ als aller letztes Wort einer festlichen Begrüßung zum Beginn, aber auch „Gute Unterhaltung“ als beiläufige Floskel und als Grußersatz, jemandem über die Distanz zugeworfen, in Ermangelung einer wortreicheren und zeitraubenden Zuwendung. „Gute Unterhaltung“ ist, so verwendet, das Zeichen flüchtiger Aufmerksamkeit und entspringt nicht unbedingt der Sorge um der anderen Wohlbefinden.

So ist es ja mit vielen unseren Wortspenden

Sie sprudeln uns ziemlich unkontrolliert über die Lippen und es wäre trotzdem schade, wenn wir jede Äußerung abwägen müssten. Ehrlich gesagt: Wir wären die meiste Zeit stumm und damit auch um viele Redewendungen und Sprachgepflogenheiten ärmer. Die Verschriftlichung aber erlaubt es, dem Wortgesprudel auf die Schliche zu kommen, sich in Wortklauberei zu verlieren und das ist manchmal sehr heilsam.

Die Hauptdarsteller der Gegenwart: Wir

Es steckt aber doch hinter allem so nebenbei Hingeworfenem ein wahrer Kern von Ernsthaftigkeit, eine Portion tiefsitzender Wahrheit und ritualisierter Sittlichkeit. Sich und anderen eine „Gute Unterhaltung“ zu wünschen ist letztlich auch Ausdruck der großen Sehnsucht nach einer besonderen Form der Begegnung, nach optimaler Verteilung der Rollen, einem Verschnitt von Ich und Du. Es ist die große Sehnsucht, die Zeit die man gemeinsam verbringt, nicht „verpuffen“ zu lassen, sie doppelt zu erleben und letztlich noch eine Portion „draufzubekommen“, nämlich in Form der Erinnerung, als quasi prolongierte Erlebniswelt. Ja, alle reden von einer großen und auch bangen Zukunft oder einer nie wiederkommenden Vergangenheit, während wir vergessen, dass wir die Hauptdarsteller der Gegenwart stellen, unsere Chance jetzt und hier wahrzunehmen haben und dem Augenblick wahrlich die Krone aufsetzen können.

Wieviel haben wir noch dazuzulernen als Veranstalter und Suchende gleichermaßen? Wie oft lassen wir als Veranstalter die Angeworbenen sprichwörtlich im Regen stehen, vernachlässigen jede Art von Kultur im Umgang mit Gefühlen und Emotionen? Wie oft begeben wir uns in der Rolle des Besuchers auf die Ebene des Konsumenten, lassen die Akteure anrennen? Mehrheitlich spenden wir halbherzig und kraftsparend Beifall, seltener wagen wir es, die Lautstärke, den Inhalt und Unkultur zu kritisieren und fast nie verlassen wir sie frühzeitig um einerseits Sinnvollerem zuzustreben und andererseits solchen Veranstaltungen den Zulauf, zumindest einer Person, zu nehmen.

Die Familie als hohe Schule der Sprachfertigkeit

Gute Unterhaltung gibt es nicht auf Bestellschein und wer meint, dass er sich dazu die Gleichgesinnten aussuchen muss, kann ebenfalls jämmerlich Schiffbruch erleiden. Gute Unterhaltung hat zu aller erst mit Risikobereitschaft zu tun, mit dem neugierigen aufeinander Zugehen, dem Willen eine köstliche Verbindung einzugehen und damit die so unterschiedlichen menschlichen Beiträge augenblicklich zusammenzuschmieden. Da ist Aufnahmefähigkeit und Ausgewogenheit gefordert, die eigene Wichtigkeit mit der des anderen abzustimmen. Gute Unterhaltung ist auch das Ergebnis einer in der Familie geübten Praxis des Erzählens, des sich äußern Dürfens – mit allen Auswüchsen wie Übertreibung, Spott, Verulkung.

Was für eine hohe Schule der Sprachfertigkeit und Poesie versäumen wir, wenn die Unterhaltung in der eigenen Familie nicht gepflogen, statt dessen unterbunden wird, wenn wir es verabsäumen, die familiären Feste wichtig zu nehmen. Was ist dagegen die angekündigte Gaudi mitsamt dem garantierten Schenkelklopfen?

Eine deutliche Absage an die Ausscheidungskämpfe

Der „Vierzeiler“ beschäftigt sich mit dem Steirischen Geigentag, der für viele junge Menschen zum Inbegriff der Einheit von Erleben und zugleich Erlernen geworden ist. Keine Frage, dass es dazu einer Philosophie bedarf, die in diesem Heft ausführlich beschrieben wird. Zu aller erst war es aber eine Abkehr vom üblichen Veranstaltungs- und Bildungshausschema, die uns veranlasst hat, neue Wege zu gehen, die sich schließlich als die „alten“ entpuppt haben, zumindest was den Austragungsort und die Form des Festes betrifft. Das ist die eine Seite, viel wichtiger aber ist die andere:

Wir trauen es jedem zu, Geige zu spielen und verabscheuen Ausscheidungskämpfe. Kein Wettbewerb also und doch eine Herausforderung an jeden, sich selbst in Szene zu setzen, sich selbst einzuklinken in ein Fest, dessen besondere Aura im Nebeneinander vieler Kontraste liegt. Sei es nun das Risiko dem Schön- und Schlechtwetter aber auch dem laienhaften und dem virtuosen Geigenspiel ausgeliefert zu sein. Es ist auch immer wieder Zuneigung und Abneigung im Spiel, eine Suche nach Geborgenheit im Gespräch, nach gleichen Gefühlen im Genießen von Musik, nach gleichen Tanzschritten und temperamentvollem Gesang; auch nach einer respektvollen und spielerischen Begegnung zwischen den Generationen und einer Suche nach optimalem Befriedigen von allzu menschlichen Gelüsten.

Die geraden anstatt die Seitenblicke…

Letztlich ist der Geigentag aber auch der Begegnung zwischen Verbindlichkeit im Bezug auf die Pflege unserer Musiktradition und der Unverbindlichkeit und Freiheit in der Ausübung von Musik gewidmet. Er ist tatsächlich ein Vorzeigemodell der Geigentag, denn es sind nicht die Seitenblicke (Bussi links, Bussi rechts) die unseren Platz am Geigentag bestimmen, sondern die geraden, die uns lehren, dass man sich an der Wirklichkeit reiben muss, um in ihrem Feuer so komplizierte Vorgänge wie das Geigenspiel unkompliziert erleben zu können. Selbst wer nicht aus seiner Haut raus kann und mit Bildungskonzepten belastet an das Geigenspiel rangeht, lernt unmittelbar und praktisch kennen, dass man im Leben auch Abstriche machen muss.


Der Vierzeiler, Leitartikel Zum Titelbild und Thema, 19. Jahrgang, 2/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.