Ein Leitartikler hat es schwer:
Wo nimmt er nur die Worte her,
die den Leser dann verleit`n
zu lesen bis zur letzten Seit`n?
Warum unsere Zeitschrift „Der Vierzeiler“ heißt?
Einer der Gründe, warum wir seinerzeit unsere Zeitschrift „Der Vierzeiler“ genannt haben, ist die Unerschöpflichkeit, die dem Vierzeiler – dem Gstanzl – anhaftet. Ein kurzer Blick in unsere Volksliedsammlung gibt uns recht: Endlos sind die Blattfolgen, auf denen die Verse geschrieben stehen, und ebenso endlos und variantenreich wollten wir unsere Zeitschrift in die Zukunft schicken. Und nun haben wir den Namen unseres Blattes zum Thema dieser Ausgabe gemacht, wir sind der vierzeiligen Faszination auf den Grund gegangen.
In der Kürze liegt die Würze
„Der langen Rede kurzer Sinn“ – so endet manch üppiger Redeschwall, und allzu gerne täten wir den politischen Würdenträger gegen einen Gstanzlsänger austauschen – einfach kurz und bündig, wie man sagt. Ist es zu viel verlangt, in wenigen Worten viel zu sagen, dass sich die anderen sozusagen – einen Reim darauf machen können?
Reim dich oder ich friss dich…
Keinesfalls: Unsere Gegenwart steckt zwar voller Ungereimtheiten, dennoch gehört es zur lieben Gewohnheit, festliche Stunden mit ein paar Gstanzln abzurunden. Jeder von uns kennt genug Beispiele und weiß, wie sehr die erzählten und besungenen Lebensgeschichten am Ehrentag beitragen, um die verschiedenen Facetten des Lebenslaufes zu einem ganzen Bild zu schmieden. Solches Bemühen, das nie der großen Dichtkunst zugerechnet wird, hat interessanterweise niemals Spott zur Folge, auch wenn sich die Tatsachen nur mit Mühe reimen. Sie wissen ja, wie oft die Worte „Reim dich oder ich friss dich“ durchaus zutreffen und wie sehr sie jede kleine Unzulänglichkeit bloßstellen können.
Wahrheit und Dichtung in kleinen Portionen
Nein, die Beteiligten wissen um die Wichtigkeit dieser persönlich-biographischen Schmankerln und genießen den Zusammenschnitt von Lob und Tadel, von An- und Belächeln. Es ist köstliche Poesie, Wahrheit und Dichtung zugleich und noch dazu in kleinen Portionen serviert. Übrigens:
Wie schön, dass ganz große Weine auch aus kleinen Gläsern getrunken werden – und zwar schluckweise. Dass unsere Gstanzln auch ein Hort der Freiheit sind – die Unanständigkeit mit eingeschlossen –, macht sie noch wertvoller, als wir vielleicht annehmen. Viele Dinge sind, sobald sie ausgesprochen, schwer verdauliche Kost, böse anzuhören. Gereimt und „vermelodeit“ sind sie zumindest genießbar, wenn nicht sogar Köstlichkeiten. Ja, es verändert sich so mancher Sinn ganz überraschend durch das einzig sich anbietende Reim-Ende. Unter- und Übertreibungen haben hier ihren Ursprung –, womit wir wieder aus dem Schneider wären, falls unser Gsangl einer üblen Nachrede nahekommen sollte.
Das Banale und das Geniale Tür an Tür
So gesehen stoßen wir mit dem Gstanzl und der Aufforderung, doch selber „sich den Reim darauf zu machen“ wieder einmal in jenen Bereich des Volksliedes vor, der die notwendigen Reglements dieser Dichtkunst mit der größtmöglichen Gestaltungsfreiheit verbindet. Hier wohnen das Banale und Geniale Tür an Tür und feiern manchmal sogar Hochzeit. Welch schöne Welt des von uns gelenkten Zufalls und der uns gleichzeitig bewussten Vergänglichkeit. Es sind Augenblicke, die wir stundenlang hinausschieben sollten.
Der Vierzeiler, Leitartikel Zum Titelbild und Thema, Jahrgang 19, 1/ 1999; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.