Wie bringt man ein klingendes Thema aufs Papier?
So ganz allgemein: Die steirische Volksliedwerk – Zeitschrift wollte anders sein als andere Zeitschriften, die sich der Volksmusikpflege annehmen.
Die Herausgeber sahen und sehen in ihrem Medium eben keine Verbandszeitschrift, kein Berichterstattungs-Organ und schon gar kein Blatt, das Rechenschaft ablegen sollte, über die eigene Arbeit und die Volksmusikpflege im Lande. Begründet ist diese Haltung im Schwerpunkt unserer Arbeitsinhalte. Wir wollten zuallererst eine Dokumentationsstätte sein, die Anwälte des reichen Schatzes an Melodien, Texten und Tänzen. Und: Servicestation für alle Fragen der musikalischen Volkskunst. Dies auch im Bewusstsein, dass viele bestehende Reglements heute wenig Beweglichkeit erlauben. Die steigende Anzahl derer, die bei uns Hilfe und Beratung suchen, bestätigt unsere Arbeitsweise.
Gemeinsame Liebe zur Volksmusik ist nicht genug
Wir haben auch stets einen größeren Nenner gesucht, als es die gemeinsame Liebe zur Volksmusik ist. Unsere Zielgruppe war vom Anfang an definiert: Alle. Deshalb auch die beiden Bereiche Archiv und Beratung. Archiveingang und Archivausgang. Respektvolle Zuwendung zu den Überlieferungsträgern und zugleich Gesprächsbereitschaft in viele Richtungen. Neugierde könnte so ein größerer Nenner sein und natürlich das Interesse an den Wurzeln, ohne dieses Schlagwort übertrieben zu strapazieren. Diese grundlegende Firmenstrategie verzichtete auch weitgehend auf die Präsenz unseres Volksliedwerkes, dort wo Volksmusikpflege stattfand. Wir waren fest der Meinung, dass es an Initiativen in den Bezirken nicht fehle und dass wir uns möglichst wenig in diesen Bereich des unterschiedlichen Verwendens von musikalischen und poetischen Überlieferungen einmischen sollten.
Schon gar nicht lag uns daran, dort wo ortsansässige Volksmusikfreunde ihre erfolgreichen Veranstaltungen durchführten, als Macher Landesverband und Festredner auftreten.
Was wollten wir dann? Zu allererst galt es, unsere Qualität als Archiv und Forschungsinstitution herauszustreichen, viele zu animieren, ihr Wissen, ihre Lieder und ihre Notenmaterialien uns anzuvertrauen. Es galt aber auch, Modelle zu kreieren, die einen neuen Zugang zur Volksmusik ermöglichen. Und letztlich war es auch eine unserer Aufgaben, jedem den Zugang zu unseren Beständen zu ermöglichen und unsere Arbeit durch Publikationen zu dokumentieren.
Dem Transport von Kompetenz verpflichtet
Unsere Zeitschrift „Der Vierzeiler“ ist geboren worden, um unsere Kompetenz zu transportieren und um andere Kompetenz zuzulassen. Der Vierzeiler soll ein Trichter sein, der viele verschiedene Sichtweisen einfließen lässt, sie druckt. Es gibt daher kaum Berichte über bereits Stattgefundenes, dafür aber mehr inhaltliche Auseinandersetzung mit Themen zur Volksmusik und Volkspoesie. Es gibt mehr bildhafte Darstellungen statt Kreuzstichmuster. Das ist nun keine Absage an die Handarbeitskunst selbst, doch der Hinweis auf das Bemühen, Lebendiges in den Zusammenhang mit Klingendem zu bringen, Menschen statt Symbole sprechen zu lassen. Vor allem aber Menschen von heute. So verweist der Vergleich zwischen dem Lieblingshäferl und so manchem Lieblingslied, dass beiden eine gewisse Sentimentalität anhaftet. Das Häferl mit Alpenblumen und Edelweiß bemalt, das Lieblingslied mit „Dort wo“ beginnend. Na bitte: Die Liederwünsche, die alljährlich an das Steirische Volksliedwerk herangetragen werden belegen die Beliebtheit und Bedeutung der Heimatlieder, die vielfach einst von gebildeten Dorflehrern erfunden, heute von der Bildungsschicht belächelt werden. Wenn dies nicht ein Thema für den Vierzeiler war, was dann? Die Autoren hatten alle einen besonderen Bezug zum Heimatlied, von der wissenschaftlichen Betrachtung und Analyse bis hin zu den persönlichen Gefühlen des Liedbesitzers.
Das Markenzeichen des Vierzeiler: Immer nach Wunden suchen
Es ist wohl ein Markenzeichen des „Vierzeiler“, dass auf das Paarungsverhalten zwischen sachbezogener Wissenschaftlichkeit und saftiger Gefühlbeschreibung Wert gelegt wird. Es wäre nämlich schade, wenn die Akzeptanz musischer Werke erst dort beginnen dürfte, wo Gefühle, Verehrung, Übertreibung nicht vorkommen. Dem Gefühlsausbruch, dem picksüßen, rückt man leider allzu oft an den Leib. Wer liebt – und das ist wohl auch das rechte Wort für den Ursprung von musikalisch-poetischen Ergüssen -, für den sind seine Heimatlieder wie Nachbarn: Sie sind unverwechselbare Umgebung.
Ein anderes Beispiel: Der Übertitel „Ein Kopf voll Noten“ bezog sich natürlich auf das Titelbild, auf dem ein Mensch abgebildet war, der Notenbücher auf dem Kopf trägt. Es ist eine gelungene Anspielung auf die Tatsache, dass Melodien in Notenheften nicht gleich Melodien in Köpfen sein müssen. Die Frage stellt sich automatisch: Wie kommen Notenköpfe in Köpfe? Für das Steirische Volksliedwerk war diese Titelgeschichte aber auch eine notwendig gewordene Ehrenerklärung an die Notenschrift. Warum? Wer die letzten Tätigkeitsjahre dieses Vereines miterlebt hat, weiß vom jahrelangen Bemühen, die schriftlose Überlieferung nachzuweisen, ihre Bedeutung hervorzuheben. Daraufhin also diese Zuwendung zur Notenschrift, aber zugleich die passende Anmerkung: Wenn schon ein Katalog voll Noten, so doch der Hinweis auf den Kopf des Menschen, der auch ohne Noten voll Melodien sein kann.
Der Gärungsprozess eines Themas
Unsere Zeitschrift ist für Volkskultur – Interessierte und weit über diesen Kreis hinaus konzipiert und das ist auch der Grund für die inhaltliche und gestalterische Linie. Ausschlaggebend für den Erfolg war aber letztlich nicht Form, Farbe und Umfang. Es war die intensive Auseinandersetzung mit einem Thema, mit eingeschlossen der monatelange Gärungsprozess und das Geschick, zur richtigen Zeit die richtigen – nämlich unterschiedlichen Standpunkten verpflichtete – Autoren einzuladen. Es darf auch in Zukunft an Neugierde und Risikobereitschaft, aber auch nicht an der gehörigen Portion Selbstkritik fehlen. Ich bin dem Vorstand des Steirischen Volksliedwerkes, vor allem dem langjährigen Mitgestalter Hans Neuhold und auch den bereits abgelösten Vorstandsmitgliedern sehr dankbar. Sie haben mir – im freundschaftlichen Miteinander – so viele Jahre eine so interessante und aufregende Arbeit möglich gemacht.
Sätze und Gegensätze, Band 6, Graz 10/1998; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.