Was Jägerinnen und Jäger singen…

Seit eh und je findet die Jagd Einzug in das Kunstschaffen des Menschen – in Form von Dichtung, Malerei und Musik.

Das ist nichts Absonderliches, denn viele Lebensbereiche spiegeln sich im künstlerischen Ausdruck des Lebens: Zustände wie die Liebe, der Abschied, die Krankheit oder Berufe wie die Fuhrleut, der Bauernstand etc. Was die Jagd betrifft, ist diese wohl ein sehr beliebtes Thema, und die Kunst wird eben zum besonderen Transportmittel. Was wird transportiert: Die Bilder vom Jäger, vom Wild, dem Wald, aber auch ein Hauch von Ergriffenheit, Andacht, Freude, Wagemut etc. Wenige wissen aber, dass viele uns heute noch geläufige Lieder aus diesem Kunstschaffen stammen, so etwa „Auf auf zum fröhlichen Jagen“, das dem schlesischen Textdichter Benjamin Hancke zugeschrieben wird. Das Lied stammt also aus dem Jahre 1724 und hat mit uns Steirern vorerst nichts zu tun.

 Singen als klingende Erzählform

Was das hier bei uns übliche Singen von Jägerliedern angeht, so hat diese musikalische Äußerung mit der vorher besprochenen Thematisierung in der Kunst wenig gemeinsam. Es handelt sich um eine andere Ebene. Das Singen von Jäger- und Wildschützenliedern, so wie wir es alle in Geselligkeit kennen, ist eine klingende Erzählform, das Beschäftigen mit sich selbst als Wiederholung jener Eindrücke, die uns betreffen, unsere Heimat und unseren Bezug zur Natur und Kreatur betreffen.

Freilich ist der Inhalt so mancher Lieder nur mehr Historie, das Aufwärmen einer längst nicht mehr existierenden Welt. Volkslieder sind immer von gestern und entwickeln ihr besonderes Eigenleben in der Gegenwart oder geraten eben in Vergessenheit. In Liedern beschriebene historische Gestalten verlieren irgendwann einmal ihre Bedeutung, wenn es sich bei dieser Erzählung nicht um ein Gleichnis handelt, ein Schicksal, das uns alle angeht. Die Freude an der Wildschützenromantik, wie sie im Lied „An einem Sonntagmorgen“ zu Tage tritt, ist nicht zu belächeln. Es ändern sich zwar die Täter, aber nicht die Tat. Eine neue Form des Wilderns hat längst Einzug gehalten: Der Computer-Datenklau.

Die besondere Gestalt des Steirischen Prinzen

Ein besonderes Phänomen ist die Liebe zu besonderen Gestalten, wie eben zu Prinz Johann („`s Gamserl schiaßn is mei Freud“). Der steirische Prinz – weder in Steiermark geboren noch in Steiermark beerdigt – steht immer noch für das „Vorbild“ in allen Belangen, für Ehrenhaftigkeit und Treue. Und für Protest! Schließlich hat er die adeligen Eheregeln einigermaßen durcheinandergebracht als er die Ausseer Postmeisterstochter ehelichte. So etwas vergisst das Volk nicht. Das Lied wird nach wie vor mit Freude und Inbrunst gesungen.

Die Anzahl jener Lieder, die mit der Jagd, mit der Alm und dem Wald zu tun haben, ist enorm. Das liegt nicht nur an der Tatsache, dass die große Sammelzeit (etwa 1850 bis 1930) auch mit einer Zeit zusammenfällt, in der die Menschen vorwiegend in Land- und Forstwirtschaft tätig waren. Das liegt auch an der einst größeren Bedeutung der Produkte, die unter unserem Himmel geerntet wurden, seien es nun Feldprodukte, Holz oder eben Wild. Der Lebenserhalt vom eigenen Grund und Boden – und die damit verbundene Abhängigkeit und das Ausgeliefertsein den Unbilden gegenüber – hauchte den scheinbar nur schönen Liedertexten eine größere Bedeutung ein, als wir heute annehmen.

Eine unüberschaubare Fülle an Liedern

Beispiel gefällig? „Koa schenas Leben kånns niamåls gebn åls drobn im Hochgebirg – i tausch mit koana Gräfin net …“

War früher Jagdleidenschaft mit existentiellen Fragen verbunden, so steht der Liebe zur Jagd heute auch der Freizeitgedanke zur Seite. Die Annahme übrigens, dass Jäger nur Jagdlieder, Wirtshausbrüder nur Wirtshauslieder und Fuhrleute nur Fuhrmannslieder singen, ist absurd. Es gibt überhaupt nur wenige Liedgattungen, die an einen Anlass so gebunden sind, die also während einer Tätigkeit gesungen werden, so wie etwa das Wiegenlied und das Pilotenschlagerlied. Also: Beim Jagen selbst wird nicht gesungen, wie auch beim Mähen (Måhderjodler) und beim Lieben (Liebeslieder) nicht gesungen wird.

Melodie und Poesie sind der Humus für die Geselligkeit

Der Liederschatz der Jäger, den ich meine und den Sie auch alle kennen, unterscheidet sich nicht vom Liederschatz der Forstleute, einer Runde Kartenspieler, einer Almpartie, einer Gruppe von Menschen, die im Autobus anfangen zu singen. Es sind die Lieder vieler, und es handelt sich bei diesem Gebrauchsliedergut um jenen großen Schatz musikalischer Unterhaltung, dem wir gerade in unserer Gegend oft begegnen.

Die Textinhalte sind eindeutig: Die Liebe, die Gamserl, die Felswand, das Fensterln. Sagen Sie bitte nicht, die Zeit dieser Lieder sei vorbei. Meine diesbezüglichen Nachforschungen belehren uns eines Besseren. Sie sind nach wie vor sehr verbreitet und haben an Bedeutung nicht verloren. Das ist nicht verwunderlich, weil wir allemal einen Hang zum Sentimentalen haben, weil wir auch gerne das Alte hochhalten, beschreiben, lieben. Es ist fürwahr eine besondere Auszeichnung, wenn eine reiche Bildersprache, wie sie im Volkslied vorkommt, auch heute noch gebraucht wird. Es ist ein Zeichen dafür, dass wir selbst im Gedankenspiel das Gestern, Heute und Morgen verbinden können. Es sind diese Spielregeln, die es uns ermöglichen, aus der Tatsache unserer Vergänglichkeit besondere musikalische Gestalt hervorzubringen.

Die Wahrhaftigkeit stillt Sehnsüchte

Lassen wir aber die Philosophie und wenden uns wieder dem Singen zu. Letztlich liegt die bislang ungetrübte Aktualität des Volksliedes aber an der Wahrhaftigkeit der Worte, an einer Sehnsucht nach dem Aussprechen von Gefühlen, die uns – z.B. bei der Jagd – begleiten. Das Jagdleben transportiert eine Portion von Freiheit, einer Bewegungsfreiheit, ebenso das Natur­erlebnis, die höhere Gewalt, die Achtung vor der Kreatur und Würde. Aber auch Eigenschaften wie Glück, Stolz, Imponiergehabe und so weiter. Wann haben wir denn heute Gelegenheit, solche Werte, solche Gefühle auszusprechen? Die Lieder machen es möglich.

Meine Damen und Herren!

Ich möchte mich vielmals bedanken dafür, daß ich vor Ihnen sprechen durfte. Ich habe Ihnen etwas von meiner Arbeit erzählt, Ihnen vielleicht auch die Bedeutung des Volksliedes nähergebracht. Vielleicht war meine Wortmeldung zu detailliert, doch glaube ich fest, dass es notwendig ist, in ihrem Kreis den Standpunkt der Forschung darzustellen. Die Steiermark hat einen beachtlichen Liederschatz der nicht einem Archiv gehört sondern ihnen gehört. Sie sind die Besitzer der Lieder und es liegt wohl an Ihnen, wie sie dieses Erbgut behandeln. Sie müssen dafür Sorge tragen, daß es weiter gesungen wird, Sie müssen auswählen, was in Vergessenheit geraten soll – es liegt in Ihren Händen. Gerade Sie haben das Umfeld für Geselliges Singen, die Gelegenheiten.

Und: Verlassen Sie sich nicht auf Künstler, auf fixe Gesangsgruppen. Sie machen jedes unserer Feste festlicher und schöner und sie sind immer eine Bereicherung – wie etwa der Jägerchor. Wohlgemerkt: Es geht nicht um die Rettung von wertvollen Liedern sondern die Erkenntnis, daß gemeinsam Singen eine wahre Wohltat ist. Sicher: Die Musikerziehung, die großen Vorbilder in den Medien haben es uns schwer gemacht, selbst Hand anzulegen, selbst zu erklingen. Wir genieren uns, legen die Latte zu hoch, teilen die Menschen in musikalische und unmusikalische ein. Unfug: Wir sind einst alle als Sängerinnen und Sänger auf die Welt gekommen. Es ist nicht einzusehen, daß wir diese Gabe vernachlässigen.


Vortrag anlässlich der Jahreshauptversammlung des Jagdschutzvereines, Zweigstelle Frohnleiten, in Peggau, 4/ 1998; Sätze und Gegensätze, Band 10/ 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.