Die Welt der Trennungen gilt es zu überwinden

Wir leben heute in einer Zeit der Trennungen, des Auseinanderdividierens, der großen Sprünge zwischen Dingen, die eigentlich miteinander in Verbindung stehen oder voneinander abhängig sind. Das erleben wir in allen Bereichen des Lebens.

In der Geschäftswelt:

Es werden getrennt: Die Polstermöbel vom Einrichtungshaus/die Kotflügel vom Autohaus etc. Neuerdings gibt es Restaurants und daneben das Schnellimbiss, alsob man nicht auch in einem Restaurant schnell essen könnte. Es ist nicht einzusehen, dass immer mehr Branchen sich in Einzelteile auflösen. Spezialisierung, Effizienz und Wachstum sind die erklärenden Schlagwörter.

Musikkultur:

Nur wenige können mit den Musikern der Hochkunst und zugleich mit dem Harmonikaspieler vom nahen Wirtshaus umgehen.

Sport:

Ein Kurzstreckenläufer hat mit einem Langstreckenläufer gar nichts gemeinsam, sie haben unterschiedliche Trainingsprogramme und unterschiedliche Ausrüstung. Andere Sportarten sind ebenso andere Welten. Es steht nicht mehr die Frage nach Sportlichkeit im Raum, es handelt sich um auswechselbare Neigungen, die jeweils ein eigenes Outfit verlangen.

Politik

Da sagen viele das gleiche und es wird uns so verkauft, alsob Welten dazwischen liegen. Es werden Mauern aufgebaut um später Einigung zu zelebrieren.

Das war nun eher der abstrakte Teil, viel besser kennen wir die Trennungslinien in unserem eigenen Umfeld, etwa im Gemeindebereich: Vom Seniorenheim und dem Jugendheim hin bis zu den Kinderspielplätzen, dem Treffpunkt der Oldies, die Video-Ecke für die Kids und die Hupfburg gehört auch noch erwähnt. Das sind alles Trennlinien. Die Geschäftswelt schließt sich an: Die Rolltreppe für den Opa, die Krabbelstube für die Babys etc.

Von der Verträglichkeit des vermeintlich Gegensätzlichen

Und noch mehr eingehend auf diese Tagung und Ihr Thema:

Da gibt es die Trennung zwischen dem Modischen und dem Traditionellen, zwischen Laienhaftigkeit und Professionalität, zwischen Ehrenamtlichkeit und Vermarktung und letztlich zwischen dem Beharrlichen, in Sorge um das Ererbte und der Sorglosigkeit was Veränderungen betrifft. Längst wissen wir vom Übergang der Volksmusik in das Volkstümliche; vom Nebeneinander von Kitsch und Volkskunst, von der Verträglichkeit des scheinbar Gegensätzlichen, ja sogar vom unmittelbaren Bezug zwischen dem Erotischen und dem Züchtigen.

Alles aber gipfelt, wenn wir unser Tun und die Struktur unserer Vereinigungen betrachten, in einem steten Spannungsfeld zwischen den Gestaltungswilligen, den Sendebewussten und jenen, denen diese Sendung zugedacht ist: Das Volk. Es will nicht immer unserem Sendebewusstsein entsprechen. Es gibt zwei Gründe, warum die gut gemeinte Botschaft nicht ankommt:

Warum die Botschaft nicht ankommt

Der eine Grund: Wir haben die falsche Verpackung, was nun nicht zur Meinung verführen soll, dass wir nur dem Outfit eine neue Glasur verpassen müssen. Vielleicht kommen aber im Verpackungsmaterial unsere Nebenbotschaften schlecht weg oder gar nicht vor? Wir denken zu musikalisch oder zu tänzerisch und verbergen unabsichtlich die eigentlich größere Botschaft. Wie heißt sie eigentlich?

Der andere Grund: Wir haben nur einen Teil des Ganzen lieb. Wir haben uns in eine Nische verrannt. Die Botschaft heißt also wenig attraktiv: Komm in unsere Nische.

– Harmonikaspieler die nicht singen

– Sänger, die nur am Donnerstagabend singen

– Tänzer die nur tanzen, sich dabei aber nicht unterhalten

Die unterschiedlichen Lebensentwürfe

Und sehen Sie: Am Ende dieses Jahrhunderts haben die Menschen – und das ist eigentlich großartig – eine Position eingenommen, die viele Möglichkeiten zulässt, die sie an vielem zugleich teilhaben lässt. Die Nische wird nur mehr wie eine Messekoje aufgesucht, unverbindlich und zeitbegrenzt. Sagen Sie jetzt ruhig Worte wie Beliebigkeit, Konsumation, Identitätsverlust, Ablegen der Verantwortung gegenüber der Tradition. Sprechen wir es ruhig aus: Wir haben Angst vor dem grenzenlosen Surfen durch alle Programme, vor einem Konsumieren ohne für dieses Tun auch eine Verantwortung zu übernehmen.

Und trotzdem: Die Nische ist out. Wir brauchen heute noch weniger Trennung zwischen Gut und Böse, zwischen Echt und Unecht, zwischen Tradition und Innovation. Wir haben, wenn wir an Volksmusik, Volkslied und Volkstanz denken, um einiges mehr zu bieten, als dies unsere Verpackung ankündigt. Wir haben – wenn wir nicht auseinanderklauben – eine ganz gewaltige Kraft hinter uns. Wir meinen eigentlich:

nicht Sänger – sondern Menschen die Singen

nicht Tänzer – sondern Menschen die gerne tanzen

nicht Musiker – sondern Menschen die gerne spielen

nicht Dichter – sondern Menschen die gerne reimen und schreiben.

Bei dieser Aufhebung des Trennenden muss aber auch etwas zurückgenommen werden, muss auch ein Teil unserer Geisteshaltung auf der Strecke bleiben, nämlich:

Normen, die wir uns formuliert haben. Aus der Forschung wissen wir vom Variantenreichtum, von der Momentaufnahme, von der Welt der Notwendigkeiten. Wir interpretieren dann allzu gerne das Handwerkliche als künstlerische Leistung aus der wir dann wiederum für die Pflege das Richtige ableiten.

Auch Moralische Ansprüche, die wir uns auferlegt haben, sollten ihre Bedeutung verlieren: Auch hier wissen wir aus der Forschung, dass unsere Gewährsleute es zu tun pflegen, aber keine Religion aus ihrem Tun machen. Erst wir Pfleger zerren sie auf die Bühne und geben ihnen Anlass, sich Volksmusiker zu nennen.

Wir sollten uns den Menschen zuwenden

Es ist fürderhin MUT notwendig, von Qualitätsdenken, Elitedenken Abschied zu nehmen, um sich den Menschen zuzuwenden. Denn Zielgruppe sind alle. Wir wissen von der Bedeutung des Musischen für die Menschen. Aber bitte: In der breiten Palette vom dürftigen Versuch bis hin zur innovativen Kabarett-Volksmusiknummer, vom Gegurgl bis zur Chorleistung, vom freudigen Gehüpfe bis zur Vortanzgruppe. Aber es liegt doch auch auf der Hand, wo wir Hand anlegen müssen, wo wir unsere Dienste anbieten müssen. Im breiten Feld der Unbedarften, jener Menschen für die wir Lebensqualität zu bieten haben, die nichts anderes als singen, tanzen, musizieren wollen ohne sich deshalb von ihren bisherigen Lebenswelten verabschieden zu müssen. Warum verbinden wir Volks- immer mit einem gewissen Lebensstil, mit „in Tradition leben“, alsob nicht auch die Bauernstube im 18. Stock eines Hochhauses so etwas wie „meine Welt“ bedeuten könnte?

Ja, wir sollten an den Ufern Knochenarbeit leisten

Glauben Sie mir – dies ist nicht ein Aufruf zur Beliebigkeit zur oberflächlichen Behandlung von Traditionen. Ich meine es durchaus ernst mit dem Anliegen die Zwänge abzulegen, aus dem eigenen Saft aufzutauchen um an den Ufern Knochenarbeit zu leisten. Und ich rede hier nicht, ohne nicht auch selbst diesen Kraftakt probiert zu haben. Ich habe der Entzauberung der Volksmusik das Wort geredet, habe behauptet, dass jeder und jede jodeln könne, habe unsere Veranstaltungen allen zugänglich gemacht, keine Vorkenntnisse verlangt, keine Tracht verlangt, keine Echtheit eingefordert. Oberflächlichkeit muss man auch zulassen um der Qualität des Beständigen einen brillanten Auftritt zu ermöglichen. Schlechtes muss uns einmal heraushängen um Gutes zu erkennen.

Ich habe größten Respekt vor Traditionen

Man muss ihnen aber von Zeit zu Zeit einen liebevollen Rempler verpassen, damit ihr wahrer Sinn bildhaft wird: Tradition ist letztlich Beweglichkeit in langen Zeiträumen, die wir in unserer Beschränktheit des Ein-Generationen-Überblicks mit dem Auge nicht erfassen können. Die Sehnsucht nach einem Miteinander ist unverkennbar!

Tradition muss auch immer wieder neu entdeckt werden! Wir sind lieber Entdecker als die Konsumenten des Aufgewärmten.

In der Familie fängt alles an, diese Zelle der ersten Schritte ist wichtig. Dabei sein ist alles. Es ist nicht wichtig einer Kindertanzgruppe anzugehören, es ist wichtiger beim Tanz der Erwachsenen dazuzugehören. Wir verspüren bei den jungen Leuten oftmals  auch Ablehnung gegenüber Traditionen. Das muss man verstehen: Volksmusik und Volkstanz sind Erwachsenenkultur. Erst später ist uns etwas wertvoll, was vorher nichts gegolten hat. Junge Menschen möchten auch die Selbstverständlichkeiten selbst erobern.

Muss unser Tun immer von allen gehört werden?

Brauchen wir immer die Anerkennung von Presse und Rundfunk? Es gibt auch die Qualität des Miteinander, des Gegenüber, die keiner größeren Verlautbarung bedürfen. Wie viele Ereignisse finden – mit besonderem inneren Gehalt – gleich gegenüber statt? Der Ruf nach öffentlicher Spiegelung ist wohl auch der Wunsch nach Selbstbestätigung. Ja, die beste Öffentlichkeitsarbeit ist es aber, mit den begeisterten Nacherzählungen zu rechnen. Unwiederbringliches erzeugt im Zuhörer das Gefühl des Verlusts. Schöne Dingen müssen auch entdeckt werden können, dann sind sie immer wieder aufs Neue frisch.


Impulsreferat anlässlich Jahrestagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Österreichischer Volkstanz, Seggauberg bei Leibnitz, 7/1997; Sätze und Gegensätze, Band 10, Graz, 1999; Grundsätzlich sind alle hier veröffentlichten Inhalte urheberrechtlich geschützt und sämtliche Rechte vorbehalten.